Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman. Toni Waidacher

Der Bergpfarrer Box 1 – Heimatroman - Toni Waidacher


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Sie wischte sich die Tränen ab.

      »Christian«, flüsterte sie im Selbstgespräch. »Wo bist du nur?«

      Er mußte sie doch vermissen! Suchte er denn nicht nach ihr?

      In den letzten Tagen war die Vorstellung, ihr Verlobter könne sich auf die Suche nach ihr gemacht haben, ihre letzte Hoffnung gewesen. Dann mußte ihn sein Weg doch unweigerlich hierher führen.

      Ja, bestimmt würde er kommen und sie aus den Fängen dieses Wahnsinnigen befreien. An diese Hoffnung klammerte sie sich. Sie mußte nur Geduld haben. Vor wieviel Tagen hätte sie wieder zur Arbeit kommen müssen? Veronika wußte es nicht mehr. Sie hatte jedes Gefühl für die Zeit verloren. Aber Christian, er würde sich fragen, warum sie nicht kam und wo sie steckte.

      Langsam beruhigte sie sich wieder. Sie lauschte auf die Geräusche, die von draußen hereindrangen. Sie hob den Kopf. Waren da nicht noch andere Stimmen, außer dem Großvater?

      Ich will hier endlich raus! schrie es in ihr und sie warf sich mit aller Kraft gegen die Tür des Gefängnisses.

      *

      Als Urban Brandner vor die Tür trat, sah er sich drei Männern gegenüber. Pfarrer Trenker und der andere von gestern, und noch ein dritter, den der Alte nicht kannte. Mißtrauisch sah er sie an.

      »Was wollt’s ihr denn schon wieder«, fragte er grimmig und zog seine Stirn in Falten.

      »Mit dir reden, Urban«, erwiderte Sebastian Trenker.

      »Ich hab’ nix mit euch zu reden«, gab der Senner zurück und trat in die Tür zurück.

      »Nimm Vernunft an, Urban«, sagte der Pfarrer eindringlich. »Wir wissen, daß das Madel, die Veronika, bei dir ist.«

      Der Senner machte eine ungeduldige Handbewegung.

      »Ich kenn’ keine Veronika«, brüllte er. »Ich hab’s euch schon gestern gesagt. Bei mir ist nur meine Tochter, die Maria, und die bekommt ihr net!«

      Damit sprang er in die Hütte und schlug die Tür zu. Die drei Männer draußen hörten, wie er den schweren Balken vorschob, der die Tür von innen verriegelte. Sie sahen sich vielsagend an.

      »Offenbar stimmt unsere Vermutung«, sagte Dr. Wiesinger. »Er hält das Mädchen für seine verstorbene Tochter Maria.«

      Christian sprang an die Tür und hämmerte dagegen.

      Dabei rief er laut den Namen seiner Braut.

      Drinnen stemmte Urban sich zusätzlich gegen die Tür, aus Furcht die Männer könnten sie einschlagen und ihm seine Maria wegnehmen.

      Aber das würd’ ihnen net gelingen, eher würd’ er sterben und seine Tochter mit ihm!

      Der Alte sah sich um. Die Eingangstür führte direkt in den Gast­raum der Sennenwirtschaft. Sein Blick fiel auf die Petroleumlampen, die über den Tischen hingen.

      Und ihm kam eine furchtbare Idee.

      Hastig goß er den flüssigen Brennstoff aus den Lampen über Tische, Stühle und Fußboden. Sollten sie nur kommen. Sie würden schon merken, was sie damit anrichteten.

      *

      Pfarrer Trenker und seine Begleiter beratschlagten sich. Ihnen kam es vor allem darauf an, den alten Senner nicht zu einer unbedachten Handlung herauszufordern, was womöglich eine Gefahr für ihn und das Madel bedeuten konnte.

      »Ich werde noch einmal versuchen, in Ruhe mit ihm zu reden«, sagte der Geistliche. »Er war zwar noch nie in unserer Kirche, doch immer wenn ich ihn hier mal besuchte, haben wir interessante Gespräche geführt. Urban kennt mich, und ich glaube, daß wir eigentlich ein gutes Verhältnis zueinander aufgebaut haben.«

      Er näherte sich langsam der Sennerhütte. Es stimmte, was er gesagt hatte. Irgendwie schien Urban Brandner ihn zu respektieren, was aber seinen Grund nicht in der Tatsache hatte, daß Sebastian Geistlicher war. Der Pfarrer hatte nie versucht, den Einsiedler zu bekehren, sondern immer das Gespräch, den Dialog mit ihm gesucht. Leider, so mußte er einsehen, hatte er dabei zu wenig über den Menschen Urban Brandner erfahren. Sonst hätte die ganze Geschichte vielleicht einen anderen Verlauf genommen.

      »Urban, ich bin’s, Pfarrer Trenker«, rief er gegen die verschlossene Tür. »Komm heraus. Wir wollen dir nichts Böses. Du weißt doch, daß du mir vertrauen kannst.«

      »Macht, daß ihr fortkommt!« rief der Alte zurück. »Sonst geschieht ein Unglück!«

      Sebastian spürte sein Herz schneller schlagen. Was hatte der Alte vor?

      Christian und Toni waren näher gekommen. Sie hatten mitgehört, was der Senner gedroht hatte.

      »Um Himmels willen, was meint er?« fragte Veronikas Bräu­tigam.

      Der Geistliche hob die Arme.

      »Ich weiß es nicht.«

      »Hört ihr mich?« brüllte Urban Brandner.

      »Ja, wir hören dich.«

      »Verschwindet endlich, sonst zünd’ ich die Hütte an. Das ist mein Ernst.«

      Es war, als bliebe ihnen allen das Herz stehen, so groß war der Schock. Verzweifelt rannte Christian um die Hütte herum und rief immer wieder Veronikas Namen.

      »Was sollen wir tun?« fragte der Arzt. »Ich fürchte, in seinem Zustand ist der Mann zu allem fähig. Wir dürfen seine Drohung, die Hütte anzuzünden, nicht unterschätzen. Er hat das Gefühl, wir wollen ihm etwas wegnehmen, etwas, das sein größter Besitz ist. Das wird er mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln verhindern wollen.«

      »Christian, kommen Sie her«, rief Sebastian dem jungen Mann zu.

      Nun galt, sich erst einmal zurückzuziehen und zu beraten, wie sie diese gefährliche Situation entschärfen konnten.

      Abseits der Hütte standen sie beisammen und überlegten.

      »Notfalls schlage ich ein Fenster ein, um hineinzukommen!« drohte Christian.

      »Besser nicht. Wir wissen nicht, was der Alte da drinnen angestellt hat«, wandte Sebastian ein. »Jede unüberlegte Handlung könnte Veronikas Leben gefährden.«

      *

      Veronika spürte in ihrem Gefängnis, daß da draußen etwas geschah, das ungewöhnlich war. Mehrere Stimmen, von denen sie nur eine als die vom Großvater heraushörte, stritten miteinander. Eine vage Hoffnung keimte in ihr auf.

      War das jemand, der sie hier herausholen wollte? Vielleicht sogar – Christian?

      Das Madel rief so laut es konnte, den Namen des Verlobten und warf sich mit aller Kraft gegen die Tür, daß es krachte und splitterte. Sie wollte, sie mußte aus diesem Verschlag heraus, und der Groß­vater mußte endlich in ein Krankenhaus. Sein Zustand war immer schlimmer geworden und Veronika wußte, daß hier nur noch ein Arzt helfen konnte.

      Doch die Tür gab nicht nach. Wütend und verzweifelt hämmerte die junge Frau dagegen und brach dann weinend zusammen. Schluchzend lag sie auf dem Boden ihres engen Verlieses und flüsterte Christians Namen.

      Dann wurde es auch draußen still. Veronika hob lauschend den Kopf.

      »Großvater?« rief sie, erhielt aber keine Antwort.

      Aber sie ahnte, daß da eine Gefahr war, die sich über der Sennerhütte zusammenbraute.

      *

      »Ich versuche trotzdem, durch eines der hinteren Fenster einzusteigen«, beharrte Christian Wiltinger.

      Die Warterei, daß endlich etwas geschehe, zerrte an seinen Nerven.

      »Wenn Sie den Alten vorne ablenken, dann merkt er nicht, was hinter ihm geschieht.«

      »Also gut«, willigte der Pfarrer ein. »Versuchen wir’s.«

      Er lief zur Tür und redete auf den alten Senner ein, während Christian um die Sennerhütte schlich.


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