Nach mir komm ich. Will Berthold

Nach mir komm ich - Will Berthold


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zur Neurose geworden.«

      »Mag sein«, antwortet Kamossa. »Aber es ist mein Leben.«

      »Dein Leben ist, daß du am Leben vorbeigehst«, giftet Iris.

      »Und du wirst eines Tages davon den Vorteil haben«, entgegnet der Hochgewachsene gereizt.

      »Wie schön!« antwortet Iris. In ihren Augen sprühen Funken. Die Grübchen an den Mundwinkeln tänzeln. »Soll das heißen, daß du immer noch mehr Vermögen zusammenraffst, um es mir eines Tages zu vererben?« fragt sie den Mann, der sein eigenes Tabu verletzt hat: Er kann es auf den Tod nicht ausstehen, an den Tod zu denken oder über ihn zu sprechen.

      »So war es nicht gemeint …«

      »Ich bin nicht so besitzgierig, wie du offensichtlich annimmst. Ich möchte dir helfen, dein – dein Ableben in – in weiteste Ferne zu rücken«, erwidert die Ex-Schönheitskönigin. »Ich möchte noch lange etwas von dir haben.« Sie spürt seinen Blick. »Weil wir nun schon beim Thema sind: Professor Kleiber hat bereits zweimal moniert, daß du dich bei ihm nicht sehen läßt. Wann fährst du endlich nach Wiesbaden zur diesjährigen Generaluntersuchung?«

      »Dieser Quacksalber!« kontert der Selbstherrliche. »Ich fühle mich pudelwohl.«

      »Du sollst dich ja auch nicht ansehen lassen, weil du krank bist, sondern weil du gesund bleiben sollst.«

      »Der alte Grams, dessen Unternehmen ich gerade gekauft habe – das steckte hinter meinem Ausflug an die Côte d’A-zur –, verbrachte vier Wochen in einem berühmten Sanatorium. Die Ärzte machten ihm vor dem Abschied am letzten Tag noch ein Elektrokardiogramm und versicherten ihm nach der Auswertung des EKG, daß er mit diesem Herzen mindestens noch zwanzig Jahre lang leben könne. Einen Tag später ist er dann gestorben. Am Herzinfarkt.« Er lacht trocken »Was nützt also die ganze Vorsorge?«

      »Zumindest beruhigt sie die Nerven«, entgegnet Iris. »Und die Angehörigen.«

      »Gesundheit ist Charaktersache«, albert der Mann mit dem glatten Teint, der leichten Hakennase und dem mächtigen Kinn.

      Iris weiß, daß er mit den Ärzten umgeht wie mit seinen Angestellten: Eröffnet ihm ein Mediziner einen Befund, der ihm nicht paßt, geht er zum nächsten Weißkittel und erzählt ihm prompt, warum er den Vorgänger wechselte.

      »Meinst du denn, daß meine Kräfte nachlassen?«

      »Das nicht«, entgegnet Iris und setzt anzüglich hinzu: »Bestimmt nicht die Manneskräfte.«

      »Na, also.« Kamossa lächelt geschmeichelt. Er zieht die junge Frau an sich, streichelt sie mit kundigen Händen, spürt das Verlangen wie eine Stichflamme. Er hebt sie hoch und versucht die fuchtelnd um sich Schlagende ins Haus zu tragen.

      »Nicht jetzt«, sagt Iris und strampelt sich frei. »Und nicht hier.«

      »Wann dann?« fragt er keuchend.

      »Wenn ich bereit bin, dir dein Verhalten zu verzeihen«, entgegnet sie lächelnd. »Und dann an jedem Ort, wo du es wünschst.« Sie sieht auf die Uhr. »Entschuldige Henry, ich bin beim Coiffeur angemeldet.«

      Kamossa gelingt es nur mit Mühe, eine Verärgerung hinunterzuschlucken, wie sie nahezu alle Männer spüren, wenn ihr Spontanverlangen abgelehnt wird.

      Budde, der Freund und Vertraute des Hausherrn, hat von seinem Arbeitszimmer im ersten Stock aus unfreiwillig die Szene verfolgt und dabei festgestellt, daß sich Henry wieder einmal zum Narren macht. Er konnte Kamossas Rolle als unaufhaltsamer Macho nie etwas abgewinnen, aber der Allgewaltige, jenseits der besten Jahre, der von seiner viel zu jungen Frau zunehmend beherrscht wird, gefällt ihm noch weniger.

      König Salomon, der Weise, hat sich in alttestamentarischen Zeiten im hohen Alter blutjunge Mädchen ins Bett geholt, um sich durch ihren Atem verjüngen zu lassen. Obwohl nicht überliefert ist, ob die Prozedur geholfen hat, wird sie seitdem von weit weniger salomonischen Männern häufig angewandt.

      Budde nimmt Zeitungen und Briefe vom Schreibtisch und geht nach unten. Er hat eine fast lautlose Art, sich zu bewegen. Seine mittlere Statur ist eigentlich das einzig Durchschnittliche an ihm. Schon auf den ersten Blick wirkt er wie ein Mann, der mehr denkt, als er spricht. Der 45jährige hat eine hohe Stirn, dichte Augenbrauen in einem straffen Gesicht mit einem knappen Mund. Auffallend sind seine Augen mit ihrer fast suggestiven Kraft. Der promovierte Volkswirt – mit Ausbildung in London und New York – wirkt gewandt und sportiv, ein Mann, wie er Frauen gefällt, ihnen aber nicht nachläuft. Nach seinem ersten Eheflop vor Jahren ist er dem schönen Geschlecht gegenüber kritisch, zudem fehlt ihm auch die Zeit für Affären. Verheiratet ist er allenfalls mit Kamossas Lebenswerk, und zwar monogam. Als Groß-Wesir dieses Titanen unterzeichnet er Schecks bis zu einer halben Million ohne Rücksprache und trifft auf eigene Faust heikle Vereinbarungen, die vom Konzernchef hinterher ausnahmslos abgesegnet werden. Seit vielen Jahren rätselt die Branche, was die beiden Männer miteinander verbinden könnte. Echte Freundschaft traut man dem Top-Aufsteiger so wenig zu wie familiäre Bande zu seinen Söhnen und seiner Tochter. Daß Kamossa mit Leuten arbeitet, die ihm ergeben sein müssen, weil er zuviel über sie weiß und sie dadurch beherrscht, ist allgemein bekannt.

      »Hast du Zeit für mich, Henry?« fragt der Stellvertreter und weist auf einen Berg Zeitungen. »Nur die ›Süddeutsche‹ und die Frankfurter« bringen erste Meldungen über deinen Grams-Coup, versehen sie aber noch mit einem Fragezeichen«, schießt er los. »Der richtige Sturm wird erst morgen losbrechen«, vermutet der Vertraute. »Auch bei den anderen Posteingängen ist nichts, womit du dich befassen mußt.«

      »Geh ins Wohnzimmer, Micha, und spul’ das Tonband zurück. Hör dir mein Gespräch mit Kronwein an«, fordert ihn Kamossa auf und erwägt einen Moment lang, den vermutlichen Bettelbrief – vielleicht auch ein Reklameschreiben – ungeöffnet wegzuwerfen.

      Er schneidet den Umschlag auf.

      Die Worte, aus verscheidenen Zeitungen ausgeschnitten, sind sorgfältig zu einer Nachricht aufgeklebt wie bei einer Kidnapper-Forderung:

      An henry kamossa

      liest er, und die Buchstaben kreiseln ihm vor den Augen.

      Hiermit kündige ich ihnen im namen zahlloser geschädigter an, dass ich ihre unnötige existenz beenden werde: ich bin kein erpresser. ich will kein geld und würde keine noch so hohe summe jemals von ihnen annehmen!

      Ich werde ihre kriminellen machenschaften zug um zug vor der öffentlichkeit aus-breiten wie auf einem mistbeet. sie wissen, dass es eine ununterbrochene kette von manipulationen, nötigungen, erpressungen, steuerhinterziehungen, betrügereien und urkundenfälschungen ist.

      Ich werde die faulen beziehungen zu ihren politkumpanen ebenso entlarven wie die gemeinheiten ihres privatlebens und die behandlung ihrer frauen und mätressen. ich könnte sie mit einem schlag vernichten, aber ich mæchte, dass sie vorher noch empfinden, was sie anderen angetan haben. dass es sich hier um keine leeren drohungen handelt, werde ich ihnen umgehend beweisen.

      Einer im namen vieler.

      Kamossa knallt den Brief auf den Tisch, nimmt ihn noch einmal zur Hand und steckt ihn dann ein. Er schmeckt die Galle im Speichel, spuckt ihn aus, aber er kann einen widerlichen Geschmack nicht loswerden. Er spürt ein Stechen in der Brust und schluckt eine Pille.

      Er stapft in die Wohnhalle, wo Budde zum zweiten Mal die Gesprächsaufzeichnung mit Kronwein abhört. »Diesen Konsul hast du ja prächtig ins Leere laufen lassen, Henry«, stellt er fest.

      Erst jetzt fällt ihm auf, daß Kamossa verändert wirkt. »Der Brief?« fragt er.

      »Hier«, sagt Kamossa und überreicht ihm das Schreiben. Budde betrachtet den Umschlag mit dem Poststempel Locarno, das auffällige gelbe Papier. Dann liest er langsam, bedächtig, so gründlich, als müßte er jedes Wort einzeln buchstabieren. Sein Gesicht wirkt dabei konzentriert und unbewegt wie immer.

      Er lehnt sich zurück, denkt einen Moment lang angestrengt nach.

      »Wenn dieser Schmierfink Geld verlangen würde, wär’ es mir


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