Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
Sie etwa behaupten, sie wäre nicht hiergewesen?«
Urban Brandner schüttelte den Kopf.
»Das muß ein Irrtum sein«, sagte er beinahe sanft. »Bestimmt verwechseln Sie mich mit einem, der ebenso oder ähnlich heißt.«
Pfarrer Trenker strich sich nachdenklich über das Kinn.
Sollte der junge Mann sich so geirrt haben? Dann waren sie wirklich vergeblich hierher gekommen. Dabei schien Christian Wiltinger sich seiner Sache so sicher.
»Da kann man wohl nichts machen«, sagte er zu Christian und wandte sich wieder Urban zu. »Sag’ Urban, hättest du denn ein Glas Milch für uns? Das wäre eine gute Stärkung für uns, bevor wir uns wieder an den Abstieg machen.«
»Freilich«, nickte der Alte und deutete auf die Bank. »Hockt’s euch nur her. Ich bring’ gleich die Milch.«
»Meinen Sie, daß er die Wahrheit sagt?« fragte Veronikas Verlobter, nachem Urban in der Sennerhütte verschwunden war.
»Was für einen Grund hätte er, zu lügen?« fragte Sebastian zurück. »Wenn’s wirklich die Enkelin wär’, bräuchte er sie nicht zu verleugnen, oder wüßten Sie einen einleuchtenden Grund?«
Christian zögerte. Immer wieder waren ihm in den letzten Stunden die schlimmsten Gedanken gekommen, doch er wollte ja gar nicht an sie denken.
Allerdings drängten sie sich immer wieder auf.
»Höchstens wenn etwas ganz Schreckliches geschehen ist«, sagte er schließlich. »Dann würde er abstreiten, Veronika zu kennen.«
Er verstummte, denn Urban Brandner trat aus der Tür, zwei Gläser Milch in den Händen. Er setzte sie auf dem Tisch ab.
»Laßt’s euch schmecken«, sagte er und schaute zu, wie sie die kühle Milch in einem Zug tranken.
»Das schmeckt, was?« freute er sich.
Der Pfarrer stand auf und gab Christian ein Zeichen.
»Dank schön, Urban«, sagte er und reichte dem Alten die Hand. »Auch für die Auskunft. Wir machen uns wieder auf den Heimweg.«
Der alte Senner winkte ihnen hinterher.
»Ich habe eine Idee«, meinte Sebastian, nachdem sie außer Hörweite waren. »Die Mutter ihrer Verlobten hieß mit Vornamen Maria, sagten sie. Ich werde einmal in den Kirchenbüchern nachschauen, ob ich da etwas finde. Ich bin zwar schon ein paar Jahre hier als Pfarrer, aber Ereignisse, die mehr als zehn Jahre zurückliegen, kenne ich nur vom Hörensagen. Eine Maria Brandner ist mir nicht bekannt. Aber, wer weiß – in den Kirchenbüchern wird alles dokumentiert. Wenn der Urban eine Tochter mit diesem Namen gehabt hat, dann werden wir es herausbekommen.«
*
Allerdings kam Sebastian erst am Abend dazu, sein Vorhaben in die Tat umzusetzen. Gleich nach dem Mittagessen fuhr er in den Nachbarort, und besuchte dort ein Altenheim. Dieser wöchtliche Besuch war eine gern vollbrachte Pflicht. Die alten Leute freuten sich, wenn sie ihren Pfarrer sahen, der für manches seelische Wehwehchen einen guten Rat zur Hand hatte, und nachdem er mit einigen gesprochen hatte, saßen sie den ganzen Nachmittag zusammen, tranken Kaffee und sangen und musizierten, oder jemand fand sich bereit, eine Geschichte vorzulesen.
Sebastian fuhr immer mit dem befriedigenden Gefühl nach Sankt Johann zurück, den alten Leuten mit seinem Besuch eine Freude gemacht zu haben.
Gleich nach der Abendmesse vertiefte der Geistliche sich in der Sakristei in den Kirchenbüchern. Seit mehr als dreihundert Jahren wurden in den großen ledergebundenen Folianten Aufzeichnungen gemacht. Ganze Generationen waren hier bis zu ihrem Ursprung zurückzuverfolgen.
Sebastian suchte den neuen Band heraus.
Er war um die Jahrhundertwende begonnen worden und würde wohl noch einige Jahrzehnte reichen. Sorgfältig suchte er Spalte für Spalte die betreffende Jahreszahl ab.
Etwa vierzig Jahre mußte es jetzt her sein, daß Veronikas Mutter geboren wurde. Wenn dies hier geschehen war, dann stand es auch in diesem Buch.
Endlich fand er einen Eintrag, der sich auf Urban Brandner bezog.
Seine kirchliche Trauung mit der Jungfrau Theresa Brandner, geborene Hofstetter.
Und dann – ein Jahr später – war die Geburt ihrer Tochter Maria in das Kirchenbuch eingetragen worden.
Sebastian Trenker lehnte sich aufatmend zurück. Dies war der eindeutige Beweis, daß der alte Senner ihn und Christian Wiltinger belogen hatte.
Aber warum? Und vor allem, was war mit Veronika Seebacher geschehen?
Er blätterte weiter und fand den Eintrag über den Tod der Theresa Brandner, da war das Kind kaum vier Jahre alt gewesen. Hatte der Alte seine Tochter ganz alleine aufgezogen?
Sebastian klappte das Kirchenbuch zu und stellte es in das Regal zu den anderen. Dann ging er ins Pfarrhaus hinüber.
Nachdenklich saß er am Abendbrottisch und überlegte, welche Gründe Urban Brandner wohl haben mochte, zu leugnen, daß er Veronika kannte.
Es konnte doch kein Zufall sein – eine Namensgleichheit, gut, die hätte Sebastian durchaus einsehen können, doch daß der Senner und seine Frau eine Tochter hatte, die den selben Namen trug, wie Veronikas verstorbene Mutter – nein, das konnte kein Zufall sein.
Sophie Tappert spürte, daß den Pfarrer etwas beschäftigte. Ob es mit dem Besuch des jungen Mannes zusammenhing, der heute morgen ins Pfarrhaus gekommen war?
Sebastian bemerkte den forschenden Blick, mit dem seine Haushälterin ihn ansah. Plötzlich hatte er eine Idee. Frau Tappert – wußte sie vielleicht etwas über Urban Brandner und seine Frau Theresa?
»Aber natürlich hab ich die Theresa gekannt«, sagte sie auf Sebastians Frage. »Wir sind ja zusammen in die Schule gegangen. Sie ist früh’ verstorben. Ich wüßt’ gern, was aus dem Madel geworden ist.«
»Aus der Maria, der Tochter der beiden?«
Sophie Tappert sah ihn erstaunt an.
»Ja. Woher wissen Sie etwas von Maria Brandner? Sie ist doch damals verschwunden. Der Alte hat sie fortgejagt, bei Nacht und Nebel.«
»Das hab’ ich net gewußt. Aber, es ist interessant.«
Er glaubte kein Geheimnis zu verraten, wenn er Frau Tappert den Grund für Christians Besuch erzählte. Die Haushälterin hob warnend die Hand.
»Mit dem Alten stimmt etwas net«, sagte sie. »Der Mensch muß ja wunderlich werden, wenn er jahrein, jahraus da oben herumhockt und net richtig unter Menschen kommt. Hoffentlich hat er dem Madel nix angetan. Zutrau’n würd’ ich’s ihm.«
»Noch ist nicht erwiesen, daß Veronika Seebacher überhaupt bei ihm war oder noch ist«, beruhigte der Pfarrer sie.
Merkwürdig war die Angelegenheit trotzdem.
Das dachte er immer noch, als er zum »Löwen« hinüberging, wo er zum wöchentlichen Stammtisch erwartet wurde. Die Runde bestand aus Sebastian Trenker, aus dem Apotheker, Hubert Mayr, Josef Terzing, dem Bäckermeister und Maximilian Trenker. Manchmal kam der eine oder andere Bauer hinzu, oder der Bürgermeister Markus Bruckner. Seit kurzem zählte auch Toni Wiesinger dazu.
»Na, Doktor, wie steht’s mit dem alten Lärchner inzwischen?« erkundigte der Pfarrer sich.
»Dank Ihrer Hilfe, Hochwürden, steht’s wieder besser«, antwortete der Arzt. »Der Mann kann froh sein, daß Sie mit seiner Frau ein ernstes Wort gesprochen haben. Wer weiß, was der Brandner denen sonst noch alles angedreht hätte.«
Das Gespräch drehte sich noch eine ganze Weile um den alten Loisl und seine Mixturen. Dann betrat Christian Wiltinger den Gastraum. Er tat Sebastian leid, wie er da so elend ausschauend in seinem Essen herumstocherte. Nachdem der junge Mann seinen Teller beiseite geschoben hatte, holte Sebastian ihn an den Stammtisch.
»Das ist Christian Wiltinger«,