Schlank durch OP. Faris Abu-Naaj
Liebe Leser,
Wohlstand und Industrialisierung haben die Lebens- und Essgewohnheiten grundlegend verändert. Als unerwünschte Begleiterscheinung hat sich die Fettsucht, auch Adipositas genannt, epidemisch ausgebreitet. Wendet man die Kriterien der Weltgesundheitsorganisation (WHO) an, gelten weltweit eine halbe Milliarde Menschen als massiv übergewichtig. So zeigen Erhebungen in Mitteleuropa, dass jeder Vierte an Adipositas erkrankt ist. Adipositas zählt in Industrienationen zu den wichtigsten Ursachen von Invalidität und vorzeitigem Tod. Betroffene Menschen kämpfen nicht nur mit den gesundheitlichen Folgen ihres extremen Übergewichtes, sondern auch mit der daraus resultierenden gesellschaftlichen Ablehnung. In den Kommentaren, die die gesundheitlichen und volkswirtschaftlichen Kosten der Adipositas behandeln, finden sich häufig abschätzige Bemerkungen, wie »Friss die Hälfte!« oder »Geh zu Fuß!«. Aber auch in der Ärzteschaft fehlte lange Zeit das Interesse, das dieses bedeutende Gesundheitsproblem verdient. Die American Medical Association (AMA), die größte ärztliche Standesvertretung der USA, erkennt die Adipositas erst seit 2013 als Krankheit an. Angesichts der weltweit circa 2,6 Millionen Todesfälle pro Jahr, die auf das Konto der Fettleibigkeit gehen, erstaunt es sehr, dass der Adipositas so lange kein Krankheitswert beigemessen worden ist.
An Ratschlägen, wie dem Übergewicht beizukommen sei, fehlt es nicht. Von A wie »Atkins-Diät« bis Z wie »Zero Size-Konzept« gibt es eine Unzahl von Abmagerungskuren, die einen nachhaltigen Gewichtsverlust versprechen. Während einige Diäten die Kalorienzufuhr gleichmäßig begrenzen, setzen andere auf die Reduktion oder gar den Verzicht einzelner Nährstoffgruppen. Je nach Diät heißt es dann: »Keine Kohlenhydrate!«, »Kein Fett!« oder aber »Viel Eiweiß!«. Andere Programme setzen vor allem beim Lifestyle an und animieren zu mehr sportlicher Aktivität und Bewegung im Alltag. Natürlich ist auch die Pharmaindustrie daran interessiert, der Adipositas als großes volkswirtschaftliches Problem medikamentös beizukommen. Dabei werden pharmakologisch ganz unterschiedliche Strategien verfolgt. Einige medikamentöse Wirkstoffe setzen im Magen-Darm-Trakt an, indem sie die Spaltung von Fetten durch Enzyme der Bauchspeicheldrüse hemmen und damit deren Aufnahme im Dünndarm verhindern. Andere hingegen beeinflussen die Signalübermittlung von Nervenzellen, die im Gehirn das Gefühl von Sättigung vermitteln sollen.
Trotz kurzfristiger Erfolge bei vielen dieser herkömmlichen Therapien sind die langfristigen Ergebnisse bisher enttäuschend. So konnte keine dieser konservativen Therapien einen anhaltenden Gewichtsverlust nachweisen. Ganz anders sehen die Langzeitergebnisse von chirurgischen Maßnahmen aus. In Langzeitstudien mit großen Patientenzahlen ließ sich feststellen, dass sich die Übergewichtschirurgie günstig auf die Lebensqualität und -erwartung schwer übergewichtiger Patienten auswirkt.
Interessanterweise führen chirurgische Eingriffe, wie der Magenbypass oder der Schlauchmagen, nicht nur zu einem deutlichen und nachhaltigen Gewichtsverlust, sondern korrigieren häufig auch Begleiterkrankungen, wie Bluthochdruck oder -zuckerkrankheit. Da Magenbypass-Operationen, neben einer Gewichtsreduktion, zu einer tiefgreifenden Veränderung und Erholung des Stoffwechsels führen, spricht man heute zunehmend von metabolischer und nicht mehr von bariatrischer Chirurgie.
Obwohl der Magenbypass in verschiedenen Variationen bereits seit beinahe 50 Jahren erfolgreich zur Gewichtsreduktion angewendet wird, beginnen Forscher und Ärzte erst jetzt zu verstehen, welche Wirkungsmechanismen für den nachhaltigen Erfolg verantwortlich sind.
In der Annahme, dass allein die Verkleinerung des Magenvolumens (Restriktion) und die Verkürzung der Verdauungsstrecke im Dünndarm (Malabsorption) den Gewichtsverlust nach einem Magenbypass bewirken, wurden weitere operative Methoden entwickelt, die sich in restriktive oder malabsorptive Verfahren unterteilen lassen.
Die Grundlagenforschung in der metabolischen Chirurgie konnte jedoch nachweisen, dass den rein mechanistischen Konzepten von Restriktion und Malabsorption allenfalls eine untergeordnete Bedeutung für den Langzeiterfolg zukommt. Viel wichtiger scheint heute die tiefgreifende Veränderung des gastrointestinalen Hormonhaushaltes, der Hunger, Sättigung und Geschmack reguliert und damit das Essverhalten der Patienten bestimmt. Wie vielschichtig die Wirkungsmechanismen sind, zeigen die Forschungsergebnisse der vergangenen Jahre. Diese zeigen, dass auch eine veränderte Darmflora und ein veränderter Gallenstoffwechsel zur Erholung des Stoffwechsels nach Übergewichtschirurgie beitragen.
Neben dem unmittelbaren therapeutischen Nutzen für die übergewichtigen Patienten brachte die metabolische Chirurgie auch neue Erkenntnisse über das Zusammenspiel von Darm, Fettgewebe und Gehirn bei der Steuerung von Hunger und Sättigung mit sich. Das bessere Verständnis dieser grundsätzlichen Mechanismen könnte zu Therapien führen, welche die Chirurgie eines Tages ergänzen oder gar ersetzen werden. Aber bis dahin ist es noch ein langer Weg.
Metabolische Operationen als Lifestyle-Operationen zu disqualifizieren, ist keinesfalls angebracht, denn viel wichtiger, als die angestrebte Gewichtsreduktion, ist die tiefgreifende Erholung des Stoffwechsels, welche die Lebensqualität, -erwartung und das Selbstwertgefühl der Patienten verbessert.
Dr. med. Marco Bueter
Dr. med. Thomas Bächler
UniversitätsSpital Zürich, März 2014
Über dieses Buch
Übergewicht hat viele Gesichter. Mal zeigt es sich dezent, wenn die Hose etwas spannt oder sich im Kleid ein kleiner Bauch abzeichnet und es deshalb in die hinterste Ecke des Kleiderschrankes verbannt wird; ein anderes Mal deutlicher, wenn man sich immer schlechter bewegen kann oder der Aufstieg in das dritte Stockwerk einem »Sportprogramm« gleichkommt, weil wir 20 Kilo zu viel auf den Hüften tragen. In diesen Fällen ist es jedoch noch nicht zu spät, seine Ernährung umzustellen, den etwas fülliger gewordenen »Hintern« häufiger ins Sportstudio zu bewegen und somit den Kampf gegen die Pfunde erfolgreich zu gewinnen. Aber was, wenn das Gewicht außer Kontrolle gerät – wenn die Genetik, ein falsches Essverhalten oder verschiedene Stoffwechselprozesse das Gewicht immer weiter ansteigen lassen und zudem noch Kreislauf, Herz und/oder Stoffwechselsystem zunehmend belastet werden?
Wird eine gewisse Gewichtsgrenze überschritten, spricht der Volksmund von »Fettsucht«, die Medizin von »Adipositas«. Mittlerweile wissen wir, dass die Zahl der Menschen, die unter dieser Krankheit leiden, weltweit explodiert und konservative Behandlungsmethoden wie Diäten, Verhaltenstherapien und Medikamentengabe oft versagen, wenn sie für sich isoliert verordnet werden.
Anfangs noch häufig belächelt oder als Schönheitsoperation abgetan, hat sich die Adipositaschirurgie heute etabliert. So müssen selbst frühere Kritiker jetzt einräumen, dass Erkrankte nach einer operativen Maßnahme, kombiniert mit einer professionellen Ernährungsberatung sowie Bewegungs- und Verhaltenstherapie, die besten Erfolgsaussichten haben, ihr Wunschgewicht zu erreichen und zu halten. Und dies, obwohl noch nicht vollständig geklärt ist, weshalb viele Menschen nach einem solchen operativen Eingriff zum einen sehr stark an Gewicht verlieren, zum anderen sich auch Stoffwechselprozesse und Blutwerte in der Regel deutlich verbessern. Genau das veranlasst die Kritiker (und davon gibt es noch einige), den bariatrischen Chirurgen vorzuwerfen, sie wüssten nicht, was sie tun. Diese Argumentation polarisiert und schafft Verunsicherung bei den Betroffenen.
Im Rahmen meiner Recherche zu diesem Thema, die mich quer durch Deutschland und die Schweiz führte, habe ich Folgendes erkannt: In der Behandlung adipöser Menschen gibt es keine nur gute oder schlechte Therapie (was im Übrigen auf beinahe jede Krankheit zutrifft). Was es allerdings braucht, sind verantwortungsbewusste Experten, die gemeinsam mit ihren Patienten das Für und Wider ihres Behandlungskonzeptes abwägen, welche die individuelle Gewichts-, Gesundheits- und Lebenssituation des Einzelnen berücksichtigen und eine Operation ablehnen, wenn zu hohe Risiken oder andere fundierte Argumente dagegen sprechen. Zudem bedarf es der positiven Aspekte beider Therapieformen. So lassen sich die Adipositas und ihre Begleiterkrankungen nur dann