Nach mir komm ich. Will Berthold

Nach mir komm ich - Will Berthold


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bleibt Patrick stehen, starrt ein Plakat an, fürchtet einen Moment lang, daß ihn das Gesöff um den Verstand gebracht hat, was er insgeheim schon länger befürchtet.

      Allmählich begreift er, daß er keine Fata Morgana der nächtlichen Ausschweifung erlebt, sondern vor einem nachgemachten Fahndungsplakat steht. Unter den großen Lettern Wanted – prangt das Foto seines Vaters.

      Darunter steht:

      Gesucht wird der grossbetrüger henry ka-mossa wegen bestechung, erpressung und anstiftung zum mord. vorsicht bei der festnahme. der täter ist mit millionen bewaffnet.

      Patrick reißt das Plakat ab, knüllt es zusammen und steckt es in die Tasche. Auf dem Weg zur ›Residenza Fortuna‹ stellt er fest, daß weitere Plakate neben einer Bank und auf der Auslagenscheibe eines Lebensmittelladens angebracht sind.

      Er steigt die Treppen hoch zur Collina, dem Monte Verità entgegen, dem Berg der Wahrheit, auf dem zu Beginn dieses Jahrhunderts vegetarische Naturapostel in weißen Hemden begonnen hatten, das Gelände zu erschließen und ihre Nahrung selbst anzubauen. Die ersten Aussteiger und Vorläufer der Hippies, hatten seinerzeit auch den Besitz des Kamossabesitzes erschlossen, den Patrick jetzt betritt. Prompt läuft er dem Hausmeister seines Vaters in den Weg.

      »Ausgeschlafen?« fragt ihn Budde anzüglich.

      Statt einer Antwort zieht der Spätheimkehrer das Plakat aus der Tasche, entfaltet es. »Hier, Doktor«, kontert er.

      Der Manager sieht sich das Plakat genau an: schlechtes Papier, schlechter Druck, unscharfes Foto. Der Text paßt zu dem anonymen Brief von gestern morgen und vielleicht auch zu dem Manuskript, mit dem Verleger Kronwein wedelte.

      Er stellt fest, daß sich der Hausherr gerade mit seiner Frau am Swimmingpool tummelt und das Mädchen dabei ist, das Frühstück aufzutragen, Er entschließt sich, den Kamossas vorerst nicht die Laune zu verderben.

      Der Mann für alles holt den kleinen BMW aus der Garage und fährt mit Patrick los. Sie drehen eine Runde durch Ascona und stellen dabei fest, daß im Borgo neben der ›Banca dello Stato‹ zwei Uniformierte ein Pseudo-Fahndungsplakat entfernen.

      Sie rollen weiter und lassen den Wagen vor dem Rathaus stehen.

      Polizeichef Farinelli, ein Mann von kräftiger Statur, mit grauen Haaren, grauen Augen und einem grauen Schnauzbart empfängt sie höflich und zuvorkommend. »S’accomodi«, fordert er die Besucher auf und deutet auf die Stühle. »Kaffee, Dottore?«

      »Grazie«, erwidert Budde und präsentiert Patricks Beutestück.

      »Ich weiß, was da heute nacht passiert ist«, sagt der Uniformierte. Er spricht fast perfekt Deutsch, ebenso wie Englisch und Französisch; das ist auch nötig, er hat viel mit den im Tessin angesiedelten Ausländern zu tun. Keine größeren Verbrechen bisher – ohnedies müßte er sie an die Kantonspolizei abgeben –, aber die typischen Delikte einer Vergnügungsgesellschaft, deren Spielregel alles erlaubt außer der Armut. »Ich habe sofort veranlaßt, daß diese – diese porcheria entfernt wird«, eröffnet Farinelli. Als Chef der dem Bürgermeister unterstellten Gemeindepolizei ist er so etwas wie ein halber Kurdirektor. »Es tut mir leid, daß ausgerechnet Signor Kamossa, dem Ascona soviel verdankt, auf diese häßliche Weise beleidigt wurde.«

      »Besten Dank, Signor Farinelli«, erwidert Budde. »Wir würden gern so rasch wie möglich erfahren, wer hinter dieser Gemeinheit steckt.«

      »Wir auch«, entgegnet der Graue grimmig und mustert Patrick einen überlangen Moment lang. »Sie haben also das Plakat als erster entdeckt?« Ohne die Antwort abzuwarten, setzt er hinzu; »Da sieht man einmal wieder, wie nützlich es sein kann, wenn man sich die ganze Nacht in der Isole-Bar um die Ohren schlägt.« Er wickelt seinen Tadel in Bonbonpapier. »Es liegt erneut eine Anzeige wegen nächtlicher Ruhestörung vor. Sagen Sie Ihren Freunden, daß ich ihnen künftig nichts mehr durchgehen lasse. Dies ist meine letzte Warnung. Entschuldigen Sie, Dottore«, wendet er sich wieder an Budde, »wir tun, was wir können. Zeugen haben heute nacht einen jungen Burschen beobachtet, wie er ein Plakat anklebte. Sie kamen aus der Lago-Bar und waren nicht ganz nüchtern. Sie gerieten mit dem Täter in einen Wortwechsel. Der Mann machte sich davon, ohne daß sie ihn festhalten konnten.«

      »Hat er deutsch gesprochen?«

      »Nein, es war ein Tessiner oder ein Italiener. Das steht fest«, antwortet Farinelli und sieht für einen Moment zum Fenster hinaus. »Er könnte aber auch im Auftrag einer Ihrer Landsleute gehandelt haben.« Gespielt naiv setzt er hinzu: »Hat denn Signor Kamossa Feinde?«

      »Viele«, versetzt Budde. »Neider, Konkurrenten. Sie wissen ja, Signor Farinelli, je höher ein Denkmal steht, desto mehr wird es vom Spatzendreck besudelt.«

      Der Polizeichef lacht. »Wir werden unsere Streifentätigkeit verstärken«, verspricht er. »Wir werden versuchen, die Druckerei ausfindig zu machen, die das Pamphlet erstellt hat. Die Plakate wurden bereits entfernt, bevor sie die Öffentlichkeit richtig sehen konnte; ich glaube nicht, daß sie zum Tagesgespräch werden.«

      »Dafür bin ich Ihnen dankbar. Ich möchte Sie noch bitten, die Geschichte streng vertraulich zu behandeln und mich mit den Fahndungsergebnissen auf dem laufenden zu halten. Zudem möchte ich – intern natürlich – eine Belohnung von 5000 Schweizer Franken aussetzen.«

      »Das ist sehr großzügig von Ihnen. Ich denke, wir werden den Fall im Handumdrehen klären.« Farinelli gibt sich optimistisch. »Sagen Sie bitte Herrn Kamossa, daß ich mich ausdrücklich entschuldige, daß so etwas bei uns passieren konnte.«

      Er sieht den beiden nach. Immer Ärger mit den Fremden, aber das schweizerische St. Tropez verdankt ihnen mehr als überfüllte Parkplätze, Autoraserei, Preissteigerungen, den Lärm der Motorboote auf dem Lago und nächtliche Alkoholexzesse.

      Ascona ist tolerant, seitdem den ›Grasfressern‹ – so hatten die Einheimischen die Naturapostel auf dem Monte Verità verspottet – Exoten aller Art gefolgt waren: Schriellheiler, Zukunftsdeuter, Sektengründer, Scharlatane, Kartenleger, Gesundbeter, Meditations-Gurus, Gaukler und Sexprediger mit den Schwulen und den Lesben im Gefolge. Es kamen aber auch Künstler auf der Weltflucht, berühmte Maler neben solchen, die es sein wollten; weltbekannte Schriftsteller neben Schreibern, die sich ihr Manuskriptpapier erst noch verdienen mußten und in den Hinterstuben der Gasthöfe vor drei, vier mitleidigen Zuhörern ihrer Dichterlesungen veranstalteten.

      Ein Ort, den man kaum auf der Landkarte gefunden hat, ist weltberühmt geworden, weil das einstige Fischernest allen Gastfreundschaft gewährt hatte, den Aussteigern wie den Einsteigern, den Satten wie den Hungrigen, den Verschwendern wie den Nassauern.

      Problemgäste, so dämmert es Polizeichef Farinelli, sind erst die letzten Zuwanderer, die Millionäre mit ihrem Schikkeria-Troß.

      III

      Schon am frühen Morgen strengt sich der neue Sonnentag an, als wolle er den gestrigen an Glanz noch überbieten. Um neun Uhr morgens wirken die Hänge über dem Westufer des Lago wie mit Gold überzogen. Die Sonne klettert weiter, dem Gipfel des Ghiridone entgegen. Der Schönwetterdunst hebt sich wie ein Vorhang über dem See, der Blick reicht jetzt über die Inseln weit nach Italien hinein.

      In den Luxusvillen mit den Parkgrundstücken der Steinreichen, Neureichen und Scheinreichen schlafen die Bewohner noch. Etliche müssen sich vom nächtlichen Alkoholgenuß und Bargeschwätz erholen und Kräfte für die Strapazen des heutigen Müßiggangs sammeln, aber es gibt eine schweigende Mehrheit von Neusiedlern, die keine Schlagzeilen macht und im Tessiner Paradies zurückgezogen und unauffällig lebt, ohne an dem Narrentreiben des Amüsierpöbels teilzunehmen.

      Nicht nur Schwärmer nennen die Region zwischen Locarno und Brissago den schönsten Landstrich der Südschweiz. Noch verschleiert die Blütenpracht, daß der traumschöne Fleck mit der herrlichen Aussicht auf die schneebedeckten Berge von Herrschaftssitzen und Ferienhäusern zersiedelt wurde. Hübsche architektonische Einfälle stehen neben monströsen Protzbauten. Einem der Superreichen ist es gelungen, die untere Strecke eines zweitausend Jahre alten Römerwegs einreißen und für seine Autozufahrt


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