Makarios. Manfred Engeli

Makarios - Manfred Engeli


Скачать книгу
spannender Prozess. Mir ist beispielsweise aufgefallen, dass Jesus sehr direkt und ehrlich mit mir umgeht; doch alles, was er mir sagt, bewirkt Hoffnung und Ermutigung. So ist es auch, wenn ich meinem Meister einen erledigten Auftrag zurückgebe: Sein Urteil ist jedes Mal wahrhaftig und zugleich entlastend. In seiner Gegenwart komme ich in den Frieden; er macht nie Druck und schafft keinen Stress – bei ihm haben alle Dinge ihre Zeit. Der liebenswürdige Humor, mit dem er mir immer wieder begegnet, schafft eine entlastende Distanz und rückt die Proportionen wieder zurecht; so kann ich manchmal auch über mich lachen. Ich bin so dankbar, dass das Leben mit Jesus so fröhlich, ermutigend, aber auch wachstumsfördernd und herausfordernd ist.

      Für diesen Lernprozess ist der innere Austausch mit Jesus von großer Bedeutung. Wir können uns das Ziel setzen, im Alltag und im Berufsleben alles mit Jesus oder dem Vater zu besprechen. Vielleicht geht es Paulus um dieses Zwiegespräch mit Gott, wenn er schreibt: Freut euch alle Zeit! Betet unablässig! Sagt in allem Dank! (1Thess 5,16–18). In meiner seelsorgerlichen Arbeit hat sich immer wieder bestätigt, dass diese Möglichkeit allen Menschen offensteht, die sich nach einer engen Beziehung mit Jesus oder dem Vater sehnen. Es wird auch durch folgende Aussage Jesu bekräftigt:

       Meine Schafe hören meine Stimme,

      und ich kenne sie,

      und sie folgen mir (Joh 10,27).

      Das Ziel dieses Lernprozesses ist nicht, Jesus in den äußeren Formen seines Lebens ähnlich zu werden, sondern in seiner Beziehung zum Vater und in seiner Gesinnung. Wie wir oben gesehen haben, war diese geprägt durch seine Liebesfähigkeit. Wenn wir von ihm als Vorbild lernen wollen, müssen wir bereit sein, Schritte der Veränderung zu gehen. Die Beziehung zu Jesus kann für uns wie ein Spiegel werden, in dem wir sehen, wie Gott uns eigentlich gemeint hat. Und dann kommt es darauf an, dass wir auch handeln und das Erkannte umsetzen; nur so werden wir makarios (siehe dazu im Anhang »Die Kunst der kleinen Schritte«, S. 126). Was Jakobus über Gottes Wort als Spiegel sagt, gilt auch für unsere Begegnungen mit Jesus:

      Wenn jemand ein Hörer des Wortes ist und nicht ein Täter, der gleicht einem Mann,

      der sein natürliches Gesicht in einem Spiegel betrachtet. Denn er hat sich selbst betrachtet und ist weggegangen,

      und er hat sogleich vergessen, wie er beschaffen war.

       Wer aber in das vollkommene Gesetz der Freiheit

      hineingeschaut hat und dabei geblieben ist,

      indem er nicht ein vergesslicher Hörer,

      sondern ein Täter des Werkes ist,

      der wird in seinem Tun glückselig [makarios] sein

      (Jak 1,23–25).

      3 Gott lieben

      Wir lieben [ihn], weil er uns zuerst geliebt hat (1Joh 4,19).

      Liebe ist das Wesensmerkmal der Person Gottes. Dass er uns nach seinem Bilde geschaffen hat (1Mo 1,26), bedeutet zwei Dinge: Wir sind dazu berufen, in Beziehungen zu leben, und Liebe ist das Bestimmende unserer Existenz. Wenn Sie diese beiden Wahrheiten auf Ihre Person und auf die Realität Ihres Lebens übertragen, spüren Sie, dass es so ist. Deshalb tragen wir die Sehnsucht in uns, dass unser Leben ganz durch die Liebe geprägt sein möge.

       Der Mensch ist ein Beziehungswesen

      Gott hat den Menschen als Beziehungswesen geschaffen. Wir stehen also immer und überall in Beziehungen. Unser ganzes Handeln enthält einen Beziehungsaspekt – auch das Vermeiden einer Begegnung ist ein Beziehungsverhalten. Deshalb kann das Axiom von Watzlawick zur Kommunikation – »Man kann nicht nicht kommunizieren« (Watzlawick: Kommunikation, S. 53) – auf alle drei Beziehungsdimensionen des Menschen übertragen werden: Der Mensch kann nicht nicht in Beziehung stehen.

image

      Abb. 1: Die drei Beziehungsdimensionen des Menschen

      Dies zeigt sich nicht nur in den mitmenschlichen Beziehungen, wo das Kommunikations-Axiom gilt, sondern auch in der Selbstbeziehung und in der Beziehung zu Gott. So wie wir alle eine Beziehung zu uns selber haben, ob sie nun gut sei oder schlecht, so ist auch jeder Mensch darauf angelegt, eine Beziehung zu Gott oder zu einem Gott-Ersatz zu suchen – zu etwas also, das seine eigene Existenz übersteigt. Augustinus hat die Erfahrung gemacht, dass wir aber nur in Gott Ruhe finden: »Zu dir hin hast du uns geschaffen, und unruhig ist unser Herz, bis es ruhet in dir« (Augustinus: Bekenntnisse, S. 31).

      Das oben dargestellte Konzept des Röhrensystems lässt uns besser verstehen, wie Gott unsere Gottesebenbildlichkeit gemeint hat: Unsere Verbindung mit ihm schließt uns an der Quelle der Liebe an. Dadurch wird unsere Person zu einem Gefäß, aus dem Gottes Liebe auf die Mitmenschen überfließen kann. So werden wir zu einer Liebesquelle für andere. Jesus drückt dies so aus:

       Wenn jemand dürstet, so komme er zu mir und trinke!

       Wer an mich glaubt … aus seinem Leibe

      werden Ströme lebendigen Wassers fließen (Joh 7,37).

      Wie die Pfeile in der Abbildung andeuten, kann der Liebesfluss in zwei Richtungen fließen: Gottes Liebe will durch mich hindurch – nicht etwa an mir vorbei! – zu meinen Mitmenschen fließen. Dabei soll ich der erste Gesegnete sein. Die Liebe, welche mir von den anderen entgegenkommt, bewirkt in mir wieder Dankbarkeit und größere Liebe zu Gott hin. Alle unsere Beziehungen sind von Gott her also als Teil eines Liebesfluss-Systems gedacht, das immer von ihm als Quelle ausgeht. Ähnliches drückt auch das »Beziehungsdreieck« aus im Kapitel »Konzepte für unsere Beziehungen« (S. 42).

       Liebe: unser größtes Bedürfnis – unser größter Auftrag

      Liebe ist das Bestimmende unserer Existenz. Das hat sich in meinen Gesprächen mit Menschen immer wieder bestätigt. Unser Liebesbedürfnis ist doppelt. Einerseits drückt es sich im tiefen Wunsch aus, geliebt zu werden. Eine etwa 45-jährige Frau sagte mir im Gespräch: »Alles, was ich in meinem Leben bisher getan habe, hatte nur ein Ziel: geliebt zu werden.« Unser Liebes-Durst ist so groß, dass Menschen ihn gar nicht stillen können. Jesus weiß, dass unser Durst göttliche Dimensionen hat; deshalb lädt er uns ein, bei ihm zu trinken. Später werde ich noch konkreter ausführen, wie wir Jesu Einladung annehmen und unseren Durst bei ihm stillen können.

      Unser Liebesbedürfnis hat aber noch eine andere Seite: Wir sehnen uns danach, jemanden lieben zu dürfen, und dass unsere Liebe angenommen wird. Auch in diesem Bedürfnis hat Gott uns nach seinem Bild geschaffen. Deshalb bietet er sich uns als Gegenüber an, das wir lieben dürfen und das unsere Liebe mit Freude empfangen wird. Aus unserem Wunsch, jemanden lieben zu dürfen, macht Gott sogar ein Gebot:

       Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben

       aus deinem ganzen Herzen

       und mit deiner ganzen Seele

       und mit deiner ganzen Kraft

      und mit deinem ganzen Verstand (Lk 10,27).

      Gottes Auftrag ist unmissverständlich: Wir sollen in unserer Liebe zu ihm ganz sein. Mit allem, was zu uns gehört, sollen wir uns in diese Beziehung hineingeben: unser Herz, unsere Emotionen, unser Denken, unsere Körperkraft – alles soll in sie hinein fließen. Gott will in unserem Herzen den ersten Platz einnehmen. Der Beziehung zu ihm soll die höchste Priorität zukommen in unserem Leben. So wird aus unserem Bedürfnis eine große Herausforderung, der wir uns stellen müssen: Wir sollen Gott unsere ungeteilte Zuwendung schenken.


Скачать книгу