Colours of Life 3: Nebelschwarz. Anna Lane

Colours of Life 3: Nebelschwarz - Anna Lane


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wollen, um zu sehen, wie weit ich komme. Aber mein Körper ist gelähmt, mir entrissen, während mein Geist fast an seiner Wut erstickt. Dabei glauben sie, es ist Angst. Angst, die mich vor ihrem Auftrag zurückschrecken lässt. Aber nicht die Irish Army wirft ihre langen Schatten voraus, sondern ich.

      Diese Dunkelheit in mir … Sie ist unheimlich, weil ich sie nicht einschätzen kann. Ist da noch irgendetwas von Crys übrig?

      Nein. Ich habe keine Angst vor dem Krieg, nicht mehr.

      Was ich fürchte, bin ich selbst.

      Ace

      Ich träume oft von Crys. Außer heute. Heute liege ich wach, und obwohl es fast schon Mitternacht ist, genieße ich die Ruhe in meinem Körper. Die Schmerzfreiheit, wenn meine Zellen sich zumindest für ein paar Stunden schlafen legen, damit sie am Tag darauf wieder gegen die Leukämie kämpfen können. Auch wenn mich Violets Wärme in meinem Bett beruhigt, bin ich froh, allein zu sein.

      Ihre Gedanken haben eine Sanftheit an sich, die mich zur Ruhe kommen lässt. Aber es sind noch immer Gedanken. Gedanken, die in meinem Kopf widerhallen, als wären sie meine eigenen. Die von einer Verliebtheit erzählen, die ich erwidern will. Ich liebe Violet. Sie ist der Anker, der mich davon abhält, von mir selbst abzudriften. Aber ich liebe auch Crys. Und Crys ist so verlockend wie die Weite des Meeres, die ich nie ganz erkunden werde können.

      Fast hätte mich der Duft von Violets Shampoo in den Fasern des Kissens in den Schlaf gelullt, doch Tylers Gedanken schneiden scharf durch meine Hirnzellen.

      Mit einem Schlag sitze ich aufrecht im Bett. Die Wörter in meinem Kopf, die mir entgegenspringen, werden immer klarer, je näher er kommt.

      Ich kann sie lesen, als kämen sie aus meinem hasserfüllten Inneren und nicht aus seinem.

      Im selben Moment, in dem die Tür ohne ein Klopfen aufgeht, bin ich auf den Beinen.

      »Wir müssen abhauen!«, zischt Tyler: »Wir wissen, wo Crys ist!»

      Das Licht geht an, und ich wanke kurz. Die Helligkeit sticht in meinen Augen, und es dauert eine Weile, bis ich die Hand von meinem Gesicht nehme.

      »Du siehst scheiße aus.«

      »Gerade nicht unser größtes Problem, oder?«

      Ein bitteres Lachen entfährt Tyler, während er zum Schreibtisch am Fenster geht und sich in den Stuhl davor fallen lässt. Seine Sporttasche lässt er achtlos zu Boden sinken, genau wie seine dunkelblaue Jacke. »Dieser Pack lügt nicht. So viel steht fest. Aber irgendetwas stimmt nicht mit ihm.« Seine Brust hebt und senkt sich in einem tiefen Einatmen.

      »Ich soll ihn abhören.«

      »Das machst du doch sowieso bei jedem. Also kannst du das auch bei ihm machen.«

      »Unfreiwillig.«

      Er zuckt mit den Schultern. »Unfreiwillig ist dein zweiter Vorname, was?« Ein schwaches Lächeln stiehlt sich auf sein Gesicht, das bereits nach ein paar Sekunden wieder verschwindet.

      »Wieso zur Hölle wollen sie uns verkaufen? Carter hat kein einziges Mal daran gedacht.«

      »Weil das Requiem auch nur ein Stall voller Schweine ist. Wir müssen verschwinden, bevor es zu spät ist. Ich will, dass du mir sagst, ob Helena schon die Dokumente über O’Learys Aufenthaltsort besorgt hat. Wenn nicht, dann mach ich’s.« Er setzt noch ein paar Schimpfwörter in Gedanken hinzu.

      Ich verziehe das Gesicht. In den Köpfen anderer Leute herumzustochern ist eines der Dinge, die ich am meisten verabscheue. Eigentlich hätte es mir gereicht, jede Sprache der Welt zu verstehen. Aber leider ist das nur ein Extra zum Gedankenlesen.

      Mit einem Seufzen lasse ich mich auf die Bettkante sinken und stütze die Arme auf den Knien ab. Je länger ich krank bin, desto schwerer fällt es mir, mich zu konzentrieren.

      Es dauert ein paar Minuten, bis ich Helenas Gedanken lokalisiert habe. Augenblicklich legt sich ihre Traurigkeit auch über mich, wird zu der meinen, vermischt sich mit meinem eigenen Schmerz. Neptune. Ich beiße die Zähne zusammen, um ihr Innerstes nicht an mich heranzulassen. Denn es ist einfach, die Wut in Tylers Kopf abzuschütteln. Ich bin selten wütend. Aber Traurigkeit ist etwas, mit dem ich mich sehr gut auskenne. Die mir mittlerweile wie mein eigener Schatten bekannt ist, weil sie mich überall hin verfolgt. Denn die Wahrheit ist: Ich will nicht sterben. Nicht jetzt, und nicht an Krebs.

      Ich will leben, damit ich das Ende dieses bescheuerten Krieges mitbekomme. Und genau deshalb gebe ich mir mehr Mühe, verkrampfe den Kiefer noch mehr, um meinen Verstand gegen den von Helena zu legen. Ihn einzuhüllen, bis er sich nahtlos in den meinen einfügt. Dabei fühlt sie nichts, meine Versuche bleiben für sie unbemerkt. Und ich? Ich fühle umso mehr.

      Ich blinzle ein paarmal, dann sehe ich Tyler an. »Sie will sie heute Nacht holen.« Ich lausche. Helenas innerliche Unruhe packt mich, wird zu meiner eigenen. Mein Bein beginnt auf und ab zu wippen. »Es ging ihr schon mal besser. Sie ist abgelenkt.« Sie will Neptune beeindrucken. Insgeheim hofft sie aber auch, dass es ihm irgendwo anders besser gehen könnte. Nicht in dieser Stadt, in der ihn so viele kennen und in der er nie die Zeit kriegen wird, die er braucht, um sich zu erinnern.

      »Scheiß Gefühle. So was musste ja passieren.« Tyler lässt seine Knöchel knacken und leckt sich über die Lippen. »Ich mach’s. Ich traue ihr nicht.« Genauer gesagt keinem von euch, setzt er in Gedanken hinzu. »Du kommst mit.«

      »Aber was ist mit-«

      »Keine Ahnung. Ich habe keinen verdammten Schimmer, was abgeht. Und was passiert, wenn wir diese Akte haben. Besser, du packst deine Sachen.«

      »Violet?« Mir wird übel.

      »Ich kann nicht Gedankenlesen. Woher soll ich wissen, ob er sie eingeplant hat?« Er schüttelt den Kopf, nimmt seine Sachen und geht zur Tür. Bevor er die Klinke runterdrückt, hebt er noch einmal den Kopf. Ein tiefes Einatmen hebt seinen Brustkorb. »Und es ist mir auch egal. Verdammt, ich will nur meine eigene Haut retten, klar? Immer dreht sich alles um Crys. Und was ist mit uns?« Er wirft einen kurzen Blick über seine Schulter zu mir. »Wann können wir endlich frei sein?«

      Wann wirst du endlich frei von ihr sein?, setzt er in Gedanken hinzu, nachdem die Tür hinter ihm zugefallen ist und die Schritte sich hastig entfernen.

      Ein kurzes, heiseres Lachen entfährt mir. Er weiß auch genau, was Sache ist.

      Ein Zittern läuft mir den Rücken hinunter. An Schlaf ist nicht mehr zu denken, deshalb erhebe ich mich mühsam vom Bett und gehe zum Fenster. Draußen glänzen die Pflastersteine nass im Licht der Straßenlaternen. Meine Augenbrauen wandern zusammen. Crys. Ein tiefes Ausatmen lässt meine Schultern herabsinken. Erleichterung beginnt, sich in jeder Faser meines Körpers auszubreiten, und für einen Moment fühle ich mich nicht mehr krank, sondern hoffnungsvoll. Denn wenn Crys alles, das ihr widerfährt, überleben kann, kann ich es auch.

      Ein sanftes Klopfen an der Tür lässt mich zusammenzucken. Zwischen all den Gedanken, die mir im Kopf herumwirbeln, habe ich ihre tatsächlich übersehen. »Komm rein.«

      Violet tut alles sanft. Ihre Gedanken tragen Samthandschuhe. Sie spricht mit Ruhe und Besonnenheit und genauso behutsam schließt sie auch die Tür hinter sich.

      »Was wollte Tyler?« Ihre Lippen, die mit ihrem hellen Rosa sofort anziehend auf mich wirken, als ich mich zu ihr umdrehe, sagen nicht das Gleiche wie die Wörter in ihrem Kopf. Sie macht sich Sorgen um mich.

      Ich gehe ein paar Schritte auf sie zu und ziehe sie dann langsam an mich. Das satte Grün ihrer Augen leuchtet, und während sie zu mir hochblickt, weiß ich, dass ich verloren bin. An sie. An Crys. Und das ist verdammt verdreht.

      »Wir wissen, wo Crys ist.« Meine Stimme ist so leise, dass ich beinahe denke, sie hat mich nicht gehört.

      Dann weiten sich ihre Augen, und die ersten Tränen entwischen ihren Wimpern. »Seid ihr sicher?«

      Ich nicke.

      Das Lächeln, das sich auf Violets Gesicht ausbreitet, lässt auch mich grinsen. Wir umarmen


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