Colours of Life 3: Nebelschwarz. Anna Lane

Colours of Life 3: Nebelschwarz - Anna Lane


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Beinahe befürchte ich, dass Helena eine Szene macht, doch ihre Stimme bleibt ruhig.

      Was soll ich darauf antworten? Wenn ich ehrlich bin, war das Kopfkino mit Pack sehr aufregend. Scheiße, wie gerne würde ich seine vollen Lippen auf meinen spüren. Bei dem Gedanken von meinen Händen in seinem blonden Haar schießt mir Hitze in den Nacken. Oder meine Zähne an dieser messerscharfen Kieferpartie entlang gleiten lassen und dann-

      Plötzlich springt sie auf. »Danke für die Porno-Privatvorstellung!« Sie schnappt sich den Pullover vom Boden und zerrt ihn sich über den Kopf. Das gezischte Arschloch dringt gedämpft unter dem Stoff hervor.

      Was? Ich brauche etwas, um zu verstehen, was passiert ist. Fuck. Wieso kann ich diese verdammte Sache mit den Gedanken scheinbar nicht kontrollieren?

      »Helena!«

      »Keine Sorge, Sebastian, ich besorge euch die bescheuerten Dokumente!«

      »Darum geht es doch gar nicht!« Klar geht es auch um das, aber ich will, dass wir uns wieder vertragen. Helena war für mich da, als mich jeder sonst verlassen hat. Sie hat sich bemüht, damit ich mich wieder erinnern kann, wenn auch erfolglos.

      Doch sie ignoriert einfach meinen Versuch, sie zu beruhigen. Glitzern in ihren Augen etwa Tränen? Im Halbdunkel lässt sich das schwer erkennen. »Aber damit das klar ist, das mache ich nur, um meinem Vater eines auszuwischen.«

      4. Kapitel

      And hear you not the thrushes calling,

      Calling us away?

      O Cool Is The Valley Now– James Joyce

      Crys

      Die Wolken rollen über den nachtschwarzen See wie ein unheilvolles Omen, das für mich bereits zu spät kommt. Ich habe mich bereits seit einiger Zeit gefragt, wann es so weit sein wird. Wann sie mich dazu zwingen werden, meine Gabe einzusetzen.

      »Wieso ich?« Mein Atem beschlägt die Scheibe. Die steinernen Wände der Abtei, die einem Teil des russischen Militärs als Unterschlupf in Irland dient, halten die Wärme nur schwer in den Räumen. Mich fröstelt, und ich ziehe mir meine Strickjacke enger um die Schultern.

      »Weil du etwas kannst, das sonst niemand kann.« Michails Stimme ist genauso dunkel wie die von Cam. Jedes Mal, wenn ich mit ihm spreche, würde ich mir am liebsten die Ohren zuhalten. Der Schmerz in mir ist zu groß und die Last auf meinen Schultern ebenso. Ich soll einen Krieg für Russland gewinnen? Dass Michail das überhaupt noch ansatzweise erwägt, müsste mich eigentlich in schallendes Gelächter ausbrechen lassen.

      Nach außen hin bleibe ich ruhig. Denn meine Emotionen haben mich erst an diesen Punkt gebracht. Der Wunsch nach mehr als einem Verrotten in der Anstalt. Das tiefe Band zu meiner Schwester. Die Liebe zu Cam. Gefühle zu zeigen bringt mich nur in Schwierigkeiten. Und obwohl Michail der Vater von Cam, Riley und Liam ist, traue ich ihm nicht über den Weg. Bis jetzt haben weder er noch Cynthia mich in irgendeiner Form schlecht behandelt, genauso wenig wie die Handvoll von Vertrauten, die in diese Operation eingeweiht sind. Doch ich wusste, sie würden Forderungen an mich stellen, irgendwann. Wieso hätten sie sonst diese hohe Summe für mich bezahlt? Sicher nicht, um mir aus Nettigkeit die Freiheit zu schenken.

      »Ich habe keine Wahl, nehme ich an.« Mit einem tiefen Seufzen drehe ich mich endlich zu Michail um, der zusammen mit Sergej an dem riesigen Esstisch aus Mahagoni sitzt. Vor ihnen sind Pläne von Dublin ausgebreitet, auf denen rote Kreuze und Pfeile eingezeichnet sind.

      »In diesen Zeiten hat niemand eine Wahl, Crystal.«

      In Gedanken korrigiere ich ihn.

      Michails Stirn liegt in Falten, während er die Hände auf der Tischplatte verschränkt. »Wir müssen einen Feind nach dem anderen ausschalten. Und wenn wir Irland haben, stehen wir kurz vor dem Sieg. Hier hat der Krieg begonnen, und hier wird er auch enden. Verstehst du das? Eine Schlacht um die andere. Einen Sieg um den anderen. Schlacht und Sieg. Das ist unser Leitsatz, der uns hilft, nicht unterzugehen.«

      Sergej bleibt wie immer stumm. Ich weiß nicht, ob es daran liegt, dass er unsere Sprache nicht versteht oder ob er einfach nichts zu sagen hat. Hätte ich die Wahl, würde ich wohl auch den Mund halten.

      Als ich nichts erwidere, fährt Michail fort: »Die Irish Army plant etwas Großes. Sie haben unseren Informanten umgebracht, bevor er irgendetwas Nützliches an mich weiterleiten konnte. Er ist spurlos verschwunden, Gott weiß wo sie seine Leiche verscharrt haben.« Er reibt sich über das Gesicht. »Wir müssen erfahren, was vor sich geht. Wenn wir ihnen zuvorkommen, können wir vielleicht dazu beitragen, dass der Krieg endet.«

      Und dass Russland gewinnt, setze ich in Gedanken hinzu. »Ich bin nicht die Richtige, um diesen Krieg zu beenden. Es gibt tausende von Soldaten, die dafür besser qualifiziert wären.« Nur mal, um das Offensichtliche laut auszusprechen. Mir fehlt Kampferfahrung. Und Mut obendrein. Wieso will er mich also allein losschicken? Ich bin kein Spion, wurde nie vom Requiem ausgebildet.

      Ich verschränke die Arme und nehme einen tiefen Atemzug. Eigentlich verlange ich nicht viel vom Leben. Ich will nur in Ruhe gelassen werden und, wenn ich ehrlich mit mir selbst bin, meine Wunden lecken. Den Schmerz verarbeiten, den ich über all die Jahre erfahren und zugefügt habe. Um ihm zuvorzukommen, um vielleicht irgendwie ein Stück von mir zu retten.

      Doch als sich Michail an die mit rotem Stoff gepolsterte Rückenlehne lehnt, weiß ich, dass Widerspruch zwecklos ist. Das russische Militär hat sein Vorgehen schon festgelegt, und ich bin fixer Bestandteil des Plans. Wie lange wird es wohl dauern, bis er mir einen direkten Befehl erteilt, dem ich nicht widersprechen kann? Robert hat mir meinen freien Willen geraubt, und auch wenn ich mich jetzt der Illusion hingeben kann, dass es nicht so ist, dass ich über mich selbst bestimmen kann, ist es bloß eine Frage der Zeit. Vielleicht sind es nur mehr Stunden. Tage. Vielleicht Wochen - bis Michail mir sagt, was ich zu tun habe. Er wird es mit einer Bestimmtheit in der Stimme befehlen, wie sie auch gerade in seinem Blick liegt, als er mich betrachtet, und ich werde mich nicht wehren können.

      Die dunkelgrüne Uniform lässt das Braun seiner Augen leuchten. »Die Irish Army darfst du dir nicht als eine Armee im großen Sinne vorstellen. Sie sind eine kleine Gruppe von Terroristen, gut organisiert, eng miteinander verbunden. Wir haben Männer von uns dahin geschickt. Viele. Doch immer wenn wir dort waren, waren unsere Ziele wie vom Erdboden verschluckt. Ein Mann von uns hat wochenlang in einer der Einrichtungen darauf gewartet, jemanden zu Gesicht zu bekommen. Nur ein Mann von uns war dort.« Er hält den Finger in die Höhe. »Einem von uns haben sie sich gezeigt, dann ist sofort der Kontakt zu ihm abgebrochen. Das war ihre Botschaft an uns.«

      Ich schlucke. »Und wie soll ich, wenn der Soldat …«

      »Du bist stärker. Deine Gabe kann Schaden anrichten. Und sie kennen dich nicht, du bist in keiner militärischen Datenbank. O’Leary hat mir versichert, dass sämtliche Daten aus der Anstalt zu deiner Person vernichtet wurden. Du existierst nicht mehr. In den nächsten drei Tagen wird man dich auf den Einsatz vorbereiten und dich anschließend nach Dublin bringen, an einen sicheren Ort, von dem aus du agieren wirst. Wir werden ein Auge auf dich haben. Dir soll nichts passieren.«

      »Ich bin nicht die Richtige.«

      »Du wirst uns in dieser Sache helfen. Du wirst die Informationen beschaffen.«

      Da ist er, der Befehl. Irgendein Schalter legt sich um, und obwohl der Protest schon von meiner Zungenspitze springen will, fällt er wie gelähmt zusammen, bis ich die Worte runterschlucke. Ich versuche es noch einmal, ein klares Nein in Gedanken. Mein Mund öffnet sich, doch kein Wort dringt heraus.

      »Das ist dann alles.« Als Michail mich entlässt, gehe ich ohne ein weiteres Wort aus dem Raum. Die Stufen ins Erdgeschoss. Vorbei an den wachsamen Augen einiger Soldaten einfach zur Tür hinaus.

      Ich bin dankbar, dass sie mich lassen. Erst als ich draußen im Regen stehe und mein Gesicht zum Nachthimmel strecke, kann ich wieder ruhiger atmen. Die Tropfen auf meiner Haut waschen für einen wundervollen Moment jede Schuld von mir. Nehmen die Pein mit sich, als sie über mein Haar gleiten wie ein liebevolles Streicheln.

      Ich will schreien,


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