Nicht ohne meine Hüfte. Annette Frieboes-Esalnik

Nicht ohne meine Hüfte - Annette Frieboes-Esalnik


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und der Art, wie man in dieser Klinik aufgenommen und betreut wird. Nicht eine Minute fühle ich mich allein gelassen, die Ärztin begleitet mich zum nächsten Zimmer und lässt mich nicht einfach allein durch die Gänge irren. Fast habe ich den Eindruck, ich bin Privatpatient. Ich habe mich für die richtige Klinik entschieden. Die Tür öffnet sich.

      „Frau äh… Frieboes-Esalnik?” Etwas schwierig, der Name, ich weiß. Ich erhebe mich und nehme erneut im Büro Platz.

      „So, Sie wollen also ein Bett in unserem Haus.”

      „Wenn’s geht, nicht”, erwidere ich ironisch. Der Herr der Betten schaut mich an und lächelt

      „Na denn tschüss.”

      Wieder begegnet mir dieser typische trockene Hamburger Humor, pure Ironie in der Stimme, aber immer freundlich.

      „Nein”, sage ich und lächle zurück, „ich muss ja.”

      „Weiß ich ja, also wann passt es denn? Ich hätte da Ende November….”

      „Was?”, bricht es panisch aus mir heraus. Ich rechne nach. Das ist ja schon in sechs Wochen und dann wäre ich den ganzen Dezember über weg, meinen Geburtstag, Weihnachten… Ich schlucke.

      „Nö, ich dachte da eher an Januar 2013. Geht das?”

      „Na klar. Wir sehen mal – also am 07.01.2013, passt das besser?”

      „Ja, den nehm ich”, sage ich locker, auch wenn sich in mir alles dagegen sträubt und ich am liebsten schnell wieder aus dem Zimmer hinauslaufen würde. Wenn ich es genau bedenke, ist so ein Rollstuhl doch gar nicht so schlimm. „Ok, eingetragen. Dann sind wir fertig. Sie bekommen Post von uns.” Er verabschiedet mich. Ich bin fertig.

      Etwas benommen mache ich mich auf den Weg nach draußen und komme am Büro der Dame vorbei, die mich und meine Daten als erstes aufgenommen hat. Ich klopfe kurz und öffne die Tür.

      „Ich wollte mich nur nochmal bedanken. Es fällt einem leichter, so etwas durchzustehen, wenn man so nett aufgenommen und behandelt wird.”

      „Oh, danke.” Ich schließe die Tür und rufe mein moralisches Verstärkungsteam herbei, das sich noch auf der Reeperbahn herumtreibt. Auf der Heimfahrt erzähle ich begeistert von meinen Erlebnissen und dem positiven Eindruck, den das Krankenhaus auf mich gemacht hat. In diesem Moment muss ich einfach loswerden, wie gut aufgenommen ich mich gefühlt habe, ohne darüber nachzudenken, aus welchem Grund ich überhaupt dort war. Ich bin mir durchaus bewusst darüber, was mich erwartet, doch die Angst davor kann ich noch gut ausblenden.

      2

      Der Termin aber ist noch weit entfernt. Alles geht seinen normalen Gang, der Oktober endet wie immer.

      Der Termin liegt weiterhin in großer Ferne.

      Der November vergeht, nach Totensonntag stellen wir unsere Weihnachtsdekoration auf. In meinen Gedanken macht sich langsam etwas breit, das meine Vorfreude auf Weihnachten zu trüben beginnt.

      Der Termin ist gar nicht mehr so weit entfernt.

      Langsam breitet sich dieser Gedanke immer weiter aus und legt sich auf mein Gemüt. Um nicht zu sagen, diese Sache schwebt über mir wie das berühmte Schwert des Damokles. Was sich natürlich auch auf mein Verhalten gegenüber meinen Mitmenschen auswirkt. Denn immer öfter kreisen meine Gedanken um den näher rückenden Termin der OP. Ich muss mich damit auseinandersetzen und dabei lässt meine Konzentration für andere Dinge nach. Ich bin öfter mal ungeduldiger oder auch ungerecht anderen gegenüber. Schließlich bin ich diejenige, die sich unter das Messer legen muss. Können die anderen denn überhaupt nachvollziehen, was das bedeutet? Schließlich spricht mein Mann mich auf meine Gereiztheit an und jetzt muss ich zugeben, dass der Termin für mich allgegenwärtig ist, mein ständiger Begleiter in Gedanken – mein Gott, ich habe unglaubliche Angst davor. Angst vor dem Moment, wo ich im Bett hilflos zur OP geschoben werde. Angst, es könnte etwas bei der Narkose schiefgehen. Angst vor eventuellen Schmerzen nach der OP. Immerhin werde ich aufgeschnitten und ein Teil meines Knochens wird entfernt. Und vor allem hasse ich den Gedanken daran, danach im Bett liegen und abhängig von anderen sein zu müssen. Ich versuche mich zusammenzureißen. Kurz vor Weihnachten erhalte ich Post vom Krankenhaus. Mein Termin wurde auf den 09.01.2013 verlegt – zwei Tage Schonfrist. Am liebsten würde ich das Ganze absagen – oder den Termin noch ein paar Monate nach hinten schieben. Wir feiern ein schönes Weihnachtsfest – doch im Kopfe zähle ich mit: noch zwei Wochen bis zur OP. Trotz allem freue ich mich auf Silvester, meine Schwägerin feiert ihre Hochzeit an diesem Tag und wir verleben ein wirklich tolles Fest. Gutes Essen, guter Wein, ich tanze die Nacht durch, als gäbe es kein Morgen.

      Am nächsten Tag kann ich mich kaum rühren, weil die Hüfte schmerzt. Egal, bald gibt es eh eine neue und ich hatte eine tolle Nacht – noch eine Woche…

      Es wird Zeit, mir zu überlegen, was ich an Kleidung, Schuhen, Hygieneartikeln und sonstigem brauche. Gekauft habe ich schon etwas, wie Shampoo, Duschgel, Zahnpasta und einen Jogginganzug, Turnschuhe, neue Handtücher. Aber gepackt und vor allem vorher gewaschen werden muss auch noch einiges. Schließlich steht in dem Infoblatt des Krankenhauses, dass ich zwei Koffer brauche, einen kleinen mit den nötigsten Sachen für die Klinik und einen größeren, der im Krankenhaus aufbewahrt wird, für die Reha, die gleich im Anschluss folgen soll.

      Heute ist Dienstag, der 08.01.2013. Ich packe meine Koffer. Im Kopf habe ich mir bereits überlegt, was ich alles brauche, aber nun muss es in den Koffer, es wird ernst.

      Meine Nachbarin kommt vorbei, um mir alles Gute zu wünschen, danach gehe ich mich von meinen Eltern verabschieden, mit ein paar Tränen in den Augen. Mein Papa schenkt mir einen extra langen Schuhanzieher, damit ich mich nicht bücken muss. Schön, dass er daran gedacht hat.

      Abends verleben wir dann den vorerst letzten gemeinsamen Familienabend. Ich sitze mit meinem Mann und meinen beiden Töchtern zusammen auf dem Sofa und wir sehen uns einen Film an. Ich bin froh über die Ablenkung. Irgendwann geht auch diese Zeit vorbei, wir sagen uns gute Nacht und komischerweise habe ich die auch.

      Am Morgen verabschiede ich mich von meinen Töchtern, die zur Schule müssen. Wieder fließen Tränen. Ich hab einen riesengroßen Kloß im Hals und mein Brustkorb droht vor Anspannung zu platzen. Es tut weh, jetzt wegzufahren und sie erst „danach” wiederzusehen. Mein Mann verfrachtet die beiden Koffer ins Auto, während ich meinem Kater und meinen beiden Hunden Lebewohl sage. Sie schauen mich an, als wüssten sie, dass wir uns für lange Zeit nicht sehen werden.

      Wir kommen gut mit dem Auto voran und erreichen nach zwei Stunden den Eingang der Klinik, pünktlich zum vorgeschriebenen Zeitpunkt. Um mir Mut zu machen, versuche ich es mit Galgenhumor. Die große Rezeption könnte glatt mit der eines Hotels verwechselt werden. Also – mein „Urlaub” kann beginnen. Gleich dort werden mir die Koffer abgenommen und mit meinen persönlichen Daten versehen. Markiert mit ihrem Bestimmungsort – Reha oder Krankenhaus –, verschwinden sie hinter der Rezeption. Ich werde zur nächsten Anmeldung weitergeschickt und von da aus in eines der Patientenaufnahmebüros. Ich bin froh, dass mein Mann mitgekommen ist. Während der Wartezeit bekomme ich immer wieder SMS mit guten Wünschen von Freunden und Verwandten, die an mich denken – gut, dass ich die habe!

      Dann werde ich aufgerufen, datentechnisch erfasst und bekomme einen Becher zur Urinabgabe. Ich begebe mich zur Toilette – wo ich leider eben erst war. Unglücklicherweise bekomme ich den Becher trotz aller Anstrengungen nicht einmal ansatzweise voll – also wieder warten. Dann wird mein Name aufgerufen. Eine freundliche Schwester holt mich zum EKG, zum Blutdruckmessen und zur Blutabnahme. Die Sache wird immer ernster. Ich werde immer nervöser. Doch die Hoffnung, wieder besser gehen zu können, lässt mich tapfer weitermachen. Anschließend führt sie mich in einen weiteren Behandlungsraum, in dem kurz darauf eine Narkoseärztin auftaucht.

      „Guten Morgen, Frau Frieboes-Esalnik. Wir wollen den Ablauf Ihres morgigen OP-Tages besprechen.” Sie hat eine wahnsinnig angenehme Stimme, die eine beruhigende Wirkung hat. Sie hilft mir, das bevorstehende Gespräch zu überstehen. Ich nicke. Sie fährt fort.

      „So,


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