Nicht ohne meine Hüfte. Annette Frieboes-Esalnik

Nicht ohne meine Hüfte - Annette Frieboes-Esalnik


Скачать книгу
Gehen Sie am Abend nochmal schön duschen. Das können Sie in den nächsten zwei Wochen nicht mehr tun. Bitte nicht die Haut eincremen, wir wollen Sie pur haben, ja. Nehmen Sie dann bitte die Beruhigungstablette zu sich, die Ihnen angeboten wird, das ist besser für Ihren ganzen Körper, weniger Stress, ok?” Sie sieht mich immer wieder an und ich nicke. Mir ist schon mulmig zumute, wenn ich jetzt zuhöre, denn es ist ernst und die OP rückt immer näher.

      „Die Tablette ist zur Beruhigung, keine Schlaftablette, trotzdem sollten Sie nachts, wenn der Drang Sie treiben sollte, nicht allein zur Toilette gehen. Klingeln Sie nach der Schwester. So, dann werden Sie morgen früh etwa gegen sechs Uhr geweckt. Machen Sie sich nochmal frisch, ziehen Sie sich Ihr OP-Hemd und den Einmalslip an und nehmen nochmals eine Beruhigungstablette. Anschließend werden Sie abgeholt. Ist bis jetzt alles verständlich, haben Sie irgendwelche Fragen?”

      Eingeschüchtert schüttle ich meinen Kopf. „Alles gut.”

      „Dann geht es weiter. Sie werden also abgeholt, in den OP-Bereich gebracht. Dort wechseln Sie auf die OP-Liege und kommen in den Narkosebereich. Ihnen wird der Tropf angelegt und die Überwachungsgeräte werden angeschlossen. Und schließlich werden Sie in Narkose versetzt. Sie haben sich für die Vollnarkose entschieden, das ist richtig?”

      „Ja, die möchte ich immer noch, ich mag absolut gar nichts mitbekommen.”

      „Gut, dann noch eine Frage. Dürfen wir Ihnen einen Katheder in die Blase legen?” Ich sehe sie entsetzt an.

      „Muss das sein?”

      „Nein, zwingend muss das nicht sein, es hat aber nur Vorteile, glauben Sie mir.”

      „Ach ja und welche?” frage ich ungläubig.

      „Also glauben Sie nicht, dass wir ein Problem damit haben, Sie zu säubern, wenn Sie sich einnässen, wirklich nicht. Aber wir arbeiten ja auch mit Strom und möchten daher etwaigen Verbrennungen vorbeugen. Außerdem ist ein Katheter in den ersten Tagen für Sie durchaus von Vorteil. Sie können das Bett noch nicht allein verlassen und ersparen sich die Pfanne. Und glauben Sie mir, wenn Sie nicht darüber nachdenken, bemerken Sie das kleine Ding gar nicht.”

      Ich überlege kurz. Aber so, wie die nette Narkoseärztin das gerade erklärt hat, klingt es natürlich absolut logisch und unumstößlich.

      „Also ja, dann nehm ich eben einen Katheter. Wie lange wird die OP dauern?”

      „Das ist unterschiedlich, je nach Methode und Knochensubstanz. Ich kann es leider nicht genau sagen. Haben Sie noch irgendwelche Fragen?” Ich verneine, denn im Moment fällt mir nichts mehr ein.

      „Gut”, sagt sie mit ihrer ruhigen Stimme, „dann gehen Sie jetzt noch eben zum Reha-Büro, bevor Sie aufs Zimmer gehen. Alles Gute.”

      „Danke.”

      Wieder warte ich vor einem Büro, mein Mann sitzt neben mir. Wir werden eingelassen und besprechen die an den Krankenhausaufenthalt nahtlos anschließende Reha. Ich erfahre, dass ich aus rentenversicherungstechnischen Gründen in dem Bundesland zur Kur gehen muss, aus dem ich komme. Ich akzeptiere die vorgeschlagene Einrichtung und mein Gegenüber macht sich an die Formalitäten.

      Ich wusste ja, dass die Aufnahme ungefähr einen halben Tag dauern würde, ich habe diese Zeit als sehr informativ und gut aufgehoben empfunden und bin erstaunt, dass man sich hier wirklich um alles kümmert. Wir verabschieden uns und die Reha-Dame erklärt mir noch, wie und wo ich auf mein Zimmer, Station zwei oder Station Elbe komme. Also mache ich mich weiter auf den Weg, der mir gewiesen wurde, weiterhin in Begleitung meines Mannes, der mir die ganze Zeit Trost spendend zur Seite steht – und hungrig, denn mittlerweile sind wir schon vier Stunden hier im Haus unterwegs und unsere Mägen knurren. Doch wir gehen brav auf Station und warten, bis uns eine Schwester zum Ärztezimmer bringt.

      Der Arzt, den ich noch vom ersten Aufnahmegespräch im Oktober kenne – Mr. Verlorenes Telefon –, betritt den Raum und sieht mich an.

      „Na, wir kennen uns doch!” Lächelnd gibt er mir die Hand. Ob er sich auch noch daran erinnert, nach zwei Monaten?

      „Sie sind der mit dem verschollenen Telefon.” Er grinst und setzt sich neben mich. Das wusste er noch?

      „Und, in den letzten zwei Monaten sind bei Ihnen alle Beschwerden verschwunden, richtig?”

      „Ha, schön wär’s. Nein, alles beim Alten.”

      „Ok. Dann ziehen Sie bitte Schuhe und Hose aus und legen sich auf die Liege.”

      Er testet die Beweglichkeit meiner Hüfte, schüttelt den Kopf.

      „Das ist wirklich höchste Zeit.” Er nimmt einen blauen Edding und malt mir einen Pfeil in Richtung Hüfte auf den Oberschenkel.

      Na, da kann ja nichts mehr schief gehen!

      Ich ziehe mich wieder an. Jetzt gibt es kein Zurück mehr.

      „Gut, wir sehen mal, welches Zimmer Sie bekommen. Ach, und waren Sie überhaupt schon beim Mittagessen?” Mein Mann und ich besinnen uns auf unsere knurrenden Mägen und verneinen. Der nette Doktor gibt mir einen Papierschnipsel, der mich berechtigt, in der Cafeteria ein Essen umsonst zu beziehen. Meine Mine heitert sich auf.

      Der Arzt begleitet uns zu meinem Zimmer, wo bereits mein Koffer zum Auspacken bereitsteht. Eine andere Patientin, die anscheinend schon alles hinter sich hat, liegt auf ihrem Bett. Ich gehe gleich zu ihr hin und stelle mich vor.

      „Hallo. Ich bin Annette.” Sie sieht mir in die Augen und erwidert freundlich: „Bärbel.”

      Ich gehe zurück und widme mich dem Auspacken meines Koffers. Meine Hygieneartikel verfrachte ich ins Bad, Kleidung in den Schrank und alle Sachen, die ich erreichen möchte, später aber ohne Hilfe nicht erreichen kann, packe ich auf und in den Nachtschrank neben dem Bett. Beim Auspacken entdecke ich zwischen den T-Shirts versteckt einen Zettel: einen Mutmach-Brief von meiner Tochter. Tränen steigen mir in die Augen, als ich ihn lese.

      Danke, meine Süße.

      Ich sammle mich, richte den Rest ein und wir gehen endlich zum Essen in die Cafeteria. Die Unterhaltung fließt zäh dahin, meine Gedanken sind schon auf den nächsten Tag gerichtet. Dann kommt der Moment des Abschieds. Ich gehe noch mit hinaus, wir umarmen uns, ein letzter Kuss und mein Mann geht. Mein Magen dreht sich etwas, ich hasse Abschiede. Ich warte, bis sein Auto vorbeifährt, winke, bis es hinter der nächsten Kurve verschwindet. Ich brauche einen Moment, um mich wieder zu sammeln, atme ein paarmal tief durch und gehe schließlich auf mein Zimmer zurück.

      Und wie geht es jetzt weiter? Was mache ich jetzt da auf dem Zimmer mit einer fremden Frau direkt neben meinem Bett? Schon komisch. Werden wir uns überhaupt verstehen? Mir bleibt nichts anderes übrig, da muss ich jetzt wohl durch – allein.

      Bärbel sitzt auf ihrem Bett und zieht sich gerade an.

      „Ich gehe noch eine Runde”, sagt sie, greift sich ihre Gehhilfen und mit einem Lächeln verlässt sie das Zimmer.

      Ich stehe vor meinem Bett, unschlüssig. Es ist später Nachmittag, was soll ich jetzt machen? Alle Sachen sind ausgepackt, logistisch wertvoll verteilt, ein Nachthemd werde ich jetzt noch nicht anziehen. Ich lege mich aufs Bett, nehme mein aktuelles Buch und fange an zu lesen. Eine Schwester betritt das Zimmer, stellt sich vor und erklärt mir, dass ich mich jederzeit melden kann, wenn ich etwas benötige. Ich bedanke mich und sie geht wieder. Bärbel kommt zurück. Ich blicke auf, wir lächeln uns an und ich lese weiter. Schon komisch. Es wird langsam dunkel.

      Wieder öffnet sich die Tür und mein Operateur schaut vorbei. Er bleibt vor meinem Bett stehen. „Hallo Frau Frieboes-Esalnik. Also – Sie sind morgen früh die Erste. Gegen sieben Uhr werden Sie abgeholt, um acht der erste Schnitt und um neun Uhr sind wir fertig. Haben Sie noch Fragen?”

      Ich schaue ihn an wie ein Tier, das in der Falle sitzt.

      „Ähm. Nein, hab ich nicht.”

      „Gut, dann bis morgen.”

      Er verlässt das Zimmer, ganz sympathisch, der Mann. Trotzdem


Скачать книгу