Grado abseits der Pfade. Michael Dangl

Grado abseits der Pfade - Michael Dangl


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des Hafens, Riva San Marco und beherbergt die Bar „Manzoni“, die friedlichste der den porto mandracchio** beherrschenden Bars. Da dessen östlicher Teil den Gästebooten vorbehalten ist, trifft man viele deutschsprachige Besucher. Die Bar „Manzoni hat eine recht frühe Morgen- und die längste Abendsonne und macht Tramezzini im alten Stil. Ich sehe nun schon die dritte Besitzergeneration, und es ist, von Opa zu Tochter und von Tochter zu Enkelin, einTemperament und einGesicht, eine Freundlichkeit und eine Ruhe.

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      Anders die Bar „Bomben“ gegenüber. Auch, dass die Frühsonne hier bald weicht, macht, dass sie der Treffpunkt der Tagesbevölkerung ist. Das Gradeser „Stadttheater“ wird nämlich von verschiedenen Darstellergruppen bevölkert, die alle ihre „Auftrittszeiten“ haben und gleitend ausgetauscht werden. Nach den Joggern und Strandläufern am frühen Morgen, zwischen die sich vereinzelte Hunde mit Menschen an der Leine und Radfahrer mit panini im Gebäckkorb mischen, übernehmen die Rentner das Regiment. Sie stehen nicht, wie am Nachmittag, wo sie ihre zweite Dienstschicht haben, im Freien zusammen, sie sitzen in den Bars und verhandeln das Weltgeschehen der letzten 12 Stunden und 62 Jahre. Die Männer haben ihre Bars, die Frauen ihre. Wo es sich vermischt, wird gebalzt und gescherzt wie ehedem. Um neun gehen sie auseinander, als hätten sie eine Arbeit erledigt, und verschwinden in ihren Häusern bis zum nächsten Auftritt. Neun bis zehn, das ist die Stunde der Hausfrauen und jungen Mütter, die am Weg von den Geschäften und Kindergärten sehr ausgiebigen Halt in der Bar „Bomben“ machen, um mit Freundinnen zu plaudern – was eher so aussieht und sich anhört, als würden sie die Welt einmal komplett zerlegen und wieder zusammensetzen, wobei sie, auch wenn es eine Stunde dauert, winters ihre warmen Jacken und Mäntel nicht ablegen, wie um die Sprunghaftigkeit des Cafébesuchs zu betonen. Vor zehn wird es laut im Ort, als sprängen die Ohren auf. Man hat die Touristen auf die Straße getrieben, wie müde Fliegen fallen sie angegessen und angeschlagen aus ihren unterkühlten Frühstückssälen. Und so geht es weiter …

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       Die Riva Dandolo – vom Alten Hafen zur Lagune

      Die Bar Bomben also ist ganz Geschäft, ganz „Heute“. Der Verkehr rollt an seinen paar Gehsteigtischchen vorüber (während das „Manzoni“ nur durch die schmale Riva vom Wasser getrennt ist). Die Tramezzini sind neuerdings, vielleicht ein Zugeständnis an burgergewöhnte Kiefer, dreistöckig. Flockenleicht vormittags in beiden Bars die warmen Croissants (brioche). Sogar Alice kommt mit dem Fahrrad vorbei, um sie in ihrer Bar weiterzuverkaufen.

      Ihre Bar – das ist die dritte am Hafen, vielmehr die erste, weil sie Tag- und Nachtleben Grados bespielt und eine wirkliche Institution ist. Zunächst die Lage: Keine Straße stört, man sitzt am Hafen (gleich hinter dem Wassertaxistand und der Anlegestelle des Lagunen-Ausflugsbootes Christina). Fischer verkürzen sich hier das Warten auf die mitternächtliche Ausfahrt mit cubi – schmalen Gläsern gewässerten Weins. Innen ist die Bar urig, eine Hafenkneipe eben (und als solche im Winter immer kalt, weshalb man sein Getränk gern im Stehen zu sich nimmt), fast schon eine Spelunke, in der man sich Schmuggelgeschäfte und Messerstechereien vorstellen kann. Letztere hätten dann unzweifelhaft mit Alice zu tun, Tochter des sympathischen Barbesitzers Luca, Inbegriff des „Mädchens von der Hafenkneipe“, wie aus einem Simenon-Roman. Gertenschlank, muskulöse, von der Arbeit geformte Arme und Hände, märchenhaft und doch früh vom Leben gezeichnet schön, Augen, tief wie das Meer, sehnsüchtig und traurig zugleich. Spätnachts dringt ein Lachen von ihr nach draußen, so kräftig und voll Lebenslust, dass man hineingehen möchte, um es diesem ernsten Gesicht abgewinnbar zu machen. Nicht wenige Menschenmotten lockt auch das Licht ihres Geheimnisses in diese Bar „Al Porto“, die unter den vier, fünf nachtaktiven Ausschänken der Altstadt die bodenloseste, „grenzwertigste“ ist, die immer letzte Einkehr – vor der stets letzten Ausfahrt.

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      Hier jedoch würde mir Alice widersprechen. Man bestelle kein „letztes“ Getränk, sagt sie. Denn was käme danach: der T.. ?! – Ähnlich wie Adriano, der Fischer, der vor der Ausfahrt um Mitternacht gerade sein cubo trinkt, abwinkt, wenn ich ihm „buona pesca“ wünsche, „guten Fang“. Das dürfe man niemals sagen! – Was dann? – „Am besten … gar nichts!“

      Und gehen

      Gehen immerzu

      Wohin? Keine Ahnung.

      Das Leben

      ist eine Brandung

      sie rollt heftiger

      oder schlicht.

      Gehen immer …

      Das Morgen

      erwarte nicht.

      Giovanni Marchesan „Stiata“

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       Via Gradenigo 1912

      Ich weiß nicht, ob die alten

      Erinnerungen

      nur mit den Freuden

      der Jugendzeit verbunden sind

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      Eine Fremdsprache spricht man nicht immer gleich gut oder schlecht. Es hängt auch vom Gegenüber ab: wie viel Vertrauen er deinem Können gibt oder wie wenig. Rino gehört von allen Italienern, mit denen ich gesprochen habe, zu denen, unter deren strengem Blick meine Italienischpotenz zusammenschrumpft wie ein Schwellkörper bei Minusgraden. So enthusiastisch und strahlend er mich begrüßt, öffne ich den Mund, senkt er den Kopf, macht die Lippen schmal, legt die Stirn in Falten und blickt mich aus seinen dunklen, belesenen Augen so forschend, so durchdringend an, dass mir der Schweiß aufsteigt und mir Wörter nicht einfallen, die ich in der zweiten Lektion gelernt habe – bis sein asketisches


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