Ausgewählte Erzählungen - Band 2. Bjørnstjerne Bjørnson

Ausgewählte Erzählungen - Band 2 - Bjørnstjerne Bjørnson


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sah ihren Zorn auflodern, er bekam Angst und rief: „Ich will ja!“

      Sie hörte es. Aber der Zorn über ihre eigene Dummheit und seine Erbärmlichkeit, über die eigene Scham und seine Feigheit erreichte in so glühender Hast den Siedepunkt, daß wohl nie eine Liebe, begonnen in Kindheit und Abendsonne, gewiegt von Wellen und Mondschein, begleitet von Flötenspiel und leisem Gesang, trauriger zu Ende gegangen ist. Sie packte ihn mit beiden Händen, hob ihn hoch und prügelte ihn so recht nach Herzenslust durch, ruderte dann zur Stadt zurück und ging sofort über die Berge davon.

      Er war hinausgesegelt wie ein verliebter Jüngling, der im Begriff ist, sich sein Mannestum zu erobern. Er ruderte zurück wie ein Greis, der nie ein Mannestum gehabt hat. Sein Leben besaß nur eine einzige Erinnerung, und die hatte er leichtfertig aufs Spiel gesetzt. Nur einen einzigen Zufluchtsort hatte er in dieser Welt, und den wagte er nicht mehr aufzusuchen. Versunken in Grübeleien über seine eigene Erbärmlichkeit und darüber, wie dies alles eigentlich zugegangen war, versank sein Unternehmungsgeist wie in einem Sumpf und kam nie wieder zum Vorschein. Die kleinen Jungen der Stadt, denen sein sonderbares Wesen schon aufgefallen war, begannen ihn bald zu quälen, und da er für die Stadt eine undurchsichtige Gestalt war, weil niemand recht wußte, wovon er lebte und was er trieb, fiel es auch niemandem ein, ihn in Schutz zu nehmen. Er wagte es bald nicht mehr, sich draußen sehen zu lassen, zumindest nicht auf der Straße. Sein ganzes Dasein wurde zu einem einzigen Kampf mit kleinen Jungen; vielleicht waren sie ebenso nützlich wie Mücken in der Sommerwärme, denn ohne sie wäre er in einen ständigen Dämmerzustand gesunken.

      Gunlaug erschien neun Jahre später wieder in der Stadt, ebenso unerwartet, wie sie verschwunden war. Da hatte sie ein Mädchen von acht Jahren bei sich, ganz ihr einstiges Spiegelbild, nur daß alles an dem Kind feiner und wie von einem Traum überschleiert war. Gunlaug sei verheiratet gewesen, hieß es, habe nun geerbt und sei zurückgekehrt, um in der Stadt eine Gastwirtschaft für Seeleute zu eröffnen.

      Diese Gastwirtschaft betrieb sie so, daß zu ihr sowohl Kaufleute und Schiffer kamen, um Leute zu dingen, als auch Matrosen, um eine Heuer zu finden. Außerdem bestellte die ganze Stadt bei ihr Fisch. Für diesen wie jenen Zwischenhandel nahm sie nie einen Schilling, machte dafür aber von der Macht, die er ihr verlieh, despotisch Gebrauch. Sie war unbestreitbar der mächtigste Mann der Stadt, obgleich sie eine Frau war und ihr Haus nie verließ. Sie wurde Fisch-Gunlaug oder Gunlaug vom Hang genannt. Der Titel das Fischermädchen ging auf ihre Tochter über, die sich an die Spitze der Jungenschar der Stadt stellte.

      Ihre Geschichte soll hier erzählt werden. Sie hatte etwas von der urwüchsigen Kraft der Mutter, und sie erhielt Gelegenheit, davon Gebrauch zu machen.

      Zweites Kapitel

      Die vielen schönen Gärten der Stadt dufteten nach dem Regen in ihrer zweiten und dritten Blüte. Die Sonne ging über den mit ewigem Schnee bedeckten Gipfeln unter, der Himmel dort hinten war ein einziges feuriges Lodern, und die Firnfelder warfen den gedämpften Widerschein zurück. Die etwas näher gelegenen Berge befanden sich schon im Schatten, leuchteten aber noch in vielfarbigem Herbstlaub. Die kleinen Inselchen mitten im Fjord – die, eine hinter der anderen, mit ihrem dichten Baumbestand dem Meer zuzustreben schienen, gerade als kämen sie angerudert, boten, da sie näher lagen, ein noch stärkeres Farbenspiel als die Berge. Die See war spiegelglatt, ein großes Schiff wurde hereingewarpt. Die Leute saßen auf der Holztreppe vor ihren Häusern, halb verdeckt von den Rosenbüschen zu beiden Seiten. Man hielt von Treppe zu Treppe ein Schwätzchen, schlenderte auch zum Nachbarn hinüber oder tauschte mit den Spaziergängern, die den langen Alleen vor der Stadt zustrebten, einen Gruß aus. Irgendwo ertönte aus einem offenen Fenster Klaviermusik. Wenn die Gespräche einmal verstummten, war sonst kein Laut zu hören. Die letzten Sonnenstrahlen über dem Meer verstärkten noch das Gefühl der Stille.

      Da erhob sich plötzlich mitten in der Stadt ein solcher Lärm, als ob die Stadt gestürmt würde. Jungen brüllten, Mädchen kreischten, andere Jungen wiederum schrien hurra, alte Weiber zeterten und kommandierten, der große Hund des Polizisten bellte, und sämtliche Hunde der Stadt fielen sogleich ein. Wer drinnen war, drängte hinaus, bloß hinaus! Der Radau war so ungeheuer, daß sich sogar der Amtmann auf seiner Treppe umdrehte und die Worte fallen ließ: „Dort muß etwas im Gange sein!“

      „Was ist los?“ Mit dieser Frage überfielen die Spaziergänger, die von den Alleen herbeieilten, die Leute auf den Treppen. „Ja, was mag bloß los sein?“ fragten auch die auf den Treppen. „Du lieber Gott, was ist denn los?“ fragten nun alle, wenn jemand aus der Stadtmitte kam. Da sich die Stadt aber in gemächlichem Bogen halbmondförmig um eine Bucht zieht, dauerte es sehr lange, bevor alle Einwohner an beiden Enden die Antwort gehört hatten: „Es ist bloß das Fischermädchen!“

      Dieses unternehmungslustige Wesen, das von einer gefürchteten Mutter beschützt wurde und sich des Beistandes aller Seeleute sicher war (denn für so etwas bekam man von der Mutter immer einen Schnaps spendiert), war an der Spitze des Jungenheeres über einen großen Apfelbaum in Pedro Ohlsens Garten hergefallen.

      Ihr Schlachtplan sah folgendes vor: Ein paar Jungen sollten Pedro auf die Vorderseite des Hauses locken, indem sie seine Rosenbüsche gegen die Scheiben klatschen ließen. Gleichzeitig sollte ein anderer den Baum schütteln, der mitten im Garten stand, während dann die übrigen die Äpfel nach allen Seiten über den Zaun werfen sollten, nicht etwa um sie zu stehlen – ach, bewahre! –, nur so aus Spaß. Dieser sinnreiche Plan war am Abend zuvor hinter Pedros Garten ausgeheckt worden. Aber der Zufall wollte es, daß Pedro hinter dem Zaun gesessen und jedes Wort mitangehört hatte. Darum hatte er sich kurz vor der festgesetzten Zeit den versoffenen Polizisten der Stadt mit seinem großen Hund ins Hinterzimmer geholt, wo beide bewirtet wurden. Als nun der Wuschelkopf des Fischermädchens über dem Plankenzaun auftauchte und zur gleichen Zeit von allen Seiten viele kleine Frechdachsgesichter herüberschauten, ließ Pedro die Schlingel vor dem Haus die Rosenbüsche aus Leibeskräften gegen die Scheiben klatschen – er blieb ruhig im Hinterstübchen sitzen. Als aber alle mucksmäuschenstill um den Baum im Garten versammelt waren und das Fischermädchen barfüßig und zerkratzt oben in der Spitze saß, um zu schütteln, flog die Verandatür auf, und Pedro und der Polizist stürmten mit Stöcken heraus, das Ungeheuer von einem Hund hinter ihnen her! Die Jungen stießen einen Schrei des Entsetzens aus. Eine Schar kleiner Mädchen, die in aller Unschuld vor dem Plankenzaun Greifen spielte, glaubte, da drinnen sollte jemand umgebracht werden, und kreischte entsetzt los. Die Jungen, die entwischt waren, riefen hurra, die noch am Zaun hingen, heulten unter dem Tanz des Stockes, und um das Ganze vollständig zu machen, tauchten gleichsam aus dem Nichts – wie stets, wo Jungen lärmen – ein paar alte Weiber auf, die in das Geschrei einstimmten. Pedro und der Polizist waren selber entsetzt und mußten sich erst mit den alten Frauen in Verhandlungen einlassen. Inzwischen rissen die Jungen jedoch aus. Der Hund, vor dem sie die meiste Angst hatten, sprang über den Zaun und setzte ihnen nach – denn dies war so recht nach seinem Geschmack! –, und nun stiebten sie, Jungen und Mädchen, Hund und Schreie, wie die wilden Enten durch die ganze Stadt.

      Währenddessen saß das Fischermädchen ganz still auf dem Baum und dachte, niemand hätte es bemerkt. Zusammengekauert verfolgte sie von hoch oben durch das Laub den Verlauf der Schlacht. Als aber der wutschnaubende Polizist zu den alten Frauen hinausgegangen und Pedro Ohlsen allein im Garten geblieben war, stellte er sich direkt unter den Apfelbaum, sah hinauf und rief: „Komm augenblicklich runter, du Teufelsbraten!“ Nicht ein Mucks drang aus dem Baum. „Willst du wohl runterkommen, sag ich! Ich weiß, daß du dort oben bist!“ Absolute Stille. „Jetzt geh ich rein und hol mein Gewehr und dann schieß ich dich runter!“ Er tat, als wolle er gehen.

      „Hu-hu-hu!“ machte es oben im Baum.

      „Ja, plärr du nur, denn nun kriegst du eine ganze Schrotladung in den Leib!“

      „U-hu, hu, hu, hu!“ heulte es eulengleich. „Ich hab ja solche Angst!“

      „Ach, den Teufel hast du. Du bist der schlimmste Tunichtgut der ganzen Meute, aber nun hab ich dich!“

      „Ach, lieber, guter, netter Herr Ohlsen! Ich will es auch nie wieder tun!“

      Im selben Augenblick schleuderte sie


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