Auf der Spur der Sklavenjäger. Alexander Röder

Auf der Spur der Sklavenjäger - Alexander Röder


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sich nicht an diesem Ort befand.

      Meinen nächsten Schritt musste ich ausgreifender setzen, mit ein wenig Schwung. Um das Gleichgewicht zu halten, streckte ich beide Arme aus, dann schwang ich sie herum und griff nach einem hoch aufragenden Ast.

      Wie konnte ich diesen Mangrovenauswuchs denn sehen, fragen sich nun meine Leser, die sich erinnern, dass ich mit einer Hand den Musaddas vor das Auge halten musste?

      Nun, ich hatte Vorsorge getroffen, dass ich bei meinem Weg in den Sumpf beide Hände zur freien Verfügung hatte. Vor meinem ersten Schritt in das Brackwassergelände hatte ich eine Lederschnur aus meiner Kleidung gezogen und mit dieser den Musaddas vor meinem Auge befestigt. Ich war froh, diesen vor langer Zeit von der Kette befreit zu haben, an der sein erster Besitzer, Abu Zanad, einer der Banditen Al-Kadirs, den Sechseckring um den Hals getragen hatte. Seitdem ruhte der Ring in meiner Westentasche, jedoch ohne störendes Anhängsel. Bei Bedarf, wie in diesem Moment, war es mir ja rasch möglich, für alles Nötige zu sorgen. Ich bin nun wahrlich nicht eitel, aber man verzeihe mir, dass ich nicht zuvor mit großen Worten meine Idee und deren Ausführung geschildert habe, wie ich das Problem der magischen Sicht auf den verzauberten Sumpf löste – denn ich fand, dass ich mit jener Vorrichtung vor dem Auge doch gar zu seltsam ausschaute, wie die karikierte Schimäre aus einem karibischen Freibeuter und einem preußischen Kommerzienrat. Beides liegt mir gleichermaßen fern.

      Doch es nutzte mir wohl, durch den Musaddas schauen und dennoch beide Hände verwenden zu können, denn ich kam gut voran, unter aller gebotenen Vorsicht, und war bald an dem Punkt angelangt, den ich vom Ufer aus, wie ich es einmal nennen mag, erkannt hatte. Hier saßen die Mangroven etwas dichter, die Flecken aus Gras waren spärlicher gesät, und so musste ich kurz über einen Verhau aus Wurzeln steigen, bis ich mein Ziel erreichte. Meine Kleidung war mittlerweile vom Dunst durchfeuchtet und helle Spuren von Salz zogen sich darüber. Meine Hände brannten ein wenig, doch erkannte ich den Nutzen, weil die Salzkristalle mir tatsächlich einen guten Griff an den glitschigen Mangroven ermöglichten.

      Dann trat ich auf eine winzige Grasinsel zwischen den Wurzeln und sah vor mir eine Wasserfläche von der Größe eines kleinen Weihers, eher eines Tümpels. Ich hätte diese mit einem Dutzend Schritten durchmessen können, wäre es fester Grund gewesen. Doch ich erkannte, dass sich keine Wurzeln und kein Erdreich unter der Oberfläche befanden, die still und unbewegt den grauen Himmel darüber widerspiegelte. Wenn es denn der Himmel war.

      Wasser, Brackwasser war es jedoch allemal, denn dessen schwachen Geruch konnte ich wohl wahrnehmen. Dumpf und still war es noch immer. Ich konnte somit auch nicht vernehmen, ob meine Gefährten sich bereits hinter mir versammelt hatten. Ihre Rufe wären wohl auch verwundert gewesen, weil ich nicht auf sie reagierte und stattdessen unbeirrt über staubigen Grund schwankte – ohne einen für sie erkennbaren Grund.

      Für einen Herzschlag kam mir der Gedanke, dass ich für sie unsichtbar wäre, so wie der Sumpf und auch Haschim. Hätte ich ihn nicht am Boden liegen sehen müssen?

      Nein, diese Überlegung ging fehl, weil sie zu logisch war. Ich hatte gespürt, dass Haschim in der Nähe sein musste. Ob tatsächlich oder auf einer anderen Ebene der Welt oder des Bewusstseins. Ich musste kein Magier oder Metaphysiker sein, um dies zu erkennen, denn dafür hatte ich in jenen Bereichen über die vergangenen beiden Jahre genug erlebt.

      Ein Dunstschleier wehte über den Tümpel, obgleich ich keinen Wind verspürte.

      Und dann zerfaserte dieser Nebelvorhang und enthüllte mir – das Schreckliche!

      Ich sah Haschim auf dem Wasserspiegel knien, den Rücken mir zugewandt und den Blick erhoben. Er schaute zu einem kopfgroßen Gebilde, das vor ihm schwebte, etwa auf der Höhe des Scheitels eines großgewachsenen Mannes. Nein, das Gebilde schwebte nicht, es steckte auf der Spitze eines dürren, verästelten Mangrovenstamms, der schwarz glänzte und nackt war, wie ein junger, noch schwacher Baum im späten Herbst, furchtsam den harten Winter erwartend, einsam an verlassener Landstraße, umgeben von brachen Feldern.

      Das Gebilde aber war tatsächlich ein Kopf, und es war der eines gewaltigen Vogels, von Menschengröße wohl, und doch fehlte ihm alles markant vogelhafte, denn dort, wo ein Schnabel hätte sein müssen, klaffte nur ein rötliches Mundloch. Ringsum lagen die blässlich grauen Federn an, feucht und glatt, und darüber glänzten die schwarzen Augen, faustgroß und von entsetzlich leerem Blick. Aus dem Schlund bleckte eine spitze Zunge – und dieses scheußliche Etwas begann schnarrend in einer Sprache zu reden, die ich nie zuvor gehört hatte – und die nicht von dieser Welt sein durfte, so misstönend und grauenerregend klang sie mir.

      Ich vermochte nicht zu sagen, ob das Ding schon längere Zeit zu Haschim gesprochen hatte oder ich jetzt erst, da ich in den Bannkreis des Weihers getreten war, die furchtbaren Laute vernehmen konnte.

      Doch ich durfte mich nicht bannen lassen von diesem schrecklichen Anblick und dem, was mir gleichermaßen Ohren und Seele marterte. Ich musste Haschim helfen, gleich, in welcher Gefahr er dort schweben mochte. Und dieser Gedanke war auch sogleich mein erstes Bedenken: Konnte ich meinen Augen trauen, bei dem, was ich da sah? Damit meine ich nicht den grotesken belebten Schädel auf dem Mangrovenstamm, sondern Haschim selbst. Dieser schien tatsächlich auf der blanken Oberfläche des Wassers zu knien, ohne um das Geringste einzusinken, wie es doch zwingend gewesen wäre, wenn sich unter der Oberfläche kein Grasflecken oder Wurzelgeflecht befunden hätte. Immerhin konnte ich erkennen, dass der Saum von Haschims Gewändern nass war – es sich also um keine Täuschung zu handeln schien, was die Beschaffenheit des Untergrunds betraf.

      Oder doch? Einerlei! Ich musste Haschim aus dieser Lage retten, es konnte nicht anders sein, als dass er befreit werden musste. An einem solchen Ort, in solcher Gegenwart konnte er sich nicht freiwillig befinden!

      Was sollte ich tun? Trotz meiner Einschätzung waren mir Gelände und Gegner unbekannt – ich sollte wohl besser nicht einfach heranstürmen und Haschim mit mir reißen.

      Ich bemerkte ein wenig verwundert, dass ich, noch vor meinem eigentlichen Entschluss, bereits instinktiv etliche Schritte seitwärts gemacht hatte, über das Wurzeldickicht, welches den Weiher umringte. Doch das war genau die richtige Handlungsweise. Rasch, aber mit Bedacht umrundete ich den Weiher. Ich fand sicheren Tritt und Halt, und die Tonlosigkeit dieses Ortes mochte mir helfen, unbemerkt bis hinter das seltsame belebte Totem mit dem Schädel zu gelangen. Dass ich den blanken schwarzen Augen entgangen war, wollte ich glauben, eine Erklärung dafür hatte ich nicht. Das schnabellose Vogelhaupt war wohl zu sehr davon eingenommen, auf Haschim einzusprechen – oder ihn oder etwas zu beschwören – was wusste ich schon über dergleichen Dinge. Sie bekümmerten mich auch nicht, ich war froh, in diesen Momenten wieder auf meine bekannten Erfahrungen zurückgreifen zu können: das Anschleichen an den Feind und die Rettung eines Gefährten.

      Ich stand nun hinter dem Pfahlstamm, sah nur den Federschädel, ohne das schrecklich missgestaltete Antlitz. Dafür konnte ich Haschim ins Gesicht blicken, der den Kopf erhoben und seine Augen auf das gerichtet hatte, was da zu ihm sprach.

      Haschims Augen waren furchterregend – nicht leer und starr wie die eines Mannes unter Drogen oder in Trance, sondern unstet und irr, mit flatternden Lidern und blank und weiß, weil die Pupillen samt der Iris wechselnd nach oben, unten oder zu den Seiten verschwanden. Erschreckenderweise war sein Gesicht jedoch unbewegt, kein Muskel war verzerrt, der Mund weder verzogen noch geöffnet, wenngleich ich fast erwartet hätte, die Zähne gebleckt und die Lippen schaumbedeckt zu sehen wie bei einem Tollwütigen.

      Was auch immer mit Haschim geschah, ich musste ihn aus diesem Bann befreien!

      Mir blieb wohl nur eine Möglichkeit: ein direkter Angriff auf den unbekannten Gegner. Und dies mit bloßen Händen, denn ich hatte keine Waffen bei mir.

      Ich sprang vor, stieß mich von den glitschigen Mangrovenwurzeln ab, so gut ich es vermochte, und setzte mit Macht über die Wasserfläche hinweg, die mich von Haschim und dem Vogeltotem trennte. Für einen Herzschlag dachte ich, dass mir dieser Sprung kaum gelungen wäre, wenn ich den Revolver und das schwere Messer am Gürtel getragen oder gar in den Händen gehalten hätte. So aber flog ich gleichsam voran, als würde ich neben der Kraft meiner Beine auch von meinem Willen getragen – die Zeit schien sich zu dehnen, und ich glaubte fast,


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