Karins neuer Vater. Alrun von Berneck

Karins neuer Vater - Alrun von Berneck


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      II.

      Elsbeth und Karin wurden im oberen Stock der Villa gleich neben Margots Schlafzimmer einquartiert. Diese selbst konnte sich aber vorerst nicht um die Freundin bekümmern, denn im Wartezimmer saßen bereits mehrere Patienten, die auf den Beginn der Sprechstunde warteten. So war Elsbeth vorerst auf sich selbst angewiesen. Karin war zu Bett gebracht worden, und die Ärztin hatte ihr vorher noch Tabletten gegeben, damit sie nach gut überstandener Fahrt weiterschlafen sollte.

      Nun ging Elsbeth daran, den Inhalt ihres Koffers im Schrank unterzubringen und sich für die Dauer von Karins Krankheit häuslich einzurichten. Sie hatte dabei das gleiche Empfinden, als wäre sie in der Sommerfrische und beziehe ihr Pensionszimmer. Und ebenso handelte sie jetzt auch, indem sie auf die große Liegeterrasse hinaustrat, um die nächste Umgebung zu betrachten und von der Landschaft Besitz zu ergreifen.

      Selbstverständlich kannte sie das Haus ihrer Freundin von früheren Besuchen her. Aber noch nie hatte sie hier übernachtet. Heute, da sie als Dauergast eingezogen war, betrachtete sie alles mit ganz anderen Augen.

      Das Haus lag inmitten einer ausgeprägten Heidelandschaft, Kieferngruppen wechselten ab mit Wacholder und vereinzelten Birken, dazwischen schlängelten sich schmale, mit Steinplatten ausgelegte Wege. Nur unterhalb der Terrasse gab es einen richtigen Blumengarten, schon wenige Meter vom Hause entfernt begann dann bereits die Wildnis, was aber nicht besagen will, daß es hier weniger gepflegt aussah. Man hatte lediglich die Ursprünglichkeit der Landschaft erhalten und ihren arteigenen Charakter noch durch entsprechende Bepflanzung unteristrichen. So gewann man den Eindruck, schon wenige Schritte hinter dem Hause mitten in der Heide zu sein. Die niederdeutsche Bauweise des Hauses, das mit einem breit ausladenden Strohdach gedeckt war, verstärkte diesen Eindruck noch.

      Was Elsbeth aber besonders wohltat, das war die Stille ringsum. Obwohl man nur einen Steinwurf weit von Blankenese entfernt war, spürte man die Stadt überhaupt nicht mehr. Nicht einmal das Rattern der Stadtbahn war hier zu hören, nur hin und wieder tutete auf dem Strom ein Dampfer, der von Schleppern in den Hafen eingeholt wurde.

      Elsbeth atmete tief und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Mit einem glücklichen und zufriedenen Lächeln schaute sie ins Land hinaus. Ein Gefühl unendlicher Dankbarkeit beschlich ihr Herz, und sie fühlte sich geborgen wie selten zuvor. Und im selben Augenblick wußte sie auch, daß sie hier ihre innere Ruhe und Karin ihre Gesundheit wiedererlangen würde. Als sie ins Zimmer zurückging, war Karin eingeschlafen. Da nahm Elsbeth ihre Handtasche und verließ das Haus.

      Sie machte einen Spaziergang bis hin zum Elbufer, wo sie von hoher Böschung aus dem Leben und Treiben auf dem Strom zuschaute. Und es ging ihr wie allen, die schon einmal an dieser Stelle oder auf dem Süllberg bei Blankenese gesessen und den ausfahrenden Schiffen zugeschaut haben. Sie wurde vom Fernweh gepackt, und ihre Sehnsucht ging mit ihr auf die Reise, weit fort von hier, dorthin, wohin die Menschen nur in ihren Träumen zu fliegen vermögen.

      Doch bald kam sie aus dem Traumland wieder in ihre Wirklichkeit zurück, und es konnte nicht ausbleiben, daß sie sich mit ihrer eigenen Lage beschäftigte. Je länger sie darüber nachdachte, desto froher wurde sie darüber, daß sie in Margot eine Freundin besaß, auf die sie sich in jeder Lebenslage verlassen konnte.

      Früher, als sie noch ein junges Mädchen war, hatte sie niemals Sorgen gekannt, und als sie dann geheiratet hatte, löste Walter Haurand die Eltern ab und nahm sie unter seinen ritterlichen Schutz. Als Walter dann aber verunglückt war, stand sie plötzlich hilflos und allein da. Die Mutter tat zwar alles, um ihr das Leben zu erleichtern, aber dann lebten sie sich doch auseinander, weil sie sich nicht mehr verstanden. Das ging soweit, daß Elsbeth den Verdacht hegte, ihre Mutter wolle sich in alles einmischen und in ihr selbst jedes Eigenleben unterdrücken. Daß es die Mutter gut mit ihr meinte und weiter sah, weil sie ihre Tochter viel besser kannte als diese sich selbst, auf diesen Gedanken kam Elsbeth in ihrer Verblendung jedenfalls nicht.

      Heute hatte sie zum ersten Male wieder das Gefühl, ganz geborgen zu sein. Und dies nur aus dem einen Grunde, weil Margot sich um sie kümmerte. Man kann nicht einmal sagen, Margot hätte ihr die Sorgen abgenommen, denn von Sorgen im eigentlichen Sinne konnte bei Elsbeth keine Rede sein. Es war wohl mehr die Tatsache, daß ihr Margot die Initiative abnahm und Entscheidungen für sie traf.

      Plötzlich aber überkam sie der Gedanke, sofort zurück ins Haus zu müssen. Sie erhob sich von dem kleinen Hügel, auf dem sie gesessen, und lief den Weg zurück, den sie gekommen war. Kaum fünf Minuten später war sie wieder daheim. Dort lief sie die Treppe hinauf, um nach Karin zu sehen.

      Die Kleine lag in ihrem Bettchen, aber sie war noch nicht wieder erwacht. Das Mittel, das ihr die Ärztin gegeben, schien von nachhaltiger Wirkung zu sein. Aber sie hatte ihr Deckbett völlig durcheinandergewühlt, und als die Mutter das gerötete Gesicht Karins sah, wurde sie von Angst ergriffen. Schon machte sie sich Vorwürfe, weil sie überhaupt fortgegangen war. Ganz ohne Zweifel fieberte Karin wieder.

      Die Freundin hatte noch Sprechstunde, im Wartezimmer saßen immer noch Leute, und in dem anderen Zimmer sprach die Ärztin mit einem Patienten. In ihrer Sorge wartete Elsbeth aber nicht ab, bis die Freundin frei war, sie klopfte an die Tür und stand davor mit pochendem Herzen.

      Die Freundin kam sofort und öffnete.

      „Ist was, Elsbeth?“ fragte sie besorgt, als sie das Gesicht der jungen Mutter sah.

      „Ich glaube, Karin geht es nicht gut, sie hat einen ganz roten Kopf und fiebert!“

      „Einen Augenblick, Elsbeth, ich komme sofort!“

      Elsbeth ging wieder die Treppe hinauf. Doch war sie noch nicht an der Schlafzimmertür angekommen, als Margot sie schon eingeholt hatte. Gemeinsam gingen sie hinein und traten an das Kinderbett.

      „Sieht nicht sehr erfreulich aus“, sagte Margot, die genau wußte, daß sie der jungen Mutter nichts vormachen konnte. Ein Ausweichen oder gar eine Lüge hätte diese nur stutzig gemacht. „Aber das ist kein Grund zur Aufregung. Ich werde gleich einmal die Temperatur messen!“

      Sie holte auch sogleich ein Thermometer hervor, bevor sie es ablesen konnte, sprach sie auf Elsbeth ein:

      „Es wird vielleicht ganz gut sein, wenn die Grippe zum Durchbruch kommt. Karin hat eine kräftige Natur, sie wird schon damit fertig werden. Wenn ich ihr jetzt etwas eingäbe, das die Krankheit unterdrückt, würde vielleicht die Kraft des Übels sehr schnell gebrochen, aber dann bleibt meistens etwas zurück. Und das könnte für später gefährliche Auswirkungen haben.“

      „Ich bitte dich, Margot, tu, was du für richtig hältst! Ich will Karin ja gerne pflegen! Mir wird bestimmt nichts zuviel sein!“

      Die Ärztin nickte vor sich hin, dann nahm sie das Thermometer wieder an sich. Die Kleine hatte fast vierzig Grad Fieber. Sofort schüttelte sie die Quecksilbersäule wieder nach unten, das Ergebnis brauchte Elsbeth nicht zu sehen, sie würde sich nur unnütz beunruhigen.

      „Und was machen wir nun, Margot?“ fragte Elsbeth unsicher.

      „Abwarten! Ich werde ihr inzwischen noch etwas zur Beruhigung geben. Weiter können wir jetzt nichts tun!“

      „Sie hat heute aber noch nichts gegessen!“

      „Das ist auch nicht nötig, Elsbeth! Aber wenn sie Durst bekommt, gibst du ihr Zitrone oder Fruchtsaft. Ich schicke dir sogleich das Mädchen mit einem Tablett.“

      Die Ärztin nickte ihrer Freundin aufmunternd zu und strich ihr liebevoll über die Schulter.

      „Es wird schon alles gut werden!“ tröstete sie. Dann ging sie wieder nach unten, um ihre Sprechstunde fortzusetzen.

      Aber es wurde nicht alles gut. Es folgten Tage, die das Schlimmste befürchten ließen, denn zu der Grippe hatte die Kleine noch eine Lungenentzündung bekommen. In den Nächten wechselten die beiden Frauen mit der Nachtwache einander ab. Margot schien das nichts auszumachen, aber Elsbeth magerte in diesen zwei Wochen, die die Krankheit anhielt, sichtlich ab. Es stand schon beinahe zu befürchten, daß sie selbst die nächste Patientin sein würde.

      Inzwischen


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