Ausgewählte Erzählungen - Band 2. Bjørnstjerne Bjørnson

Ausgewählte Erzählungen - Band 2 - Bjørnstjerne Bjørnson


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ein Ende zu machen.

      Er vertrat ihr jedoch den Weg. „Dies ist eine Pflicht, der Sie sich nicht entziehen dürfen. Sie sind eine unvernünftige Mutter!“

      Gunlaug maß ihn von Kopf bis Fuß. „Wer sagt dir, was ich bin?“ entgegnete sie, während sie an ihm vorbeiging.

      „Sie selber, und das gerade in diesem Augenblick. Denn sonst müßten Sie bemerkt haben, daß dieses Kind zugrunde geht!“

      Gunlaug fuhr herum. Auge ruhte in Auge. Sie sah, er blieb bei seinen Worten, und Angst beschlich sie. Sie hatte nur mit Seemännern und Kaufleuten Umgang gehabt. Eine solche Sprache hatte sie noch nie gehört.

      „Was willst du mit meinem Kind?“ fragte sie.

      „Es lehren, was es zu seinem Seelenheil braucht, und dann abwarten, was aus ihm wird.“

      „Mein Kind soll werden, was ich will.“

      „Nein, es soll werden, was Gott will.“

      Gunlaug schaute verdutzt drein. „Was heißt das?“ fragte sie und trat näher.

      „Das heißt, sie soll das lernen, wozu ihr die Gaben verliehen worden sind, denn dafür hat Gott sie uns ja gegeben.“

      Gunlaug trat ganz dicht an ihn heran. „Ich soll wohl gar nicht über sie zu bestimmen haben, ich, ihre leibliche Mutter?“ fragte sie, als wollte sie wirklich eine Lehre annehmen.

      „Das sollen Sie, aber Sie müssen dabei den Rat derer beherzigen, die es besser wissen. Und Sie müssen dem Willen unseres Herrn folgen.“

      Gunlaug stand eine Weile still da. „Und wenn sie nun zuviel lernt?“ meinte sie. „Armer Leute Kind“, fügte sie hinzu und blickte ihre Tochter zärtlich an.

      „Wenn sie für ihren Stand zuviel lernt, hat sie damit einen anderen Stand erreicht.“

      Gunlaug erfaßte sofort den Sinn seiner Worte, aber mit einem immer schwermütigeren Blick auf das Kind sagte sie mehr zu sich selber: „Das ist gefährlich.“

      „Darum geht es nicht“, erwiderte er freundlich, „es geht darum, was recht ist.“

      In ihre energisch dreinblickenden Augen trat ein eigentümlicher Ausdruck. Wieder sah sie ihn durchdringend an. Aber in seiner Stimme, seinen Worten, seinem Gesicht lag so viel Wahrheit, daß sich Gunlaug geschlagen fühlte. Sie ging zu ihrem Kind, umfaßte seinen Kopf mit beiden Händen und konnte kein einziges Wort hervorbringen.

      „Ich werde das Mädchen von nun an bis zu seiner Konfirmation unterrichten“, sagte er, um ihr zu helfen. „Ich werde mich um sie kümmern.“

      „Und dann willst du sie mir wegnehmen?“

      Er stutzte und blickte sie fragend an.

      „Du verstehst das bestimmt besser als ich“, stieß sie hervor, „aber wenn du nicht unsern Herrgott erwähnt hättest ...“ Sie verstummte.

      Inzwischen hatte sie ihrer Tochter das Haar glattgestrichen. Nun nahm sie ihr Halstuch ab und band es dem Kind um. Nur auf diese Weise brachte sie zum Ausdruck, daß das Mädchen mit ihm gehen durfte, doch als wollte sie es nicht mit ansehen, verschwand sie rasch hinter dem Haus.

      Bei diesem Verhalten der Mutter empfand er plötzlich Angst vor der Aufgabe, die er in jugendlichem Eifer übernommen hatte. Das Kind aber empfand Angst vor ihm, der als erster ihre Mutter besiegt hatte, und mit dieser Angst gingen sie beide an ihre erste Unterrichtsstunde.

      Er hatte jedoch bald den Eindruck, daß sie von Tag zu Tag an Klugheit und Wissen gewann, und seine Gespräche mit ihr nahmen manchmal ganz von allein eine höchst seltsame Wendung. Oft führte er ihr Gestalten aus der Bibelund Weltgeschichte vor Augen, indem er darauf hinwies wozu sie von Gott berufen worden waren. Er verweilte bei Saul, der in blindwütigem Eifer durch die Welt trieb, und bei dem Knaben David, der die Herde seines Vaters hütete, bis Samuel zu beiden kam und die Hand des Herrn auf sie legte. Dieses Berufensein offenbarte sich jedoch am stärksten, als der Herr selbst auf Erden wandelte, bei den Fischern am Meer rastete und seine Stimme unter ihnen erhob. Und der ärmste unter ihnen folgte ihm nach – zu Not und Tod, doch stets voller Freudigkeit, denn das Gefühl, berufen zu sein, hilft uns über alle Widrigkeiten hinweg.

      Dieser Gedanke ließ sie nicht los, und schließlich hielt sie es nicht länger aus, sie mußte ihn nach ihrer Berufung fragen. Er sah sie an, bis sie rot wurde, und erwiderte dann, daß man nur durch Arbeit zu seiner Berufung finde. Sie könne klein und bescheiden sein, berufen aber sei jeder.

      Nun überkam sie ein großer Eifer, der ihre Arbeit mit der Kraft eines Erwachsenen antrieb, er durchglühte ihre Spiele und ließ sie abmagern. Abenteuerliche Sehnsüchte erwachten in ihr. Sie wollte sich das Haar abschneiden, sich als Junge verkleiden und in die Welt hinausziehen, um Heldentaten zu vollbringen! Doch als ihr Lehrer eines Tages sagte, sie habe so schönes Haar, wenn sie es nur flechten würde, fand sie Gefallen daran und verzichtete ihrem langen Haar zuliebe auf allen Heldenruhm.

      Seitdem war ihr mehr als früher daran gelegen, ein Mädchen zu sein, und ihre Arbeit schritt, von wechselnden Träumen umschwebt, ruhiger voran.

      Drittes Kapitel

      Hans Ødegaards Vater war als junger Bursche aus dem Kirchspiel Ødegaard im Bistum Bergen ausgewandert. Fremde hatten sich seiner angenommen, und nun war er ein gelehrter Mann und strenger Prediger. Und überdies ein unnachsichtiger Mann, nicht so sehr in seinen Worten als vielmehr in seinen Taten, denn „er merkte sich alles gut“, wie es hieß. Dieser Mann, der durch Zähigkeit erreicht hatte, was er wollte, sollte dort scheitern, wo er es am wenigsten erwartete und wo es ihn am meisten schmerzte.

      Er hatte drei Töchter und einen Sohn. Dieser Sohn, Hans, war die Leuchte der Schule. Der Vater kümmerte sich selbst um seine Erziehung und hatte täglich seine Freude an ihm. Hans besaß einen Freund, dem er half, ihm in der Schule ebenbürtig zu werden, und der ihn deshalb nach seiner Mutter über alles in der Welt liebte. Zusammen gingen sie zur Schule und zusammen zur Universität. Zusammen legten sie die beiden ersten Examen ab, und zusammen sollten sie nun mit demselben Studium beginnen. Eines Tages, als sie gerade einen Studienplan abgesprochen hatten und gutgelaunt die Treppe hinuntergingen, warf sich Hans in einer Anwandlung von Übermut und Ausgelassenheit dem Freund auf den Rücken, der jedoch so unglücklich fiel, daß er ein paar Tage später an den Folgen dieses Sturzes verschied. Der Sterbende bat seine Mutter, die Witwe war und nun ihr einziges Kind verlor, ihm zuliebe Hans an Sohnes Statt anzunehmen. Die Mutter starb fast gleichzeitig mit ihrem Sohn, in ihrem Testament aber hatte sie Hans Ødegaard zum Erben ihres sehr beträchtlichen Vermögens ernannt. Es dauerte fast ein Jahr, bevor sich Hans von diesem Schlag erholen konnte. Eine längere Auslandsreise versetzte ihn wenigstens in die Lage, daß er sein Theologiestudium zum Abschluß bringen konnte. Er war jedoch nicht zu bewegen, sein Amt anzutreten.

      Der Vater hatte seine ganze Hoffnung darauf gesetzt, den Sohn einst als Vikar an seiner Seite zu sehen. Doch nun war der nicht zu überreden, auch nur ein einziges Mal auf die Kanzel zu steigen. Er gab immer die gleiche Antwort: er fühle sich nicht berufen. Dies war für den Vater eine bittere Enttäuschung, die ihn um Jahre altern ließ. Er war erst spät zu Amt und Würden gelangt und bereits ein alter Mann, der hart und stets mit jenem Ziel vor Augen gearbeitet hatte. Nun lebte sein Sohn mit ihm unter einem Dach, bewohnte im ersten Stock eine Reihe prachtvoll eingerichteter Zimmer. Darunter aber, in seinem kleinen Arbeitszimmer, saß beim Schein der Lampe, die ihm in die Nacht des Alters hinüberleuchtete, der unermüdlich arbeitende betagte Pfarrer. Nach dieser Enttäuschung konnte und wollte er weder fremde Hilfe annehmen, noch mochte er sich dem Wunsch seines Sohnes fügen und sein Amt niederlegen. Darum kannte er weder im Sommer noch im Winter Ruhe. Der Sohn dagegen unternahm jedes Jahr eine längere Auslandsreise. Wenn er zu Hause war, verkehrte er mit niemandem, saß nur während der Mahlzeiten mehr oder minder schweigsam am Tisch des Vaters. Forderte ihn aber jemand zu einem Gespräch heraus, stieß er schon bald auf eine so überlegene Klarheit und einen solchen Wahrheitseifer, daß die Unterhaltung stets in Gefahr geriet. Er ging nie in die Kirche, gab jedoch mehr als die Hälfte seiner Einkünfte für wohltätige Zwecke aus, und stets mit


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