Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman. Toni Waidacher
heran.
Dort gab es mehrere Fenster und – Christian frohlockte – eines davon stand halb offen. Vorsichtig schlich er näher und untersuchte das Fenster. Es war von innen mit einem Haken gesichert, der den Flügel festhielt und verhinderte, daß es ganz aufschwang. Christian steckte seine Hand hindurch, und mit einiger Mühe gelang es ihm, den Haken zu lösen. Das Fenster stand weit offen. Es war ein leichtes für ihn, sich hinaufzuschwingen. Er spähte hindurch und sah einen einfachen Raum, eingerichtet mit Tisch und Bettkasten. Eines der Gästezimmer, wie es sie auf jeder Hütte gab, vermutete Christian. Er stieg vollends ein und ging auf Zehenspitzen zur Tür. Sie quietschte ein wenig, als er sie öffnete, Veronikas Verlobter zuckte unwillkürlich zusammen. Er war der Meinung, das Geräusch müsse man in der ganzen Sennerhütte gehört haben.
Einen Moment lauschte er mit angehaltenem Atem, doch es blieb alles ruhig, bis auf die Stimme des alten Urban, der irgend etwas nach draußen rief, das Christian nicht verstehen konnte. Er hoffte, daß der Pfarrer den Alten lange genug in ein Gespräch verstricken konnte, damit er, Christian, unbemerkt nach Veronika suchen konnte.
Flüsternd rief er nach seiner Braut. Er war aus dem Zimmer getreten und stand nun auf einem kleinen Flur, von dem vier Türen abgingen. Die erste, die er öffnete, führte in einen hellen gekachelten Raum, der größer war, als man von draußen annehmen konnte. Es war die Käserei, wie Christian später noch erfahren sollte. Darin gab es eine weitere Tür, die ins Käselager führte.
Hinter der zweiten Tür war ein kleiner Raum, mit Tisch und Bett. Auf dem Boden lag ein Rucksack, der Christian bekannt vorkam. Mit klopfendem Herzen bückte er sich und hob ihn auf.
Kein Zweifel – dieser Rucksack gehörte Veronika! Er selber hatte ihn ihr in das Zugabteil getragen.
Christian triumphierte innerlich. Das Madel war also hier irgendwo in der Hütte. Der Alte hatte ihn und den Pfarrer belogen, warum auch immer. Nun galt es, so schnell wie möglich, Veronika zu finden und hier herauszubringen, bevor ihr Großvater in seinem Wahn noch ein Unheil anrichtete.
Christian Wiltinger öffnete die dritte Tür und trat ein.
»Christian!« hörte er den Aufschrei seiner Braut.
Verwirrt schaute er sich um. Die Stimme hatte er gehört, das Madel allerdings konnte er nirgends sehen.
»Hilfe, hier bin ich«, rief Veronika und klopfte gegen die Tür ihres Gefängnisses. Plötzlich war sie überzeugt, daß jemand da war. Sie klopfte energischer.
Endlich sah ihr Verlobter die Tür, die sich kaum von der Bretterwand abhob, die den Verschlag vom Rest des Zimmers abtrennte.
»Himmel, wie kommst du denn da hinein?« rief er entsetzt aus und machte sich daran, Veronika zu befreien.
Halb lachend und halb weinend fiel sie ihm um den Hals und drückte ihre Lippen auf seinen Mund.
*
»Der Großvater hat mich dort eingesperrt«, erzählte sie, nachdem sie sich begrüßt hatten.
Christian schüttelte den Kopf.
»Was ist nur in den Mann gefahren?« sagte er. »Der gehört eingesperrt.«
»Du darfst ihm net böse sein«, wendete Veronika ein. »Er ist krank, glaube ich. Er muß unbedingt von einem Arzt untersucht werden.«
Ihr Verlobter sah sich um.
»Wir müssen sehen, daß wir hier rauskommen«, sagte er. »Dein Großvater hat gedroht, die Hütte anzuzünden. Wenn er bemerkt, daß ich hier drin bin – wer weiß, was er dann alles anstellt.«
Veronika hatte unterdrückt aufgeschrien, als Christian ihr von Großvaters Drohung berichtete. Ihr Verlobter zog sie hastig in das Zimmer, durch das er eingestiegen war, da wurde die Tür aufgerissen und Urban Brandner stellte sich in den Weg. Offenbar hatte er doch etwas gehört.
Er sah schrecklich aus. Die Haare standen wirr von dem Kopf ab, und seine Augen flackerten unstet. Man mußte kein Mediziner sein, um zu erkennen, daß der Mann nicht mehr Herr seiner Sinne war.
Doch am schlimmsten war das brennende Holz, das er in den Händen hielt.
Christian schnupperte. Aus dem Gastraum zog der Geruch von Petroleum herein. Der Alte hatte es also wirklich ernst gemeint mit seiner Drohung, die Hütte anzuzünden.
»Großvater, ich bitt’ dich, gib mir den Scheit«, sagte Veronika.
Sie war furchtlos dem alten Senner gegenübergetreten, der sie merkwürdig durchdringend anschaute.
»Maria…?« kam es fragend von den Lippen.
Das Madel sah ihren Verlobten an. Christian nickte ihr aufmunternd zu.
»Ja, Vater«, antwortete sie da. »Was ist denn?«
Der Senner schaute von Veronika auf Christian, und wieder zurück.
»Die Kühe müssen gemolken werden«, sagte er und drehte sich um.
Die beiden jungen Leute sahen sich an, während der alte Urban in den Gastraum zurückging. Immer noch hielt er den brennenden Holzscheit in der Hand. Veronika und Christian folgten ihm vorsichtig. Plötzlich drehte er sich um und stierte sie beide an.
»Du bist net meine Tochter!« schrie er ungestüm und böse und warf das brennende Holz hinter sich.
»Großvater!« schrie das Madel entsetzt.
Hinter dem Alten breitete sich in Sekundenschnelle das Feuer aus.
*
Pfarrer Trenker und Dr.Wiesinger wurden allmählich unruhig. Seit einigen Minuten reagierte Urban Brandner nicht mehr auf ihre Rufe. Zuvor hatten sie sich noch mehr oder weniger unterhalten. Die Unterhaltung bestand im wesentlichen darin, daß Sebastian versuchte, Vorschläge zu machen, damit der Alte die Tür freiwillig öffnete, während Urban dies kategorisch ablehnte und weiterhin drohte, das Haus in Brand zu setzen.
Und von Christian Wiltinger war auch nichts zu sehen oder zu hören.
»Was geschieht darinnen nur?« sagte Toni Wiesinger. »Diese Stille ist beinahe unheimlich.«
Und Sekunden später schien die Hölle loszubrechen. Schreie und Gepolter waren aus der Hütte zu hören. Die beiden Männer sahen sich kurz an, dann stürzten sie zur Tür.
Sie war immer noch geschlossen, aber von irgendwoher drang Brandgeruch.
»Das Fenster«, zeigte der Arzt neben sich.
Ohne weiter zu fragen, nahm er den Ellenbogen und schlug die Scheibe ein. Den Haken zu lösen und das Fenster zu öffenen war eins. Dicker Rauch quoll nach draußen. Sebastian schwang sich nach dem Arzt in die Hütte hinein.
Die Flammen hatten sich weiter ausgebreitet, während Christian und Urban miteinander rangen. Toni Wiesinger kam Veronikas Verlobtem zur Hilfe, während Pfarrer Trenker sich dem Madel anschloß, das aus der Küche Wasser, Feuerlöscher und Decken heranschleppte, um das Feuer zu löschen.
Urban schlug und trat um sich. Es schien, als verleihe ihm seine Wut auf die Eindringlinge Bärenkräfte. Doch gegen zwei Männer konnte er nichts ausrichten. Gemeinsam brachten sie den Alten nach draußen, wo er vor der Hütte zusammenbrach.
Die beiden Männer liefen wieder hinein, und halfen das Feuer unter Kontrolle zu bringen. Gottlob gelang es ihnen schnell und sie konnten verhindern, daß noch größerer Schaden angerichtet wurde. Der Gastraum sah zwar schlimm aus mit den verkohlten Balken und den Spuren von Rauch, aber alles andere war heil geblieben. Lediglich der Brandgeruch würde noch einige Zeit bemerkbar sein.
Erschöpft, aber glücklich trat Veronika ins Freie. Dr. Wiesinger hatte sich um den Großvater gekümmert und ihm eine Spritze gegeben. Beinahe apathisch saß er auf der Bank, in eine Decke gehüllt, die der Arzt aus seinem Wagen geholt hatte.
»Wird er wieder gesund werden?« fragte das Madel angstvoll.
»Es braucht alles seine Zeit«, erwiderte der Arzt. »Aber ich habe gute