Mein geniales Leben. Jenny Jägerfeld

Mein geniales Leben - Jenny Jägerfeld


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im Mund zusammen, wenn ich an all die leckeren Sachen dachte, die es bei uns zu essen geben würde.

      Das war ein weiterer Punkt auf meiner Liste über die Vorteile unseres Umzugs. PUNKT 1: Ein eigenes Zimmer. PUNKT 2: Nach Herzenslust einkaufen dürfen. Aber am wichtigsten war PUNKT 3: Neuanfang.

      Der Umzug nach Skärblacka bedeutete nämlich auch: Ich würde mich selbst rebooten können. Ein neuer Mensch werden. Ich hatte vor, beliebt zu werden. Unglaublich beliebt. Die Leute sollten bei meinem Anblick kreischen und ohnmächtig umfallen, ich wollte Autogramme schreiben, meine Fans sollten Selfies mit mir machen und dann kichernd davonrennen. Ich wollte werden wie Kanye West oder Beyoncé. Okay, das war vielleicht ein bisschen zu hoch gegriffen. Ich wäre ja schon zufrieden, wenn ich mit anderen Leuten reden könnte, ohne wie ein Freak angegafft zu werden. Oder wenn ich im Sportunterricht in eine Mannschaft gewählt werden würde. Es wäre auch nicht schlecht, wenn die anderen mir ab und zu zuhören würden, oder wenn sie sich im Speisesaal mal neben mich setzen wollten.

      Das war in Stockholm nicht unbedingt der Fall gewesen. An und für sich hatte ich in Stockholm einen Freund gehabt, Valter, aber wenn ich etwas sagte, hatte er nicht direkt übertrieben aufmerksam zugehört. Manchmal waren wir nach der Schule zusammen nach Hause gegangen. Hatten uns dann und wann ein paar SMSe geschickt und ein seltenes Mal am Wochenende getroffen. Aber wenn ich ehrlich sein soll, glaube ich, er war vor allem darum mit mir zusammen, weil er sonst keinen Freund hatte, und nicht, weil er mich so unglaublich cool fand.

      Mama behauptet immer, ich sei »ein einmaliger Junge«, ich sei »anders« und »speziell«. Aber eigentlich ist das wohl nur eine freundlichere Art zu sagen, dass ich irgendwie komisch bin.

      Ich hatte genau sechzig Tage Zeit, um ein neuer Mensch zu werden. Oder inzwischen eher siebenundfünfzig Tage. Dann waren die Sommerferien zu Ende und ich würde in meiner neuen Schule anfangen. In der Mosstorpschule. Klar, es würde nicht einfach werden, das eigene Leben in siebenundfünfzig Tagen zu verändern, aber total unmöglich dürfte es eigentlich auch nicht sein. Wenn man zum Mond fliegen kann, sollte man doch auch beliebt werden können? Oder?

      Wir hatten die Gemüseabteilung noch nicht einmal hinter uns gelassen, als Bobo bereits in den vielen Wassermelonen, Salatköpfen, Maiskolben und Erdbeerkartons zu ertrinken drohte, die Oma in den Wagen gelegt hatte.

      »Gujke!«, rief Bobo und deutete eifrig auf einen großen Berg Gurken.

      Bobo liebt Gurken, und das ist ehrlich gesagt auch eines der wenigen Wörter, die sie wirklich sagen kann. Für jemand, der im Dezember vier wird, ist das vielleicht nicht gerade eine Meisterleistung, aber wir freuen uns jedes Mal, wenn sie überhaupt spricht. Bobo liebt Gurken mehr als alles auf der Welt. Oder, nein, am meisten liebt sie natürlich Mama und Majken und mich. Aber dann kommen bestimmt Gurken. Manchmal glaube ich fast, sie liebt Gurken mehr als ihren eigenen Vater.

      Bobo und Majken haben einen anderen Vater als ich. Svedrik. So heißt er. Hast du Fredrik gesagt? Nein, Svedrik! Und auch wenn Svedrik in Bobos und Majkens Leben häufiger präsent ist als mein Vater in meinem eigenen Leben (nachdem ich meinen Vater exakt null Mal getroffen habe), würde er wohl nicht gerade zum Vater des Jahres nominiert werden. Svedrik ist nett und immer gut gelaunt und umarmt einen wie ein großer lieber Bär. Aber irgendwie fehlt bei ihm die action. Er findet viele Dinge extrem schwierig. Sich einen Job zu besorgen, zum Beispiel. Den Abwasch zu machen ebenfalls. Und aufzuräumen. Und Essen zu kochen. Und einzukaufen und Bobo die Windeln zu wechseln und überhaupt von der Couch aufzustehen, um Majken von der Schule oder Bobo von der Vorschule abzuholen. Schließlich wurde es Mama zu dumm. Sie musste mehr oder weniger alles allein erledigen. Sie erklärte, es sei, als wäre sie die Mutter von vier Kindern, nur dass eins der Kinder einen Bart hatte und Bier trank.

      Darum machte sie mit Svedrik Schluss. Was wohl in Ordnung war, nehme ich an. Nur gehörte die Wohnung, in der wir lebten, Svedrik, und eine eigene Wohnung konnte Mama sich nicht leisten. Als Krankenschwester mit drei Kindern, einem riesigen Hund, zwei Rosettenmeerschweinchen namens Tarzan und Frasse und einer Schildkröte kriegt man offenbar keinen anständigen Kredit bei der Bank. »Und das, obwohl man sein Leben lang alle Rechnungen pünktlich bezahlt hat!«, wie Mama enttäuscht ausrief.

      Darum sind wir jetzt umgezogen. Zu Oma in ihr großes gelbes Haus in diesem Nest namens Skärblacka oder kurz »Blacka«, das in der Nähe von Norrköping liegt, wo alle … ja … wie soll ich sagen: ein bisschen eigenartig reden. Der komische Dialekt ist wahrscheinlich der einzige Nachteil von Skärblacka. Und dass es hier eine gigantische Papierfabrik gibt, die das ganze Dorf manchmal in eine Wolke hüllt, die nach Kacke stinkt.

      Als wir bei den Süßigkeiten ankamen, war Majken tatsächlich dort. Aber sie sammelte keine Bonbons auf. Stattdessen sahen wir, wie sie etwas aus einer kleinen Schachtel in eine der durchsichtigen Bonbonschütten leerte.

      »Was machst du da?«, fragte ich.

      Majken drehte sich zu uns um. Ihr sommersprossiges Gesicht strahlte. Sie versuchte zu flüstern, doch das liegt ihr nicht. Ihre Stimme eignet sich nicht für Geflüster.

      »ICH MACHE EINEN STREICH!«

      »Aha«, sagte Oma voller Interesse. »Was für einen Streich denn?«

      Majken hielt kichernd die Schachtel hoch, damit wir lesen konnten: Bertie Botts Every Flavour Beans.

      »Aber Majken!«, sagte ich.

      »ICH HAB DIE ALLE ZU DEN JELLYBEANS GELEERT!«

      »Was ist das überhaupt?« Oma streckte die Hand nach Majkens Schachtel aus.

      »DAS IST AUS HARRY POTTER, DA GIBT ES ALLE GESCHMACKSSORTEN AUF DER WELT! EIN GRÜNES KANN NACH ROTZ ODER NACH APFEL SCHMECKEN, KOMMT GANZ DARAUF AN, WELCHES MAN ERWISCHT. DIE SEHEN ALLE GLEICH AUS. MANCHMAL SCHMECKEN SIE NACH REGENWURM, OHRENSCHMALZ ODER KOTZE. ABER MANCHMAL HAT MAN GLÜCK UND KRIEGT EINS, DAS NACH ZITRONE SCHMECKT! ICH HAB SIE VON MEINER FREUNDIN IN STOCKHOLM BEKOMMEN. UND DIE HAT SIE IM HARRY POTTER-MUSEUM IN LONDON GEKAUFT!«

      »Oh dear. Ohrenschmalz und Kotze, das klingt nicht allzu appetitlich«, sagte Oma und gab Majken die Schachtel zurück.

      »ICH WEISS! DARUM HAB ICH SIE JA HIER REINGELEERT!«

      »Du hättest sie mir geben können«, sagte ich. »Ich liebe Jellybeans. Die Ekligen kann man doch einfach ausspucken, oder?«

      »ICH MACH MIT MEINEN JELLYBEANS, WAS ICH WILL!«

      »Aber trotzdem«, sagte ich verärgert.

      »Das hier ist ein total unnötiger Streit«, sagte Oma. »Ich kann dir neue kaufen, Sigge.«

      Wir sahen in die durchsichtige Bonbonschütte, die bis an den Rand mit leuchtend bunten Jellybeans gefüllt war. Ich öffnete den Deckel und rührte mit einer Plastikschippe darin herum. Es war unmöglich, die Harry Potter-Beans von den anderen zu unterscheiden.

      »Darf ich mir vielleicht eine andere Sorte Süßigkeiten aussuchen?«, fragte ich hoffnungsvoll und sah zu Oma auf.

      »Tut euch keinen Zwang an, Darlings«, sagte Oma mit einem ermunternden Kopfnicken zum Süßwarenregal hin. Und dabei war heute nicht einmal Samstag, der offizielle Süßigkeitentag.

      Majken und ich wurden ganz wild! Wir füllten unsere Tüten mit mindestens je einem halben Kilo Süßkram. Bobo dagegen war mit ihrer Gujke hochzufrieden.

      Wie gesagt: Mit Oma einkaufen ist toll!

      EIN HOFFNUNGSLOSER TYP

      Mama traf meinen biologischen Vater, als sie in Australien und Neuseeland als Backpackerin unterwegs war. Backpack bedeutet Rucksack auf Englisch, und Backpacker sein handelt eigentlich nur davon, dass man mit einem Rucksack durch die Welt reist. Da wohnt man nicht in irgendwelchen Luxushotels, sondern eher in Jugendherbergen, wo es Wanzen gibt.

      Damals hatte Mama einen Job als Kellnerin in einem Lokal auf der Insel Kangaroo Island, und dort lernte sie meinen Vater kennen. Er war Koch, und sie verliebte sich bis über beide Ohren in ihn. Er hatte schulterlange schwarze Locken und die schönsten Augen, die sie je


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