Das Horn von Afrika. Alfred Schlicht
verwendet wurden auch Ersatzwährungen wie Salz – die Salzbarren wurden ›Amole‹45 genannt – und Eisenstücke.
Aksum verlor seine Rolle als Reichshauptstadt – auch in den folgenden Jahrhunderten wird das christliche Reich, das dann entstand und das wir später ›Äthiopien‹ nennen, meist keine permanente ›Hauptstadt‹ mehr haben.
Im 7. oder 8. Jahrhundert ging auch die Bedeutung von Adulis zurück, der Aufstieg von Massawa, heute noch wichtigster Hafen an der eritreischen Küste, begann zwischen dem 8. und 10. Jahrhundert im Zusammenhang mit der zunehmenden Bedeutung des Islam. Ausdruck der Krise ist auch der starke Rückgang der Zahl von Inschriften in den letzten Jahrhunderten der aksumitischen Epoche.
Der endgültige Untergang Aksums liegt im Dunkel. Eine Herrscherin aus dem Süden namens Judith/Gudit oder Esato46 soll Aksum im 10. Jahrhundert angegriffen, zahlreiche Kirchen zerstört und den (letzten?) König von Aksum getötet haben. Immer wieder wurde behauptet, es habe sich um eine ›jüdische‹ Königin gehandelt – dies gehört jedoch ins Reich der Legende. Sicher ist, dass Aksum um das Jahr 1000 stark reduziert und geschwächt und nicht lange darauf völlig verschwunden war. Die spätaksumitische Phase ist gekennzeichnet von der Entstehung neuer Staaten im orbis aethiopicus. Das 10. Jahrhundert sieht den Aufstieg des Staates Damot suedlich des Abbay-Flusses und des Tana-Sees in Schewa, der Zentralregion des heutigen Staates Äthiopien, in der auch die aktuelle Hauptstadt Addis Abeba liegt. In welchem Zusammenhang die genannte Königin Judith und ihr Reich möglicherweise mit Damot standen, ist ungklärt; möglicherweise war sie eine Herrscherin des kuschitischen Damot-Staates, die der Hegemonie des semitischen Aksum ein Ende setzte. Damot blieb für längere Zeit der dominierende Staat auf der Hochebene von Schewa.
Nach und nach kamen zahlreiche Muslime ans Horn von Afrika, als Kaufleute oder als Religionsgelehrte, die den Islam verbreiteten und vorlebten. Die Anziehungskraft der neuen Religion ist vor allem da, wo das Christentum noch nicht verbreitet ist, groß. Nach und nach werden weite Regionen islamisiert, der Islam dringt bis in die Gebiete südlich des christlichen Reiches vor.47
Auch islamische48 Machtbereiche bildeten sich wahrscheinlich schon in der aksumitischen Endphase: Mogadischu (heute somalische Hauptstadt) wurde wohl seit dem 8. Jahrhundert von Muslimen besiedelt und war auch am Hof des Kalifen in Baghdad als Teil der islamischen Umma bekannt, wenn es seine Blüte auch erst im Hochmittelalter erleben wird.
Zayla wird ebenfalls in arabischen Quellen genannt, als Handelshafen hervorgehoben, aber als abhängig vom christlichen Äthiopien beschrieben; später allerdings wird es wesentliche Komponente einer islamischen Föderation. Möglicherweise schon Ende des 9. Jahrhunderts entstand ein islamischer Staat in Schewa (im Osten der heutigen gleichnamigen Region gelegen). Es ist ein Anzeichen für das dynamische Vordringen des Islam nach Süden, wenn auch die Quellenlage
Abb. 4: Mittelalterliche Moschee von Harar.
sehr dürftig und es ›verdächtig‹ ist, dass 896 sowohl als Gründungsjahr für das Sultanat Schewa als auch für das Emirat Harar genannt wird,49 das erst im Laufe späterer Jahrhunderte ins Licht der Geschichte treten wird. Im 11. Jahrhundert erst wird das Sultanat Schewa historisch deutlicher fassbar. Wohl ins 13. Jahrhundert fällt die Gründung der islamischen Stadt Harar, eines der ältesten und wichtigsten Zentren des Islam am Horn von Afrika, das später zum Mittelpunkt eines machtvollen Staates wurde, der große Teile auch der christlichen Regionen unterwerfen konnte, und dessen eindrucksvolle Architektur bis heute eine glanzvolle Geschichte dokumentiert.
Die Nadschahiden – eine abessinische Sklavendynastie in der jemenitischen Küstenebene
In der jemenitischen Küstenebene Tihama kam es im 11. Jahrhundert – also zur Zeit des Untergangs von Aksum oder kurz danach – zur Gründung eines Staates durch Sklaven vom Horn von Afrika. Sklaven wurden im Jemen wie in anderen islamischen (und nichtislamischen) Ländern nicht ausschließlich für ›niedere Dienste‹ eingesetzt, sondern oft auch als Soldaten oder in Regierungsämtern, wobei sie oft beachtliche Machtpositionen erlangen konnten – bekanntestes Beispiel hierfür ist wohl das Mamlukenreich, das 1250–1517 in Ägypten florierte.
Sklaven50 waren seit der Antike ein wichtiges ›Handelsgut‹ in den wirtschaftlichen Beziehungen zwischen dem Horn von Afrika und seinen Handelspartnern. Besonders ›abessinische‹ Sklaven waren auf der arabischen Halbinsel seit langem präsent und beliebt. Die Hafentadt Zabid entwickelte sich in den ersten Jahrhunderten des Islam von einem Regionalzentrum der jemenitischen Küstenebene zu einer glänzenden Metropole, die eine führende Rolle hatte im Handelsnetz Mittelmeer/Nordostafrika/Indien/Südarabien. Es wurde zur wichtigen Zwischenstation für Mekka-Pilger, die aus Aden und vom Horn von Afrika zum geistlichen Zentrum des Islam, nach Mekka, unterwegs waren. Zabid war auch ein bedeutender Sammelplatz für Sklaven, die von Massawa51 über die Dahlak-Inseln von der afrikanischen Küste des Roten Meeres nach Arabien kamen. Einem von ihnen, einem freigelassenen Sklaven namens Nadschah, gelang es 1021, die Macht in Zabid zu ergreifen, dort einen regelrechten Staat52 und eine veritable Dynastie zu gründen, die weit über ein Jahrhundert Bestand hatte. Die ständigen internen Konflikte der im Jemen dominierenden Sulaihiden-Dynastie erlaubten es den (nach ihrem Stammvater benannten) Nadschahiden, ihre Selbständigkeit zu wahren und sich immer wieder zu behaupten. Wurde ihre Lage prekär, zogen sie sich kurzerhand vorübergehend auf die eritreischen Dahlak-Inseln zurück, die in sicherer Entfernung von der jemenitischen Küste lagen. Die christliche Herrschaft über zumindest einige der mehr als 120 Dahlak-Inseln war damals wohl längst vorüber, der islamische Einfluss hatte stark zugenommen und die Inseln spielten eine Rolle im Handel zwischen afrikanischer und arabischer Rotmeerküste, aber auch im Fernhandel; dabei gerieten sie wiederholt ins Visier jemenitischer Machthaber. Grabsteine auf den Dahlak-Inseln belegen, wie bunt gemischt die Bevölkerung dieser Inselgruppe im Mittelalter war.53 Die Nadschahiden vergaßen ihre Herkunft nicht – immer wieder rekrutierten sie am Horn von Afrika Söldner, die entscheidend waren bei der Aufrechterhaltung ihrer Kontrolle über das aufstrebende Wirtschafts- und Verkehrszentrum Zabid. Erst 1159 fand ihre Herrschaft dort ein Ende.
2 Lalibela – die Zagwe-Dynastie
Die wichtigste Entwicklung am Horn von Afrika jedoch nach dem Untergang des Reiches von Aksum stellte der Aufstieg der Agau, einer Ethnie aus der Region Lasta, am Tekkeze-Fluss1 südlich des aksumitischen Stammlandes dar, die bereits in aksumitischen Quellen genannt wurde. Die Agau werden als eine der ältesten Ethnien in dem Raum betrachtet, in dem dann semitische Einflüsse als katalysatorisch bei der Entstehung von Städten und Staaten wirkten. Die Agau selbst waren kulturell-sprachlich jedoch kuschitisch geprägt. Die Sprache der Agau bildet das Substrat der südsemitischen Sprachen Tigrinya und Amharisch. In spätaksumitischer Zeit wanderten Agau-Gruppen aus dem Süden ins Gebiet von Tigray und Eritrea. Bugna, eine Region in Lasta im Nordwesten von Wello, ihre Urheimat, bildete das Kernland des Widerstandes gegen das späte Aksum. Aus der Agau-Bevölkerung geht die Zagwe-Dynastie hervor, welche die staatlich-christliche Tradition von Aksum aufnimmt und über ein Jahrhundert lang fortführt.
Sie bildet die Brücke zwischen der aksumitischen ›antiken‹ Epoche und dem langen salomonischen Zeitalter, das vom Hochmittelalter (unserer europäischen Periodisierung) bis fast in die Gegenwart reicht.
Das Aufkommen der Zagwe-Dynastie um das Jahr 1140 beendet die ›dunkle‹ Periode seit der aksumitischen Endzeit, die vor dem Jahr 1000 einsetzte. Wir wissen wenig über diese ›Zwischenzeit‹; die Überlieferungen über einen aksumitischen General, der eine Königstochter heiratete, dann seinen Schwiegervater liquidierte und als Usurpator den Thron einnahm, gehören ins Reich der Legende und beabsichtigen wohl vor allem, eine nicht wirklich nachweisbare Kontinuität herzustellen. Erster Zagwe-Herrscher soll Tekle Haymanot gewesen sein – nicht zu verwechseln mit dem hochverehrten gleichnamigen Heiligen dieses Namens aus dem 13. Jahrhundert. Die Zagwe bilden weniger eine echte Dynastie mit strenger patrilinearer Erbfolge, sondern eher einen Familienclan, aus dem der Herrscher