Nach mir komm ich. Will Berthold

Nach mir komm ich - Will Berthold


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nächsten Jahres –, fallen alle Rechte an Sie zurück,« Diesmal genießt der Unterhändler den verblüfften Gesichtsausdruck seines Gegenspielers.

      »Das ist doch wohl Dampfgeplauder«, erwidert der Journalist dann.

      »Keineswegs«, beteuert der Anbieter. »Sie können sofort eine Optionsvereinbarung machen, 50 000 Mark kassieren und dabei den Hauptvertrag festlegen, der Ihnen noch einmal 100 000 Mark bringt. Das wären 150 000 sofort auf die Hand. Weitere 100 000 Mark in zwei bis drei Monaten. Eine Viertelmillion also. Damit können Sie so viele Ermittlungen anstellen, wie Sie wollen, über uns oder über andere.« Er lotet Raguses Gesicht aus. »Der Pferdefuß bei der Sache ist, daß es keinen Pferdefuß gibt.«

      »Also noch einmal«, erwidert der Journalist und wiederholt die Bedingungen.

      »Entspricht genau meiner Offerte«, quittiert Kamossas Sendbote das Dacapo.

      »Was hat eigentlich Ihr Auftraggeber davon?«

      »Sie kennen doch diese Kapitalisten«, kontert der Schnüffler zynisch. »Sie schlagen sich noch das eigene Bein ab, wenn sie ein großes Geschäft wittern.« Sein Gesicht gerät vor Schadenfreude aus den Fugen. »Das haben Sie doch selbstgeschrieben.«

      Das Café belebt sich mit Mittagsgästen; es bietet Eiligen, deren Arbeitsplätze in der Nähe liegen, ein preiswertes Menü. Fast alle Plätze sind jetzt besetzt. Ein vertrauliches Gespräch ist unmöglich geworden.

      »Moment mal«, entschuldigt sich Raguse und betritt die Telefonzelle, um seinen Anwalt anzurufen, wie Schmeißer vermutet. Das Gespräch zieht sich in die Länge. Nach etwa sechs Minuten kommt der Ziegenbart zurück. »Gehn wir zu mir«, lädt er seinen Kontrahenten ein.

      Schmeißer wirft einen Geldschein auf den Tisch und erhebt sich. Dann betreten sie das Haus, in dem Raguse wohnt, passieren die Anwaltskanzlei, gehen einen Stock höher. Das Arbeitszimmer ist mit Manuskripten übersät. Auf dem Tisch steht eine leere Kaffeekanne neben benutztem Geschirr. Der Aschenbecher quillt über. Der Journalist muß seinem Gast erst einen Stuhl freischaufeln.

      Schmeißers Augen sind flinke Diebe, aber sie gehen leer aus. Raguse wühit unter seinen Papieren, zieht einen dikken Schnellhefter hervor.

      »Das Manuskript«, sagt er und hält es dem Besucher vor wie einem Hund die Wurst, aber der Gefoppte schnappt nicht danach. »Es ist druckreif, auch wenn es noch ein paar Lücken aufweist. Sie könnten mir helfen, sie zu schließen.«

      »Was mir an Ihnen gefällt, ist Ihre Bescheidenheit«, giftet Schmeißer. »Fragen Sie doch Herrn Kamossa.«

      »Sie meinen, er würde mit mir sprechen?«

      »Wenn ich mich dafür verwende, halt ich das durchaus für denkbar«, verheißt Schmeißer. »Wer sagt mir, daß die Katze im Sack keine Makulatur ist?«

      »Halten Sie mich wirklich für so primitiv?« erwidert der aggressive Publizist. Er schlägt das Manuskript von hinten auf: »Wie ich Ihnen schon sagte: genau 168 Seiten«, stellt er fest und lacht unvermittelt, »Sie sollten mal Ihren schmachtenden Blick sehen.« Er blättert zum Deckblatt zurück.

      »Lassen Sie mich doch wenigstens einen Blick hineinwerfen!«

      »Wenn Sie mir versprechen, daß Sie Rechtsanwalt Endlich nichts sagen, dürfen Sie ein bißchen am Vorwort naschen.« Er entnimmt dem Schnellhefter die ersten beiden Blätter. »Aber schnell«, fordert Raguse und reicht ihm die Leseprobe.

      Nach mir komm ich

      Eine Kamossa-Biographie

      Henry Kamossa, dieser Name klingt wie ein Markenzeichen des Erfolgs. Millionen von Menschen, die ihn nur aus Klatschberichten der Regenbogenpresse kennen, bewundern und beneiden diesen Macht-Moloch, ohne zu wissen, daß er eine Unzahl von Feinden hat, die ihn auf den Tod nicht ausstehen können.

      Käme einer von ihnen auf den naheliegenden Gedanken, den Wirtschaftsgiganten umzubringen, würde er den Kriniirialfall des Jahrzehnts zünden und die Polizei in mindestens fünf Ländern und drei Kontinenten vor eine schier unlösbare Aufgabe stellen.

      Ein berühmter Mann hat einmal gesagt, am Anfang eines großen Vermögens steht fast immer ein großes Verbrechen. Bei Kamossa sind es viele Delikte, die dieser Bericht schonungslos aufdecken wird, von den Uranfängen bis zur Gegenwart.

      Nicht Bonn, sondern Frankfurt wäre heute die Bundeshauptstadt, hätte Kamossa nicht auf Wunsch einflußreicher Interessenten – an oberster Stelle der damalige Bundeskanzler – Abgeordnete einer bayerischen Partei gekauft und sich dafür mit Aufträgen in der kommenden Bundeshauptstadt entschädigen lassen. Man wußte um diese Vorgänge, keiner bewies sie – oder wollte sie beweisen –; wie immer versickerten Untersuchungen über Kamossa-Manipulationen im Sand.

      Von Anfang an beherrschte dieser Mann mit einem deutschen wie einem amerikanischen Paß die politische Klaviatur, die weißen wie die schwarzen Tasten. Er verschaffte den Länderparlamenten Mehrheiten, stürzte sie, finanzierte Parteien wie mit der Gießkanne, mal rechts, mal links. Der Unterschied lag allenfalls in der Summe.

      Viele nahmen sein Geld, hielten den Mund und erfüllten seine Wünsche ohne Rücksicht auf das Allgemeinwohl. Vielleicht sind die Komplizen von damals – soweit sie heute noch leben – nunmehr seine Opfer. Sie müssen Kamossa bedingungslos decken, wenn die faulen Geschäfte der Korruption nicht auffliegen sollen. Es ist kein Geheimnis, daß vor den Untersuchungs-Ausschüssen mehrere Meineide geschworen wurden unter dem wohlwollenden Patronat eines Innenministers, den man wegen dieses Verbrechens nach gültigem Gerichtsurteil ›Old Schwurhand‹ nennen darf.

      Man mag Kamossa für einen genialen Einanzzauberer oder einen raffgierigen Spekulanten halten. Er ist eine schillernde Persönlichkeit, die sich nicht so leicht einordnen läßt. Er hat bestechenden Charme. Er kann großzügig bis zur Verschwendung sein. Er handelt nicht selten nach der Devise: ›Edel sei der Mensch, hilfreich und gut. ‹ Aber er ist kein Goethe-Mensch, abgesehen davon, daß es der Dichterfürst auch nicht war.

      Bis ins vorrückende Alter hinein hat sich Kamossa seine unverwüstliche Vitalität erhalten. Er hat zwei schwere. Autounfälle, einen Flugzeugabsturz, vier Ehen und zahllose Affären überlebt, mehrere Untersuchungen der Steuerfahndung überstanden, die im letzten Fall damit endeten, daß der Cheffahnder einfach abgelöst und sein Nachfolger befördert wurde.

      So wird der wirkliche Lebensweg Kamossas zu einer Kette nicht abreißender Skandale, die vertuscht wurden, ob es sich nun um Wirtschaftsvergehen, Privataffären oder politische Erpressungen handelt.

      Dem Autor geht es nicht um Kamossa, sondern um die Zeit, die einen Kamossa möglich machte, ihn zum Helden hochstilisierte, einen Abenteurer, der eigentlich hinter Gitter gehörte, zu einem internationalen Wirtschaftsfaktor werden ließ, der unangreifbar scheint: mit einer Holding in Liechtenstein, einer zweiten in Monte Carlo und einer dritten auf den Bahamas, wo Kamossa eine eigene Hausbank unterhält. Das Imperium besteht aus einer florierenden Pharma-Firma, einer multinationalen Immobilien-Gesellschaft, erheblichen Beteiligungen an Automobilfirmen, Flugzeugwerken, Elektronikunternehmen und Nuklearindustriefirmen.

      Dieser sorgfältig recherchierte Bericht nennt Roß und Reiter, Täter und Opfer, Begünstigte und Vernichtete. Die Saga eines Mega-Aufsteigers wird zum Spiegel einer Zweidrittel-Gesellschaft, in der der Normalsterbliche zum Spielball der Macher und Raffer zu werden droht …

      Raguse nimmt seinem Besucher die überlassenen Seiten wieder weg. »Makulatur?« fragt er süffisant.

      »Geben Sie mir lieber einen Schnaps.«

      »Wollen Sie mein Manuskript immer noch erwerben?« »Glauben Sie, ich hätte erwartet, daß Sie an einer Heiligenlegende stricken?« erwidert Schmeißer.

      Das Telefon klingelt.

      »Ihr könnt jetzt kommen«, sagt der Anwalt aus dem ersten Stock.

      Dr. Endlich empfängt die beiden an der Tür. Auf den ersten Blick hält man den Juristen nicht für einen Klassenkameraden Raguses, denn er sieht mit seiner Stirnglatze und dem strapazierten Gesicht weit älter aus. »Um es gleich zu sagen«,


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