Nach mir komm ich. Will Berthold

Nach mir komm ich - Will Berthold


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allgemeinen Vorwürfe kannst du mehr oder weniger jedem Aufsteiger ab einer entsprechenden Größenordnung machen«, konstatiert Kamossa.

      Dr. Budde nickt zustimmend. »Bei Psychopathen denke ich immer zuerst an rachsüchtige Frauen«, fährt der Analytiker fort. »Du hast ein Leben lang dafür gesorgt, daß daran kein Mangel herrscht. Kannst du die Frauen noch zählen, die dir zürnen oder dich hassen?«

      »Ich bin doch kein Adam Riese, Micha«, spottet Kamossa. »Schließlich ist keine zu kurz gekommen, weder finanziell noch auf der Spielwiese.«

      »Nun gibt es in deinem Vorleben auch Geschichten, bei denen du weniger gut abschneidest«, entgegnet Budde.

      »Das ist mir ziemlich gleichgültig«, behauptet Kamossa. »Heilige sind heutzutage out. Die Frage ist: Gibt es einen Zusammenhang zwischen dem Telefonanruf Kronweins und diesem anonymen Gewäsch?«

      »Dem Verleger ist zuzutrauen, daß er deine Lotter-Biographie von seinen Leuten zusammenschreiben läßt, sie dir anzudrehen versucht und sich dabei noch als wahrer Freund aufspielt. Ich schlage vor: Halt ihn hin, und wir gehen dieser Frage auf den Grund.«

      »Richtig, Micha«, sagt Kamossa und klopft dem Freund auf die Schulter. Der Chef eines Mischkonzerns von neun selbständigen Firmen und zahlreichen, raffiniert geschachtelten Beteiligungen stapft zum hauseigenen Tennisplatz, wo Patrick dem untersetzten Rechercheur gerade einen Schmetterball hart auf die Linie knallt.

      Schmeißer, der Schnüffler, unterbricht sofort das Match: »Nichts zu machen«, brammelt er. »Ihr Sohn ist einfach unschlagbar.«

      »Im Sport schon«, entgegnet Kamossa gedehnt.

      Er läßt selten eine Gelegenheit aus, seinen Jüngsten vor anderen zu demütigen. Der 24jährige würgt die Beleidigungen stumm hinunter; er hat keine andere Wahl. Er ist von allen Schulen geflogen und sieht zudem seiner Mutter Mabel so ähnlich, daß sein Vater bei jeder Begegnung an die verhaßte Vierte erinnert wird.

      »Sie müssen sofort nach München, Schmeißer«, eröffnet Kamossa seinem Hausdetektiv und präzisiert seinen Auftrag.

      II

      Draußen dämmert schon der neue Tag, aber in der rauchigen ›Isole‹-Bar geht es noch immer hoch her, sosehr der Patron auch versucht, die letzten Nachtschwärmer loszuwerden. Die verlängerte Polizeistunde ist längst abgelaufen, er hat das Schild ›Geschlossene Gesellschaft an die Tür gehängt und abgesperrt. Doch die Runde der letzten neun macht einen solchen Krawall, daß sich die Anlieger morgen mit Sicherheit wieder beschweren werden.

      »Sei doch vernünftig, Ferry!« fleht der Pächter. »Was habt ihr denn davon, wenn mir die Polizei den Laden dichtmacht? Nimm deine Freunde mit – ihr könnt doch bei dir zu Hause weitersaufen.«

      Ferry, der zweitjüngste Grams-Sohn, ist der Wortführer seiner vier Kumpane, alle zwischen 20 und 30 und, bis auf einen, Söhne aus superreichen Häusern, geübte Trinker, gute Sportler und routinierte Verführer, doch alle fünf mehr oder wenig unfähig, einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Ihre vier Begleiterinnen, die blonde Marion, Nina, die Dunkelhaarige, die rote Daisy und die brünette Doris, sortiert wie aus einem Farbkatalog, sind jung, hübsch und unverfroren. Von keiner würde man annehmen, daß sie etwas anbrennen läßt.

      »Aber wirklich jetzt die letzte Flasche.«

      Der Patron gibt noch einmal nach und stellt den Schampus auf den Tisch.

      »Und dann kommst du am besten gleich mit uns«, lädt ihn Ferry ein. »Wenn du heute nacht noch etwas vom Leben haben willst.«

      »Ich muß doch noch die Abrechnung machen. Aber ich komm später nach. Ganz bestimmt.«

      »Dann will ich dich inzwischen mal scharfmachen«, entgegnet der 28jährige Berufserbe, der auf schnellstem Weg den goldenen Löffel versilbert mit dem er zur Welt gekommen ist. »Zeig mal, was du hast, Marion!« fordert er den 20jährigen Busenstar an seiner Seite auf. »Gleich werden dir die Augen übergehen, Rio.« Er knöpft seiner Favoritin die Bluse bis zum Nabel auf, legt ihre freitragenden Werte offen. »Zier dich doch nicht so! Faß mal an, Rio! Alles Marions Kapital: fest und griffig.« Ferry streichelt die Rundungen, bis die Knospen stehen. »Solche Titten findest du in ganz Ascona nicht mehr«, stellt er kennerisch fest, als wüßte es Rio nicht längst.

      Die Feriensaison wird erst in den nächsten Wochen richtig anlaufen. Junge Männer sind in der ›Zeit der Haselnüsse‹ – so nennen die Tessiner die Zwischenzeit – Mangelware. Die Mädchen an ihrer Seite genießen es, sich nicht wie während des Winters mit Methusalem-Machos herumplagen zu müssen. Sie gehören zum Bild des einstigen Fischernests, späteren Künstlerorts und heutigen Millionärtreffs wie die kleinen Pinten, idyllischen Winkel, die Boote und die Möwen.

      Die hübschen weiblichen Dauergäste sind hier absichtlich oder zufällig hängengeblieben und schlagen sich mehr schlecht als recht durch. Einige arbeiten tagsüber regelmäßig, andere schlafen bei Tageslicht und gammeln nachts vor sich hin. Alle aber warten sie auf die Chance ihres Lebens, die Hochzeit mit einem alternden Nabob oder noch besser dessen Sohn. Tatsächlich schafft es die eine oder andere, während bei den Anläufen der übrigen nicht mehr herausschaut als ein warmes Nachtmahl mit anschließendem Barbesuch nebst nachfolgender Rückzahlung im Bett.

      »Bevor du weinst, Rio, verlassen wir dich jetzt«, sagt der junge Grams zum Hausherrn. »Die Rechnung. Ihr seid alle meine Gäste«, verkündet er großkotzig.

      »Quatsch!« erwiderte Patrick. »Meinst du, wir sind Nassauer?«

      »Du hast’s nötig. Dein Alter zahlt dir doch höchstens ein Laufburschengehalt«, fordert er Kamossas Benjamin heraus.

      In das Gelächter hinein erwidert der Verspottete kleinlaut: »Er kann auch sehr spendabel sein.«

      »Aber Weihnachten ist öfter«, albert der Gastgeber. »Du bleibst noch lange auf Taschengeld gesetzt. Dein Erzeuger hält sich noch ziemlich flott auf den Beinen. Geduld, Patrick, eines Tages wirst du an die große Kohle rankommen.«

      »Und dann heißt’s teilen«, prophezeit Schampi hämisch. Der einzige Sproß einer Großbrauerei führt den Spitznamen wegen seiner Vorliebe für das Nobelgetränk. »Mindestens die Hälfte für die schwarze Iris, deine Stiefmutter, die Schönheitskönigin, und je einen Löwenanteil an Schwester und Bruder sowie an die vier Geschiedenen.«

      »Die sind doch längst abgefunden«, unterbricht Patrick verärgert. »Außerdem sind es nur drei«, korrigiert er. »Eine ist gestorben.«

      »Ich hab ’ne Patentlösung für dich, Patrick«, lästert der junge Grams. »Sieh zu, daß du den Alten irgendwie um die Ecke bringst und heirate deine Stiefmutter.«

      »Ganz schön geschmacklos«, versucht der Gefoppte das wiehernde Gelächter zu übertönen. Er hat zuviel getrunken. Alles dreht sich ihm vor den Augen wie ein Karussell – die Mädchen, die Kumpane, der Tisch. Er spürt, wie ihm der Schampus hochkommt, und stemmt sich dagegen, schluckt und rülpst.

      »Dann«, lästert Ferry weiter, »kannst du uns alle einladen.« Er droht an seinem Lachen zu ersticken. »Zur Hochzeit.«

      »Halt sofort die Klappe, oder ich polier dir die Fresse, Ferry!« Der Verspottete rafft sich auf und verläßt den Raum, um draußen frische Luft zu schnappen. Er lehnt sich mit dem Rücken an die Wand und fragt sich, warum er nicht endlich nach Hause geht. Er findet keine Antwort, und so versäumt er den Absprung.

      »Patrick versteht keinen Spaß, wenn es um seine schöne Stiefmama geht«, stellt die rote Daisy fest. »Manchmal glaube ich, er ist in sie verliebt.«

      »Armer Hund«, erwidert Schampi. »Die läßt doch keinen an sich heran.«

      »Zumindest in Ascona nicht – oder wenn der Alte in der Nähe ist«, behauptet Ferry, der Fachmann.

      Sie kennen die junge Frau Kamossa von mehreren Partys, die sie nie ohne ihren Mann besucht. Iris flirtet gern, geht dabei aber nie zu weit. Wie alles, was sie nicht erreichen können, provoziert ihr Verhalten die jungen Taugenichtse.


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