Colours of Life 3: Nebelschwarz. Anna Lane

Colours of Life 3: Nebelschwarz - Anna Lane


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ist?« Sie löst sich von mir und sieht mich mit gekräuselter Nase an.

      »Wir müssen abhauen.« Ich lasse sie los und reiße meinen Rucksack aus dem Kasten.

      »Ace? Was ist los?«

      Mit zittrigen Fingern stopfe ich einige Pullover und T-Shirts wahllos hinein. Ich gebe mir nur eine Sekunde, um einen raschen Blick über die Schulter zu werfen. »Vertrau mir. Wir müssen verschwinden. Jetzt.«

      »Was?« Violet starrt mich mit riesigen Augen an.

      »Hol deine Jacke.« Sie rührt sich nicht. »Violet, jetzt!«, dränge ich sie.

      Endlich verschwindet sie aus der Tür. Mit einem leisen Fluchen zerre ich mir ein dunkelblaues Sweatshirt über den Kopf. Verdammt.

      Tylers Gedanken schreien noch immer laut. Nachdem ich die Jacke von meinem Schreibtischstuhl gerissen habe, bin ich auch schon zur Tür hinaus. Ganz von selbst findet meine Hand die von Violet, als sie neben mir auftaucht, und mit der anderen taste ich, ob ich auf die Schnelle wirklich die Medikamente gegen Schwindel und Übelkeit in meiner Jackentasche verstaut habe.

      Wir stürzen die Treppe hinunter. Bis wir im ersten Stock angekommen sind, verschwimmen die Stufen vor meinen Augen, und ich bin froh, dass Violet keine Fragen stellt. Momentan erlaubt mir meine Lunge viel zu wenig Luft, um zu sprechen.

      Plötzlich schießt Helena aus dem Gang zu unserer Rechten. »Schnell!« Beinahe verliert sie den Halt, doch sie presst weiter die Akte an ihre Brust.

      Schritte nähern sich, und ich drehe mich um, während ich nach Luft ringe. Tyler stürmt auf uns zu.

      Genau wie Carter.

      »Was steht ihr rum? Nach draußen!« Das Blut auf den Knöcheln von Tylers Hand glänzt im Licht der Deckenlampen.

      »Tyler! Ace!«, bellt Carter hinter uns.

      Diesmal ist es Violet, die mich mit sich nach unten zerrt, aus meiner erschöpften Lähmung heraus.

      »Hol Cam, ich komme gleich nach!« Tylers Brüllen geht in einem Keuchen unter, gefolgt von Faustschlägen und einem bedrohlichen Krachen.

      Violets Finger winden sich immer fester um die meinen, doch ich kann erst in der frühlingskalten Nachtluft richtig atmen. Der Mond über uns ist strahlend hell, und für einen Augenblick fühle ich mich in der Zeit zurückversetzt. Damals, als ich Crys nachlaufen wollte, aber nur Cam sie einholen konnte. Doch diesmal ist es anders. Das spüre ich trotz meiner wankenden Schritte. Trotz des Zuschlagens der Tür hinter mir.

      Plötzlich sind es nicht nur mehr Violets Finger, die mich stützen, sondern auch Tylers fester Griff um meinen Oberarm. Er keucht, während er einen kurzen Blick über die Schulter wirft. Noch folgt uns niemand. Dafür hat er gesorgt.

      »Wir können nicht mehr warten. Scheiße!« Das Blut, das von seiner Stirn über seine Nase und weiter auf sein Kinn hinabläuft, trägt einen genauso bitteren Glanz an sich wie sein wilder Blick.

      »Ist dieser Pack bereit?«, presse ich zwischen den Zähnen hervor. Wenn wir weiter in diesem Tempo rennen, kollabiert meine Lunge. Verdammt, ich will nicht in dieser Straße verrecken, beschwöre ich meine Beine, noch etwas durchzuhalten.

      Beinahe krache ich zu Boden, als Tyler scharf in eine schmale Seitengasse ohne Licht einbiegt. »Hier rein.«

      Er schleift mich über Stufen in den ersten Stock. Das einzige Licht in dem schmalen Gang kommt von – von einem Loch in der Tür? Oder zumindest dringt etwas Helligkeit durch die notdürftig davor befestigte Pappe.

      Neptunes Gedanken springen mich sofort an wie ein aufgedrehter Hundewelpe. Bevor Tyler die Tür aufdrücken kann, wird sie schon von innen aufgerissen. Doch es ist nicht Sebastian, der sich bedrohlich vor uns aufgebaut hat, sondern Cam. Erst eine Sekunde später lässt er die Waffe sinken. »Was ist schiefgelaufen?«

      Tyler lässt mich los und tritt ein. Violet und ich folgen ihm, und ich lasse mich auf das Sofa fallen.

      »Ja, Helena, was ist schiefgelaufen?« Tylers Unterton könnte nicht schneidender sein. Er lässt sich an der Kante des Esstisches nieder.

      Die Tür neben der Kücheninsel geht auf, und Neptune kommt heraus, die Haare auf einer Seite plattgedrückt. Er hebt die Hand, um nicht vom Licht der nackten Glühbirne über dem Esstisch geblendet zu werden. Nach ein paar Momenten lässt er sie wieder sinken, und sein Blick schweift durch den Raum.

      Bis zur Wand neben dem Fenster, an der ein blonder Typ lehnt und uns ausgiebig mustert.

      Mich nicht zu übergeben hat so viel von meiner Aufmerksamkeit eingenommen, dass ich ihn erst jetzt bemerke. Und auch Neptune tut es. Obwohl Pack ihm keinen Blick schenkt, streckt er sich ausgiebig, wodurch sich die Rippen unter seinem nackten Oberkörper deutlich abzeichnen. Wenigstens hat er mit seinem Gedächtnis nicht auch seine Persönlichkeit verloren – immerhin macht er sich gerade ernsthaft Gedanken, ob seine dunkelblaue Pyjamahose auch wirklich tief genug auf seinen Hüften sitzt, um Pack wenigstens eine winzige Reaktion zu entlocken.

      Helena schweigt. Zumindest ihr Mund tut es. Auch wenn ich nicht ihre Gedanken lesen könnte, wüsste ich sofort, was los ist. Ihre Augen sprechen laut.

      »Sie wollte das Dokument unter der Nase ihres Vaters klauen.« Tylers Augen verengen sich zu Schlitzen. »Wie dämlich muss man sein.« Sein gehässiger Tonfall geht mir durch und durch.

      Und das war’s dann mit Helenas Geduld. »Es tut mir leid, okay?«, fährt sie Tyler an. »Ich wollte es ihm beweisen. Ich wollte ihm beweisen, dass ich mehr draufhabe, als er mir zutraut. Mehr als ihr mir zutraut.«

      Neptune weicht ihrem anklagenden Blick aus.

      Cam entfährt ein tiefes Seufzen, und er massiert sich die Nasenwurzel. In der anderen Hand hält er noch immer die Pistole. »Hier sind wir sicher. Wenigstens für einen Moment.« Seine Gedanken sind so träge wie seine gesamte Ausstrahlung. Träge ist das falsche Wort. Geschlagen trifft es eher. Obwohl die neue Hoffnung ihn zwingt, sich aufrecht zu halten, ist sein innerstes Ödland. Die Erschöpfung hat sich nicht nur in seine eingesunkene Haltung geschlichen, sondern in tiefere Schichten.

      »Habt ihr die Akte?« Packs tiefe Stimme fährt mir in die Knochen. Ich höre ihn zum ersten Mal sprechen.

      Bevor Tyler den Mund aufmachen kann, werfe ich ein: »Wieso kann ich deine Gedanken nicht lesen?«

      Es ist wie bei Crys.

      Pack zieht nur nachlässig eine Augenbraue in die Höhe. »Glaubst du wirklich, mein Vater macht mich nicht immun gegen die Fähigkeiten, die er durch seine Drogen in die Welt getragen hat? Er ist kein Idiot.«

      Cam verzieht die Lippen.

      »Warum kann ich dann deuten, ob du lügst oder nicht?« Tyler zieht die Augenbrauen zusammen.

      »Lügen zu erkennen funktioniert anders als Gedankenlesen. Also? Habt ihr die Akte?« Sein Blick streift kurz mich, ehe er weiter zu Violet gleitet. Für einen Augenblick ruht er auf ihr, und ich festige meinen Griff um Violets Finger, ehe Pack Tyler ansieht.

      »Wenn wir heute abhauen können, kriegst du sie. Besser gesagt jetzt, weil Carter uns sicherlich schon das gesamte Requiem auf den Hals gehetzt hat.« Tyler schüttelt den Kopf. »Hoffentlich ist der ganze Scheiß es wert.«

      »Ihr seid aus dieser Anstalt entkommen. Und jetzt überlegst du wirklich, ob wegzulaufen es wert ist, deine eigene Freiheit zu behalten?« Pack lacht kurz auf und stößt sich von der Wand ab. Langsam geht er auf Tyler zu, bis er dicht vor ihm stehenbleibt. »Du weißt ja gar nicht, was da draußen abgeht«, raunt er.

      Cam greift zu seiner Jacke und streift sie sich über. Die Pistole steckt er hinten in den Gürtel seiner schwarzen Hose. »Lasst uns verschwinden. Carter ist kein Idiot, irgendwann hat er uns.«

      Pack bricht den Blickkontakt und sieht über Tylers Schulter zu Cameron. »Wir sollten uns aufteilen. Eine so große Gruppe fällt auf.«

      Cam nickt zustimmend.

      »Ich gehe mit Pack.«


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