Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder


Скачать книгу
durch den Seelendurst des Hexers einige Lebensjahrzehnte zu nehmen, anstatt ihn zu töten. Denn einen Kerker hätte er wohl nie von innen gesehen, wenn wir ihn den korrupten Behörden ausgeliefert hätten.“

      „Doch nur ein Magier wie ich konnte diesen Plan erdenken. Das haben die Gefährten Abu Kurbatschs erkannt und er selbst nicht minder. Sie wussten also am Ende von Halefs Namen und von meinem Wesen.“

      Halef schnaufte. „Ich empfand es nur als gerecht, dass der Hexer sich an der Lebenskraft von Abu Kurbatsch zu Tode gesoffen hat!“ Er blickte Haschim an. „Wir teilen unser Schicksal und die Bürde, die wir auf uns geladen haben. Und ich werde euch immer retten, wenn es mir möglich ist!“

      „Dank dir, Halef“, lächelte Haschim. „Aber ich fürchte, bei der nächsten Falle ist es mit einem Seil nicht getan.“ Er stutzte. „Es hat bereits diesmal auch einen Speer gebraucht.“

      Haschim wandte sich um und musterte den Leichnam des Geiers. Dessen Federn waren dunkelbraun, wirkten beinahe schwarz, und man konnte den nackten Hals sehen, der bläulich und rosig schimmerte, darüber den hellen Flaum des Kopfes. Es mochte ein Mönchsgeier sein, der auch in diesen Breiten heimisch war. Um den geöffneten Schnabel, aus dem die schlaffe Zunge ragte, sah ich Blut, das aus dem Rachen gequollen war, hervorgerufen durch Amschas Speertreffer.

      „Was ist da geschehen?“, fragte Haschim an Halef gewandt.

      „Als wir euch zu Hilfe kamen, euch beide dort im Sand sahen, war der elende Racham bereits über euch. Er kreiste nicht, er flatterte auf der Stelle, als wolle er sich gerade auf euch stürzen, als wäret ihr schon …“ Halef schluckte und schaute bedrückt. „Ihr hattet euch ja nicht bewegt.“ Dann nickte er. „Aber dann dachte ich, dass ihr euch nicht rührt, damit ihr nicht tiefer in den Sand sinkt.“

      „Der Geier flatterte über uns? Das ist ungewöhnlich“, merkte ich an. Gemeinhin verband man solches mit einem Greifvogel, der rüttelnd, wie man es nennt, in der Luft schwebt, um nach Beute zu spähen. Dass der Geier sich nicht durch die drei Menschen gestört fühlte, die herangekommen waren, schien mir seltsam.

      „Das Tier war nur ein Stellvertreter in der wahren Welt“, befand Haschim, „herbeigerufen, um einen Lebensfunken dort zu haben, wo wir jenes Gebilde sahen, das zu uns sprach …“

      Haschims Stimme klang mit einem Mal so brüchig, dass ich erschrak. Und auch Halef, der bereits den Mund geöffnet hatte, wohl um erstaunt nachzufragen, sog stattdessen nur knapp die Luft ein und schwieg.

      Mit einer kurzen Geste fing Haschim sich wieder. „Es ist so, dass auch magische Visionen keineswegs aus dem Nichts geschaffen werden können, noch weniger ein Übergang zu einem anderen Ort. Es braucht für die Magie einen Anker, eine Verwurzelung in dieser Welt.“

      Ich begriff, soweit mir dies gegeben war. „Dieser Fleck Sand dort ist also kein magisches Portal wie jenes, das wir im Gebirge des Sangesur zur Geisterwelt hin durchschritten haben?“

      „Nein, es ist eine Falle, wie ich erwähnte. Schaut, dort.“

      Haschim zeigte auf die Sandfläche, wo sie durch uns aufgewühlt worden war. Zwischen den Steinchen sah ich etliche kurze, dunkle Stäbchen, wie verdorrte Finger.

      „Mangrovenholz“, erklärte Haschim.

      „Deshalb erschien es uns wie ein Salzsumpf? Oder waren wir wirklich dort – im Geiste?“

      Haschim lächelte schwach. „Wirklich und im Geiste – das ist eine philosophische Frage, nicht wahr? Aber diese führt uns nicht weiter. Ich weiß allerdings, welchen Ort wir geschaut haben, weniger von dessen Gestalt her, sondern wegen der Herkunft unserer Gegner.“ Haschim deutete vage nach Südosten. „Am Golf von Persien, zwischen den Landzungen von Katar und Oman, auf halbem Wege zwischen Dauha und Abu Dhabi, gibt es im Hinterland der Küste ein Gebiet, das Sabkhat Matti genannt wird, der Salzsee des Matti. Auch dort gibt es Sümpfe und Mangroven, wie überall an jenen Küsten, doch reichen sie tiefer ins Landesinnere als irgendwo anders. Und tief in diesen Salzsümpfen und Mangrovenwäldern liegt verborgen ein Haus, von dem ich nur habe erzählen hören. Es gehört einem Hexer, der einen üblen Ruf hat, selbst unter jenen Anhängern des ‚Linken Pfades‘. Man weiß wenig von ihm und spricht deshalb umso furchtsamer. Manche sagen, er herrscht über den Salzsumpf und lässt ihn weiter wandern, um in seinen Nebeln die Rub-al-Chali zu durchqueren, bis hin nach Hadramaut, weil es ihn nach dem Wissen der Gelehrten dürstet. Dann würde er sie töten und alle Schriften vernichten, damit er allein der Weiseste der Welt sei.“

      Halef und ich schwiegen bedrückt. Wir kannten Hadramaut seit unserem jüngsten Abenteuer, und die Vorstellung, dass dieser Hort des Wissens vernichtet würde, war entsetzlich. Ein solches Geschehen hätte seinesgleichen wohl nur in der Zerstörung der alten Bibliothek von Alexandria, für welche allerlei Eroberer von Cäsar bis al-Khattab verantwortlich gemacht wurden; und auch wenn dies nicht stimmen sollte und die Zerstörung eher ein allmähliches Verschwinden über die Jahrhunderte war, so ist die Vernichtung von Wissen doch stets ein Verbrechen am menschlichen Geist, wenn nicht an der Seele. Auch wenn unsere eigenen bevorstehenden Prüfungen und drohenden Gefahren persönlich schmerzten, war ein solches doch um so vieles größer und in seiner Übermacht erdrückend.

      Ich wollte dieses Gefühl abschütteln und machte deshalb den schwachen Versuch, nüchtern von jenen Dingen zu sprechen, auf die ich mich als Reiseschriftsteller verstehe.

      „Es heißt, die Salzmarschen des Sabkhat tragen ihren Namen nach jemandem, der einst darin verschwunden ist. Vielleicht ein britischer Forschungsreisender namens Matthew oder ein jüdischer Kaufmann namens Matitjahu. Allesamt Namen, die sich vom Apostel Matthäus herleiten, dem Evangelisten, dessen ikonografisches Attribut ja das Buch oder die Schriftrolle ist …“ Ich brach ab, als ich Haschims regloses Gesicht sah. „Aber“, hauchte ich, „Matthäus starb den Märtyrertod auf Missionsreise in Syrien … oder Arabien … oder Persien … die Quellen und Legenden sind da uneins.“

      „Mutmaßen wir nicht“, sagte Haschim und rang sich ein dünnes Lächeln ab. „Der Name ist weitverbreitet. Ich selbst kenne einen Mann namens Mato auf dem Balkan, der das Wissen ebenso schätzt, aber ein guter Mensch ist, und auch sein Domizil ist das gerade Gegenteil von einem Salzsumpf. Falls wir dieses Abenteuer glücklich überstehen, sollten wir ihn besuchen. Er ist auch gelehrt und hilfreich.“ Haschims Miene erhellte sich. „Wie ich sagte: Mutmaßen wir nicht. Wir wissen nun genau, dass die Sklavenhändler auch einen magisch begabten Helfer haben. Dieser hat jene Falle gestellt und mit den Zeichen der Magie der Salzmarschen versehen, um mich in Furcht zu versetzen. In der Magie wie in der Welt ist Furcht eine mächtige Waffe. Allen Zauberern ist allein die Erwähnung des Hexers der Salzmarschen zuwider. Und Bilder und Visionen tun ihr Übriges. Doch sie sind eben nur dieses!“ Er räusperte sich. „Hadschi Halef! Würdest du vor der Befreiung deiner Familie zurückschrecken, wenn die Sklavenhändler dich glauben machen wollten, der Scheitan leibhaftig sei ihr Gefährte?“

      Halef zwinkerte zweimal, dreimal, sagte dann aber fest: „Gewiss nicht! Und auch mein Sihdi würde meinen: Pack den Teufel bei den Hörnern! Oder am Schwanz. Oder wo auch immer! Wir haben keine Furcht!“

      „So soll es sein“, stimmte ich ein. Und zu Haschim gewandt: „Was ist dir eben eingefallen, als du von jenem Mato sprachst?“

      „Dass ich einen Mann kenne, der uns helfen kann, auf die Spur der Entführer zu kommen. Auch wenn wir die Botschaften des Lehrers Lohse erhalten und die Sklavenhändler selbst uns boshaft mit Hinweisen versorgen!“

      Haschims Augen leuchteten und in seiner Stimme klang ein gewisser Übermut, als habe er mit einem Mal jene Worte Sir Davids aufgenommen, die unsere Jagd auf die Schurken mit einem waidmännischen Ausflug oder einem Kinderspiel verglichen. Ich fand dies gewiss etwas sehr salopp und unangemessen, aber ich begriff auch eines: Selbst ein edler und gelehrter Mann wie Haschim musste dann und wann die Bürde abschütteln, die aus Leid, Elend und Erdenschwere bestand, von jenen magischen Dingen ganz zu schweigen, von denen ich nur allzu wenig verstand. Und vielleicht half es, die schrecklichen Ereignisse in jenem Salzsumpf zu vergessen, die bereits mir einen quälenden Schauder vermittelt hatten. Wie viel tiefer mochte dann der Schrecken in Haschims Seele


Скачать книгу