Tod im Sommerhaus - Schweden-Krimi. Åke Smedberg

Tod im Sommerhaus - Schweden-Krimi - Åke Smedberg


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habe verschlafen«, sagte er. »Bin nochmal eingeschlafen und habe geträumt.«

      »Ich vermute, von mir?«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Nein, ein Albtraum.«

      »Das meinte ich«, sagte sie mit einem trockenen Lachen und nahm Li die Zigarette aus der Hand.

      Er schüttelte erneut den Kopf und lächelte sie an.

      »Wenn ich von dir geträumt hätte, Katja, dann hätte ich gar nicht aufwachen wollen.«

      Er war fast der Einzige, der sie bei ihrem richtigen Namen nannte. Es war schwer zu sagen, ob ihr das gefiel oder nicht. Jetzt spitzte sie den Mund und blies den Zigarettenrauch in seine Richtung.

      »Versuchst du, dich einzuschleimen, Bosse? Komm doch heute Abend einfach zu mir, dann sehen wir, ob das wirklich wahr ist.«

      Sie wandte sich an Li.

      »Oder was meinst du, Kleine? Du leihst ihn mir doch aus, wenn ich dich ganz lieb bitte?«

      Li lachte gezwungen und glitt etwas näher an Bosse heran. Eifersucht, dachte sie. Das war lächerlich, aber sie konnte sich dagegen nicht wehren. Sie spürte einen Stich im Herzen, und sie wusste, dass sie alles tun würde, um ihn zu behalten.

      Sie lag neben ihm auf der Matratze. Durch das Fenster konnte sie in den fast sternenlosen, dunklen Nachthimmel sehen. Man muss eine Weile draußen im Dunkeln stehen, erst dann werden die Sterne allmählich sichtbar. Die Kinder des Himmels. Tote Kinder, die auf uns herabblicken. Oder ungeborene? Sie erinnerte sich nicht mehr genau. Hatte Großmutter ihr das erzählt?

      »Du«, sagte sie. »Du willst doch keine Kinder, oder?«

      Bosse wandte sich ihr zu.

      »Ich meine, es macht doch nichts, dass ich keine bekommen kann?«

      Sie spürte, wie er sie im Dunkeln ansah.

      »Aber nein«, sagte er schließlich. »Das macht nichts.«

      Sie nickte schweigend.

      »Und du hast auch noch nie welche haben wollen? Ich meine, früher?«

      »Warum fragst du?«

      Seine Stimme klang auf einmal wachsam.

      »Ich weiß nicht«, erwiderte sie rasch. »Einfach so, ich meinte nur ... Ja, du weißt schon. Bloß Gerede ...«

      Scheiße! dachte sie verärgert. Sie verfluchte sich. Warum musste ich das nur sagen? Sie wusste doch, dass er es nicht mochte, wenn man Fragen stellte und in seinem Leben herumschnüffelte. Eine Kleinigkeit reichte, dann zog er sich in sein Schneckenhaus zurück und schwieg.

      »Ich habe mir nie sonderlich viele Gedanken darüber gemacht«, meinte er schließlich entspannter, »soweit ich mich erinnern kann.«

      Meist trafen sie sich in seiner Wohnung. Die war größer. Jedenfalls wirkte sie so. Fast kahl. Im Schlafzimmer lag nur eine Matratze auf dem Boden. In der Küche standen ein kleiner Tisch und zwei Stühle. Das Wohnzimmer war so gut wie leer, abgesehen vom Teppich in der Mitte mit einem orientalischen Muster. Er nannte ihn immer seinen Gebetsteppich und lächelte dabei kurz.

      Bei ihr zu Hause konnte man sich kaum umdrehen, Möbel, Nippes und Krimskrams überall. Das meiste war billiger Plunder. Sie wusste, dass es ihm eigentlich nicht gefiel. Er schüttelte immer den Kopf, wenn er ihre Wohnung betrat. Aber sie wollte es nicht anders. Ihr gefielen Wände voller Bilder, Stickereien und andere Dinge, die sie auf dem Flohmarkt ergatterte. Es gab Plüschtiere im Bett und auf dem Sofa und Plastik‒ und Seidenblumen überall, wo sie ein freies Plätzchen fand. Es war ihr egal, ob das Bosse oder den anderen gefiel!

      Vor allen Dingen wollte sie die Wohnung behalten. Sie hatte eine Heidenangst davor, dass etwas passierte und sie wieder auf der Straße landete. Sie konnte schnell wieder in Ungnade fallen und wusste, dass die Nachbarn, der Vermieter und das Sozialamt ein Auge auf sie hatten.

      Wenn es unerwartet bei ihr klingelte, machte sie am liebsten nicht auf. Sie verhielt sich mucksmäuschenstill, hielt den Atem an und wartete. Voller Entsetzen überlegte sie jedes Mal, wer das sein könnte. Ein Freier von früher, der ihre Adresse rausgekriegt hatte, sich aber nicht damit zufrieden geben würde, wenn sie ihn abwies, und sie dadurch in Schwierigkeiten bringen konnte. Oder jemand aus ihrer Vergangenheit, der ihr Stoff verkaufen oder schenken wollte. Das würde ihr den winzigen Stoß versetzen, der genügte, um sie wieder auf die Straße zu befördern.

      Aber jetzt hatte sie Bosse. Hatte sie ihn wirklich? Eigentlich wusste sie es nicht. Wusste weder, wie lange ihr Verhältnis dauern würde, noch, was es für ihn bedeutete. Was sah er in ihr? Vielleicht nur ein Loch, in das er seinen Schwanz verschwinden lassen konnte, genau wie alle anderen. Vielleicht war es bei ihm genauso.

      Sie schüttelte den Kopf. Nein, so war es nicht. Zwischen ihnen war es anders. Und er war anders. Nicht so wie die anderen. Er war wie kein anderer.

      Sie lag ganz still und versuchte zu schätzen, wie spät es war. Auf jeden Fall nach zwölf. Nach einer Weile drehte sich Bosse zur Seite, erhob sich und ging in die Küche. Sie blieb liegen und hörte ihn rumoren.

      »Ich geh jetzt vielleicht nach Hause«, sagte sie halblaut in seine Richtung.

      Sie blieb nie über Nacht, wenn er sie nicht darum bat. Jetzt wartete sie gespannt.

      »Möchtest du noch etwas, bevor du gehst?«, erwiderte er nach einer kurzen Pause.

      Sie stand auf und zog sich an.

      »Nein«, antwortete sie mit belegter Stimme. Sie versuchte, ihre Tränen zurückzuhalten. Sie wollte nicht, dass er sie heulen sah. »Nein, das ist nicht nötig.«

      Diese verdammte Enttäuschung! Obwohl sie eigentlich keinen Grund hatte und kein Recht dazu, dachte sie. Er hatte ihr nie etwas versprochen. Warum konnte sie nicht einfach zufrieden sein und es einfach annehmen?

      Sie hörte weiter unten auf der Straße Gegröle und verlangsamte ihren Schritt. Ein paar Jugendliche torkelten sturzbetrunken über die Straße. Besäufnis zum 1. Mai, dachte sie und spürte, dass sie ihnen nicht begegnen wollte. Sie fluchte innerlich. Warum war sie so ängstlich? War es das Alter? Vor Rotznasen, die sich voll laufen ließen, hätte sie sich früher keine Sekunde lang gefürchtet! Und jetzt geriet sie fast in Panik, als sie näher kamen.

      Sie überquerte die Straße, doch dort war sie genauso bedroht. Der Trupp hatte sich über die ganze Straße verteilt. Sie machte kehrt und ging eilig, ohne sich umzusehen, zurück. Sie schielte auf die Haustüren und suchte nach der Nummer 53. Als sie die Nummer entdeckte, bog sie abrupt ab. Wie immer war die Haustür angelehnt, jemand hatte die Fußmatte dazwischengeklemmt. Sie schlüpfte in den Flur, rannte bis zum ersten Treppenabsatz, hielt inne und lauschte atemlos. Niemand folgte ihr.

      Die Jugendlichen gingen weiter. Das Gegröle hallte zwischen den Häusern wider. Wahrscheinlich hatten sie sie gar nicht bemerkt.

      Sie nahm den muffigen, säuerlichen Geruch im Treppenhaus wahr. Dann ging sie in den dritten Stock und klingelte. Es dauerte, bis sie das Rasseln der Sicherheitskette hörte und die Tür geöffnet wurde.

      Die Frau, die Mama genannt wurde, musterte sie wortlos. Sie trug immer noch den Trainingsanzug. Sie schien in ihm geschlafen zu haben.

      »Darf ich reinkommen?«, fragte Li.

      Mama schnitt eine Grimasse.

      »Jetzt?«

      Dann zuckte sie mit den Achseln und trat beiseite.

      »Wenn’s denn unbedingt sein muss ...«

      Das Haus lag etwa fünfzig Meter von dem ehemaligen Waldrand entfernt. Jetzt begrenzte ein ungepflegter, einige Jahre alter Kahlschlag den eigentlichen Wald. Keine Höfe lagen in Sichtweite. Der andauernde Nieselregen vermittelte ein Gefühl von Isolation und Abgeschiedenheit.

      Peter Larsson ließ seinen Blick schweifen. Der größte Teil der früheren Weiden war mit Tannen bepflanzt worden,


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