Stilwechsel und ihre Funktionen in Textsorten der Fach- und Wissenschaftskommunikation. Группа авторов
verständlich zu machen. Sie gehen allerdings nicht von einem Trend aus, sondern von einer Randerscheinung und betonen die Notwendigkeit detaillierterer Untersuchungen, um auszuschließen, dass diese Stilwechsel auf Individualstile zurückzuführen sind.
Im Unterschied zu derartigen Entwicklungstrends von ungewisser Dauer und somit mit offenem Ausgang sind historische Veränderungen, die auf technische Entwicklungen zurückgehen und die in mehreren Beiträgen zur Sprache kommen, unverkennbar: Multikodalität, d.h. neben sprachlichen Ausdrucksmitteln der Einsatz diverser Arten von Abbildungen und Farbe sowie aufwendiges Seitenlayout, hat sich auch in Druckmedien durchgesetzt (vgl. Bachmann-Stein/Stein, Kap. 3; Petkova-Kessanlis, Kap. 4.10). Ungleich einschneidender ist jedoch das Aufkommen von Webauftritten, Blogs und Foren.
Wie sehr mit diesen Kommunikationsformen auch der Anspruch verbunden wird, die Kluft zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit zu überwinden, zeigt Annely Rothkegel mit ihrer Analyse der Internet-Plattform zu den Wissenschaftsjahren (im Zeitraum 2010–2018). Eingerichtet vom deutschen Bundesministerium für Bildung und Forschung, verfolgt dieses Projekt das Ziel, zu einem „Dialog mit Bürgerinnen und Bürgern“ zu kommen, der ein konstruktives Miteinander von Wissenschaft und Gesellschaft ermöglichen soll. Auf der Makroebene diagnostiziert Rothkegel einen „stillosen Stil“: Ein einheitliches modisches Webdesign gewährleistet eine gewisse Konsistenz, diese kann den Mangel an inhaltlicher Kohärenz aber kaum kompensieren. Auf der Mikroebene, d.h. innerhalb einer einzelnen, einem bestimmten Thema gewidmeten Website, werden die differenten Perspektiven dagegen weniger überwunden als durch „semantisches Jonglieren“ verdeckt, das die Unterschiede zwischen fachlichen, nicht-fachlichen und alltagssprachlichen Ausdrücken verschwimmen lässt.
Mit dem engeren Feld der Popularisierung, in dem als Produzenten in der Regel weniger Wissenschaftler, sondern Journalisten als Mittler beteiligt sind, beschäftigt sich Ines-A. Busch-Lauer. Ausgehend von der These, dass das Internet als interaktive Plattform für den Wissensaustausch die Distanz zwischen Wissenschaft als Theoriegebäude mit Spezialwissen und Gesellschaft als Praxisraum verringert, leitet Busch-Lauer stilistische Tendenzen ab, die auf den Einfluss des Mediums Internet zurückzuführen sind. Sie weist sie nach anhand einer exemplarischen Analyse von Texten aus Online-Wissenschaftsmagazinen und Blogtexten, die wissenschaftlich-technische Neuerungen zum Gegenstand haben. Eine dieser Tendenzen ist der Wechsel von schriftsprachlichem zum mündlichen Stil, der Merkmale des publizistischen Stils aufweist. Diese Gestaltungstendenz entspricht der von der Autorin konstatierten Multifunktionalität: Die von ihr untersuchten Texte erfüllen gleichzeitig eine informative, eine popularisierende und eine werbende Funktion.
Bei Busch-Lauer kommt auch ein Stilmerkmal popularisierender Texte zur Sprache, das unabhängig vom Medium ist, nämlich die Personalisierung. Sie kann Betroffene, die Interaktanten oder auch die Wissenschaftler betreffen, von denen die Rede ist. Sie steht in besonders starkem Kontrast zum Stil in Wissenschaftstexten, da dort eben Unpersönlichkeit die Norm ist. Das bedeutet freilich nicht, dass der Beziehungsaspekt in der Wissenschaftskommunikation gar keine Rolle spielte. Hier ist das Medium insofern von Bedeutung, als in diskursiven Kommunikationsformen, insbesondere bei Kopräsenz, die Bearbeitung des Beziehungsaspekts explizit realisiert wird, und zwar vor allem an den Rändern kommunikativer Episoden (im Sinne einer Rahmung), während sie in textuellen Kommunikationsformen eher implizit erfolgt. Diesem Fragenkomplex ist der Beitrag von Matthias Meiler gewidmet. Da in wissenschaftlichen Texten der primäre kommunikative Zweck in der Bearbeitung des wissenschaftlichen Wissens besteht, kommt es durch die kommunikative Bearbeitung der domänenspezifischen professionellen Kontaktnahme und Beziehungspflege zu Stilwechseln. Ausgehend von einem Beispiel aus einem Wissenschaftsblog präsentiert Meiler den Forschungstand zum Thema und kommt zu dem Schluss, dass die relevanten Stilwechsel im wissenschaftsinternen Diskurs das Prinzip der Unpersönlichkeit nicht außer Kraft setzen bzw. im Sinne einer historischen Entwicklung schwächen, sondern im Gegenteil dazu dienen, die Gültigkeit der Konventionen interner Wissenschaftskommunikation zu bestätigen.
Die Bandbreite von interaktiver Internetkommunikation ist sowohl hinsichtlich der situativen Faktoren als auch der stilistischen Ausprägungen sehr groß. Während Meiler fachinterne Diskurse behandelt, die die geltenden Normen (weitgehend) respektieren und reproduzieren, behandelt Thomas Tinnefeld den entgegengesetzten Pol, nämlich (vor allem am Beispiel des bekannten Portals Gute Frage) Forumsbeiträge, die von Rat suchenden Laien initiiert und daher erwartbar von „alltags-fachsprachlichen Stilwechseln“ geprägt sind. Ausgewählt wurden Fragen zu juristischen Problemen, die in der Regel ohne Anspruch auf sprachliche (oder gar fachliche) Korrektheit formuliert sind. Als Antwortende treten ‚Experten‘ auf, die sich selbst einen Wissensvorsprung zuschreiben und charakteristischerweise versuchen, das Anliegen mit fachlichen Begriffen zu reformulieren, oder auch Versatzstücke aus dem Fachdiskurs (wie etwa Gesetze) zitieren, um sie dann ggf. wieder in laientaugliche Sprache zu übersetzen. Auf diese Weise kommt es zu (teilweise sehr komplexen) Stilwechseln auch innerhalb eines Beitrags. Diese Stilwechsel haben nach Tinnefeld teilweise eine sachorientierte Funktion (Streben nach inhaltlicher Exaktheit oder – bei direkter Übernahme von fachlichen Formulierungen – nach Enkodierungsökonomie). Im Vordergrund seiner Ausführungen stehen jedoch Stilwechsel, die sich aus emotionaler Beteiligung ergeben, so etwa wenn der ‚Experte‘ diese Rolle aufgibt und, gewissermaßen als Privatperson, das Verhalten des Fragestellers (moralisch) wertet, ihm praktische Ratschläge gibt oder sich mit ihm solidarisiert.
Einen Umschlag von der sachlichen auf die emotional-persönliche Ebene stellen auch Bachmann-Stein/Stein fest, und zwar in Internetforen zu Grammatikfragen (Kap. 4). Sich selbst eine Expertenrolle zuzuschreiben ist hier insofern einerseits einfacher, andererseits heikler als bei juristischen Fragen, als sich weit mehr Personen als kompetent in Bezug auf die eigene Sprache betrachten und nicht davor zurückschrecken, eine solche Kompetenz anderen Personen abzusprechen. Dies ist aus dem laienlinguistischen Diskurs gut bekannt, nimmt aber bei Beteiligung von Personen ohne jeden auch nur halb-offiziellen Expertenstatus (wie er z.B. Bastian Sick zukommt) leicht besonders krasse Züge an, die die Forenbetreiber mitunter dazu veranlassen, explizit die Einhaltung der Netiquette-Regeln einzufordern.
Auf Internetforen gehen Bachmann-Stein/Stein nur kursorisch ein, der Vergleich mit Stilwechseln, die in didaktisch konzipierten Grammatikdarstellungen (Kap. 2) vorkommen, und schließlich mit solchen, die sich in den verschiedenen Auflagen der (Wissenschaftlichkeit beanspruchenden) Duden-Grammatik (Kap. 3) beobachten lassen, zeigt aber besonders gut, mit welcher Vielfalt an Gestaltungsmitteln und Funktionen bei ‚derselben‘ kommunikativen Aufgabe zu rechnen ist. In überwiegend an Studierende gerichteten Darstellungen dienen Stilwechsel (weg vom Sachlich-Neutralen) vor allem der Aufmerksamkeitssteigerung und Rezeptionsförderung. Je breiter das Publikum (Schüler und eine disperse Gruppe von Sprachinteressierten), desto unterschiedlicher (aber tendenziell geringer) werden Vorwissen und Lernbereitschaft eingeschätzt, was zum Einsatz typisch popularisierender Mittel führt: Die Textproduzenten zeigen Verständnis für Probleme angesichts der notorisch unbeliebten Grammatik, verzichten gänzlich auf konkrete Verweise auf den Fachdiskurs, treten als Mittler zur nur abstrakt genannten (Sprach-)Wissenschaft auf, sprechen Leser direkt an und erteilen konkrete Ratschläge. Angezielt wird damit die zeitweise Aufhebung der Wissens-Asymmetrie und somit die Verringerung der Distanz zu den Rezipienten.
Dass sich in den Auflagen der Duden-Grammatik sehr markant die Gestaltungsveränderungen niederschlagen, die durch die technischen Entwicklungen verursacht sind, wurde schon oben bemerkt. Die Ausweitung des Einsatzes von grafisch-visuellen Mitteln dient der Lese- und Zugriffsfreundlichkeit. Daneben registrieren die Autoren eine Verdoppelung des Umfangs, was in bemerkenswertem Gegensatz zur angezielten Erweiterung des Adressatenkreises steht (auch Rezipienten mit niedrigeren Wissensvoraussetzungen werden als Nutzer in Betracht gezogen); denn die vergleichend behandelten ‚popularisierenden‘ Darstellungen zeichnen sich gerade durch massive Umfangsreduktion und Simplifizierungstendenzen aus.
Einer sehr viel tiefer gehenden Änderung entspricht der Wandel der Duden-Grammatik von einer eher präskriptiven zu deskriptiver Haltung sowie der Stilwechsel beim Exemplifizieren: Er besteht in dem zunehmenden Verzicht auf literarische Belege und der Aufnahme von Beispielen, die der authentischen mündlichen Kommunikation entstammen. Hier haben wir es weit eher mit dem Wandel von Denkstilen zu tun. Dies führt einerseits zurück auf die Ausführungen von Gwozdz und unterstützt