Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder


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der einen Schulter stieß ich hart gegen den Mangrovenstamm mit dem Schädel darauf. Ich spürte die Erschütterung und wie sich die Wurzeln aus dem Grund lösten. Der Stamm schwankte, dass die Zweige durch die Luft peitschten und nach mir zu greifen schienen. Doch dann war ich bereits vorüber, hatte den Stamm passiert, was mir mit einer leichten Drehung des Körpers gelang – um mein zweites Ziel zu erreichen: Haschim aus dem Bann zu reißen, nachdem ich bereits den schnabellosen Kopf beiseitegestoßen hatte. Doppelt hält besser, schoss es mir durch den Sinn, und mein eigenes Lachen hallte stumm nach.

      Als ich Haschim bei den Schultern ergriff, war mein Schwung aufgebraucht, doch in meinem Sturz konnte ich ihn zur Seite reißen. Wir prallten auf die Oberfläche des Weihers, und ich hätte schwören mögen, dass das Wasser mir für einen Wimpernschlag einen ungekannten Widerstand entgegenbrachte – bis wir eintauchten und die brackige Nässe aufspritzte.

      Schon wollte ich mit heftigen Bewegungen der Arme und Beine ein Absinken verhindern – und zudem nach Haschim greifen, falls er denn besinnungslos wäre und zu ertrinken drohte –, doch das Wasser war seicht. Unter mir spürte ich abgesunkene Grassoden und Wurzelgeflecht, die sicher mein Gewicht und das Haschims hielten – jetzt begriff ich, dass ich dies bereits vorher unbewusst erkannt hatte und dass diese Zuversicht mich den gefährlichen Sprung ins Ungewisse hatte wagen lassen.

      Ich griff dennoch nach Haschim und hob seinen Kopf an, damit er kein Wasser einatmete, als ich sah, wie er mich anblickte – mit jenen klaren Augen, die ich kannte. Er schien nicht wie aus einem Traum oder einer Trance erwacht, sondern blickte hellwach, wenngleich fragend. Wusste er nicht, was geschehen war?

      Neben mir schlug der Mangrovenstamm ins Wasser und zwang mich, den Blick von Haschim zu wenden und mich gleichzeitig halb aufzurichten. Ich wollte nicht, dass der scheußliche Schädel uns nach seinem Sturz ins Wasser zu nahe kam. Ich sah mich um, erblickte das Gebilde aber nicht – es mochte versunken sein. Einerlei, es galt, diesen unheilvollen Ort zu verlassen. Ich erhob mich weiter, reichte dem noch immer verwirrt erscheinenden Haschim die Hand, als ich bemerkte, wie sich sein Blick abwandte und er an mir vorüber zum Himmel schaute. Ich wandte den Kopf und sah mit Entsetzen, warum ich den schnabellosen Schädel nirgends im Wasser gesehen hatte: Er schwebte ohne jeden Halt des Mangrovenstamms in der leeren Luft und starrte uns an – starrte mich an!

      Der schnabellose Mund öffnete sich, das widerlich schimmernde rote Loch im Federschädel gab die spitze Zunge des Schlunds frei, und die ersten fremden Worte rollten schnarrend aus der Kehle, die nicht vorhanden war!

      Und zu meinem nie gekannten Grauen konnte ich die Worte verstehen.

      Der Schädel sprach zu mir und …

      Eine Hand packte meine Schulter in hartem Griff und der Schmerz ließ die Stimme verstummen. Feste Finger zerrten mein Kinn zur Seite, zogen meinen Blick aus dem Bann der Vogelaugen. Stattdessen sah ich Haschim, aus dessen Augen Furcht sprach, aber auch Verstehen. Er war wieder ganz bei Sinnen und ich spürte ebenfalls, wie der Bann von mir abfiel und in meinem gesamten Leib ein stechendes Frösteln hinterließ.

      Doch es war nicht allein ein inneres Gefühl. Mit einem Mal wurde auch die Luft um mich herum kühler, ebenso wie das Wasser um meine Stiefel. Die durchnässte Kleidung klebte klamm an mir. Es wehte kein Wind, die Mangrovenzweige bewegten sich nicht, und auch am grauen Himmel war keine Bewegung zu erkennen. Dennoch veränderte sich etwas.

      Ein Wetterleuchten zuckte über den Himmel und der Widerschein glänzte weiß auf den schwarznassen Mangroven. Auf dem Wasser gleißte es grell und ich war dankbar und erleichtert, dass ich den scheußlichen Schädel in diesem Licht nicht schauen musste. Ich hatte meinen Blick auf Haschim gerichtet – in nahezu verzweifelter Frage.

      Bevor Haschim antworten konnte – wenn er denn überhaupt eine Antwort wusste –, geschahen zwei unerwartete Dinge unmittelbar hintereinander. Ich hörte ein Surren über mir und dann einen dumpfen Aufprall. In meinem Kopf war ein schriller Laut, der hinter meiner Stirn entsprang und nicht zuvor durch meine Ohren gedrungen war. Am Zusammenzucken Haschims neben mir spürte ich, dass er wohl dasselbe vernommen hatte. Ich ahnte, was geschehen war – etwas hatte den Vogelschädel getroffen! Was, das war einerlei, ich wagte nicht hinzuschauen, denn hätte das scheußliche Etwas nicht hinab in den Salzsumpf stürzen müssen? Es musste noch immer dort oben schweben – und wer mochte ahnen, was nun Schreckliches geschah?

      Da spritzte neben uns das Wasser auf. Wir schraken zurück, in Furcht vor dem Vogelschädel – und sahen stattdessen, wie sich eine langgestreckte Natter durch das Wasser schlängelte, das nicht allein von der Bewegung schimmerte, sondern auch vom Wetterleuchten glänzte.

      Ich spannte meinen Körper, spreizte die Hände, um das gewiss giftige Tier zu packen, falls es angreifen sollte – da erkannte ich, dass es keine Schlange war, sondern ein Seil. Ein Seil, dessen uns zugewandtes Ende langsam im Wasser versank, während das andere sich im Wurzelverhau verfangen hatte, der den Weiher umgrenzte.

      Woher das Seil stammte, ahnten Haschim und ich im gleichen Herzschlag – und wir ließen uns nicht länger von jenem scheußlichen Ort blenden, noch weniger von dem Wetterleuchten und auch nicht von dem grauenhaften Wesen, das wohl noch immer über uns schwebte. Bevor sich die Oberfläche des Wassers beruhigen konnte, sodass man die Spiegelung des Schädels hätte erblicken können, griffen wir gleichzeitig nach dem Ende des Seils, spürten erst einen Widerstand und dann einen Ruck – und waren mit einem Mal dem grauen Weiher entronnen!

       Sechstes Kapitel

       Düstere Deutungen

      Ich spürte Sand und Steinchen zwischen meinen Fingern. Der Untergrund war fest und trocken. Rosiges Morgenlicht kam vom Himmel, der nicht mehr bleigrau erschien, sondern mehr und mehr an Blau gewann.

      Neben mir, ebenso wie ich halb liegend, halb auf allen vieren, regte sich Haschim und hustete kurz. Wir beide lösten die Hände von dem Seil und schauten an dessen Linie entlang zu den drei Gestalten, die einige Schritt entfernt standen und uns besorgt betrachteten.

      Nein, es waren nur Halef und Sir David, die furchtsam blickten und deren Anspannung sich gerade löste, ebenso wie sie erleichtert die Arme sinken ließen, mit deren Muskeln sie uns aus der Gefahr gezogen hatten. Amscha hingegen hatte eine nüchterne Miene aufgelegt und ging in diesem Augenblick rasch auf uns zu und streckte die Hand aus.

      Ich hob meine eigene, um mit matter Geste abzuwinken: Amscha musste mir nicht aufhelfen, ich fühlte mich verwirrt, aber kräftig und setzte bereits einen Fuß nach vorn, um mich zu erheben. Doch Amscha schritt ohnehin an mir vorüber, etwas zur Seite hin und griff nach einem Holzstab, der in die Luft ragte. Ich wandte meinen Blick eilig, für einen Herzschlag fürchtete ich – doch es war nur ein Speer, den Amscha aus dem Sandboden zog.

      Nein, nicht aus dem Sand zog sie ihn. Ich richtete mich auf und sah, wie die metallene Spitze aus einem dunklen Federbündel glitt. Ich erkannte den nackten Hals eines großen Geiers und dessen tote Augen und den gebogenen Schnabel, was mich eigentümlich erleichterte. Amscha stieß die Speerspitze in den Sand und bewegte den Schaft, um die Klinge vom Blut zu reinigen. Dass der Dscherid durch diese Prozedur auch wieder seine Schärfe erlangte, war der eigentliche Zweck, nicht etwa, die Spuren des erfolgreichen Wurfs zu tilgen. Ich fragte mich, warum Amscha den Aasvogel erlegt hatte. Doch alle anderen hatten wohl noch viel weitergehende Fragen.

      Haschim stand nun neben mir und schüttelte mit beiläufiger, geradezu eleganter Bewegung den Sand aus seinem Gewand. Seine Kleidung wie auch die meine waren gänzlich trocken. Nichts deutete darauf hin, dass wir uns in einem Sumpf befunden hatten. Was war geschehen?

      Halef sprach als Erster. „Sihdi, geht es dir gut? Und auch Haschim …“ Halefs Augen waren von Furcht und Zweifel verschleiert.

      „Gewiss“, antwortete ich, mit einem Seitenblick zu Haschim.

      „Well“, räusperte sich Sir David, der interessiert Amschas Hantieren mit dem Dscherid verfolgt hatte. „Glücklicherweise ist ein quick-sand, jener tückisch treibende Sand, nicht gar so tückisch, wenn helfende Hände rechtzeitig zur


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