Irlands Göttinnen und Götter. Morgan Daimler
eines Lexikons in kurzen Artikeln über die einzelnen Götter zu informieren, von ihren Ursprüngen bis zur modernen spirituellen Praxis.
Bei den modernen Neuheiden erfreuen sich die irischen Götter großer Beliebtheit, und trotzdem kann es schwierig sein, gute Informationen über sie zu finden. Oft werden sie mit den anderen keltischen Göttern in einen Topf geworfen, was zu dem falschen Eindruck führt, es gäbe ein gemeinsames pan-keltisches Pantheon. Doch ein solches hat historisch nie existiert. Dieser Ansatz verursacht noch ein weiteres verbreitetes Problem: In der populären, leicht verfügbaren heidnischen Literatur wird nur über die beliebtesten Götter geschrieben oder über die, zu denen es die meisten Informationen gibt, während weniger beliebte oder bekannte Gottheiten einfach weggelassen werden. Und das verfügbare Material ist leider nicht immer sehr verlässlich. In vielen Büchern werden großzügig Fakten und Fiktion vermischt, in einer Art und Weise, die für die Leser ziemlich verwirrend sein kann. Das führt dazu, dass Menschen, die sich für das irische Heidentum interessieren, besonders wenn sie noch ganz am Anfang stehen, oft Schwierigkeiten haben, die Informationen zu finden, nach denen sie suchen, oder solide Informationen von Erfundenem zu unterscheiden.
In diesem Buch finden Sie, wie in einem kleinen Lexikon, kurz und knapp die wichtigen Informationen zu zahlreichen irischen Gottheiten, unter anderem die Bedeutung ihres Namens, ihre Verwandtschaftsbeziehungen, die Aspekte, mit denen sie assoziiert werden, und die mit ihnen verknüpften Mythen. Um den Gebrauch des Buches zu vereinfachen, habe ich es in drei Hauptkapitel unterteilt: Túatha-Dé-Danann-Götter, Túatha-Dé-Danann-Göttinnen und Andere irische Götter. Diese Unterteilung beruht darauf, dass die Túatha Dé Danann als die Hauptgötter Irlands gelten, aber es gibt auch wichtige Götter, die nicht zu den Túatha Dé Danann gerechnet werden. Allerdings ist es in einem so kleinen Buch nicht möglich, jede einzelne irische Gottheit ausführlich zu behandeln. Also werde ich stattdessen eine größere Auswahl an Gottheiten vorstellen, als man sie normalerweise in den meisten anderen Büchern findet, und die Leserinnen und Leser mit so vielen Informationen wie möglich zu jeder Gottheit versorgen.
Denen, die Informationen zu einer Gottheit suchen, die in diesem kleinen Buch nicht aufgeführt ist, empfehle ich die Bücher, die ich als Quellen benutzt habe, vor allem Daithi Ó hÓgáins Lore of Ireland und MacKillops Dictionary of Celtic Mythology. Bedenken Sie aber, dass auch die besten akademischen Texte oft Gottheiten unerwähnt lassen, zu denen nur wenige Informationen vorliegen. Also bleibt uns in manchen Fällen kaum etwas anderes übrig, als direkt die Originalquellen zurate zu ziehen und darin nach Hinweisen zu suchen, wobei dies in vielen Fällen kaum mehr als ein einziger Satz in einer Sage sein wird. Zum Beispiel gibt es in der ursprünglichen Mythologie scheinbar keine irische Mondgöttin, es finden sich aber Andeutungen und Hinweise auf mehrere potenzielle Kandidatinnen.
Die irischen Götter überlebten in einer Mythologie, die nach der Bekehrung zum Christentum aufgeschrieben wurde, und später dann in der Folklore, meist eng mit bestimmten Orten verbunden. Sie sind eingewoben in die Landschaft Irlands, in seine Geschichte und seinen Geist, in die Hügel und heiligen Stätten. Sie sind die Götter der Heiden, und, so sagen manche Leute, die Feen (»Gentry«) der Christen. Sie verändern sich, wie die Welt um sie herum sich verändert, und doch bleiben sie immer Teil des Pulsschlags des Landes selbst, und der Fantasie der Menschen.
AENGUS
Auch Aongus, Aonghus, Angus oder im Altirischen Oengus genannt, mit dem Beinamen Mac ind Og (der junge Sohn), Mac Dá Oc (Sohn der zwei Jungen) oder Aonghus an Bhroga (Angus vom Brú). Sein Name ist aus den altirischen Wörtern óen, ›einzigartig und unvergleichlich‹, und gus, ›Kraft oder Stärke‹1 zusammengesetzt und bedeutet demnach ›einzigartige Kraft‹ oder ›unvergleichliche Stärke‹.
Sein Vater ist der Dagda, seine Mutter die Göttin Bóinn, namengebende Gottheit des Flusses Boyne. Aengus entstammt einer Affäre zwischen diesen beiden, was der Dagda vor Boinns Ehemann Elcmar verbarg, indem er bewirkte, dass ein einziger Tag und eine einzige Nacht neun Monate dauerten.2 Deshalb wurde Aengus scheinbar an dem Tag geboren, an dem er gezeugt wurde, was seinen Beinamen ›der junge Sohn‹ erklärt. Väterlicherseits hat er viele Geschwister, unter anderem die Göttin Brighid. Es heißt, dass er mindestens eine Tochter hatte, Maga. Durch sie gehört er zu den Vorfahren des Hauses Ulster.3
Smyth vermutet, dass Aengus an Samhain gezeugt und, weil seine Geburt heimlich erfolgte, auch an Samhain geboren wurde.4 Das Fest Samhain ist auch noch auf andere Weise mit Aengus verbunden, denn an diesem Tag gelingt es ihm schließlich auch, die Frau zu erobern, die er am meisten begehrt. Davon wird in der Erzählung Aislinge Oenguso berichtet. Dort heißt es, dass Aengus von einer geheimnisvollen Frau namens Caer Iobharmheith (altirisch: Caer Ibormeith) träumte und daraufhin krank vor Liebe wurde. Nachdem seine Eltern die Identität der Frau herausgefunden hatten, spürte er sie an Samhain auf, warb um sie, und die beiden verwandelten sich in Schwäne und flogen davon.5
Aengus wohnt im wohl berühmtesten aller Feenhügel, im Brú na Bóinne, den er durch eine List in seinen Besitz brachte. Von der Geschichte, wie ihm das gelang, existieren unterschiedliche Versionen. In einer wird berichtet, Aengus habe mit der Hilfe seines Vaters, des Dagda, den Brú Elcmar abgenommen. In einer anderen gehört der Brú na Bóinne dem Dagda. Dank seiner eigenen List oder mit der Hilfe eines seiner Stiefväter gewinnt Aengus den Brú für sich. Dabei ist der Kern der Geschichte immer gleich: Aengus kommt zum Brú und bittet den Besitzer, ihm den Palast für die Zeit eines Tages und einer Nacht zu überlassen. Diese Bitte wird ihm gewährt, doch als der bisherige Besitzer den Palast nach vierundzwanzig Stunden zurückfordert, sagt Aengus, der Palast gehöre jetzt ihm, da ja alle Zeit aus Tag und Nacht bestehe, die aufeinander folgen. So gewinnt er jenen Ort, der seitdem als seine Wohnstätte bekannt ist.
Aengus gilt als der Gott von Jugend, Schönheit und Liebe. In den Sagen und Geschichten hilft er oft den Liebenden. Besonders berühmt ist die Geschichte von Diarmuid und Gráinne im Finn-Zyklus.6 Er ist auch als ein listenreicher Gott bekannt, was sich daran zeigt, wie er den Brú na Bóinne in Besitz nahm, und an einer Begebenheit in Cath Maige Tuired, wo er seinem Vater, dem Dagda, den Rat gibt, den unredlichen König Bres durch eine List dazu zu bewegen, ihm seinen gerechten Lohn zu zahlen.
Aengus besitzt ein kostbares Zauberpferd. Es ist so groß, dass es einen ganzen Haushalt tragen kann. Einmal urinierte es so gewaltig, dass daraus Lough Neagh entstand. Auch gehört ihm ein vielfarbiger Mantel, der für die Augen eines Menschen, der todgeweiht ist, so aussieht, als hätte er nur eine Farbe.7 Es heißt, dass vier weiße Vögel Aengus’ Kopf umkreisen. Dabei soll es sich entweder um Schwäne handeln oder um vier seiner Küsse, die er in Vögel verwandelt hat.
Wenn Neuheiden Verbindung zu Aengus aufnehmen möchten, kann das viele Gründe haben, doch oft wird er als eine Liebesgottheit verehrt. Typische Opfergaben für Aengus sind Milch, Bier oder köstliche Speisen, aber auch alles andere, was die Praktizierenden angemessen finden.
Quellenverweise
1eDIL
2Smyth, 1988
3MacKillop, 1998
4Smyth, 1988
5Shaw, 1934
6MacKillop, 1998
7Ó