Anatomie der Katze. Poul Vad

Anatomie der Katze - Poul Vad


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wunderbar sein, wenn sie es entdeckte und wenn ich an diesem Erlebnis zusammen mit ihr teilhaben könnte.

      Zunächst drückte ich ihre Hand. Daran an sich ist weiter nichts Sonderbares, aber ich weiß es besser. Man kann durch die Hand die ganze Kraft seines Wesens in einen anderen Menschen hinüberströmen lassen, und man kann einen anderen Menschen spüren und sich eine Vorstellung von ihm machen, als sähe man geradewegs durch ihn hindurch und könnte das Herz, die Eingeweide und das Gehirn sehen. Oh, nicht alle sind dazu imstande, bei weitem nicht, es erfordert ein Vertrauen auf die angeborene Sensibilität, das nicht üblich ist. Auch das wird in uns getötet. Und die Hand, was geschieht mit der Hand? Sehen Sie einmal, hier ist sie, mit der Handfläche und den fünf Fingern, so voller Leben und Kraft und Möglichkeiten, wie ein Wesen mit seiner eigenen, selbständigen Existenz, voller launischer Neigungen, und wir können entscheiden, ob wir sie lieben und ehren – oder verwerfen, bezwingen, bekriegen wollen.

      Die Fingerspitzen sind fünf Antennen, die die Welt absuchen und erzählen, woraus sie besteht. Sie liebkosen auch mit der leichtest denkbaren Berührung. Doch die Hand macht nicht nur Erfahrungen, sie führt auch Handlungen aus, die wir nicht einmal bemerken, und unablässig stellt sie uns der Umwelt dar, so daß niemand im Zweifel darüber ist, wer wir sind.

      Ich drückte also Ediths Hand und behielt sie etwas länger in der meinen, als es eigentlich notwendig war. Nicht, daß ich es angenehm gefunden hätte, denn ihre Handfläche war klamm, und ihre dünnen Finger zitterten, sondern weil ich bereits begonnen hatte, mein Vorhaben auszuführen. Außerdem war meine Hand sofort darauf versessen, sie richtig zu berühren, und genauso passierte es. Noch hätte ich umkehren können, wenn man so sagen darf, aber die Hand gab den Ausschlag. Gut, meine Hand, sagte ich, du sollst deinen Willen haben, aber bist du dir auch im klaren darüber, welches Risiko ich eingehe? Die Sache ist nämlich die, daß ich im Gegensatz zu der Hand die Kosten kannte: Den Schmerz würde letzten Endes ich haben. Sollte ich es deshalb unterlassen, dem Wink zu folgen, den mir die Hand gab? Ich glaube, ich würde geradewegs in die Hölle gehen, sollte meine Hand sagen, komm, hier entlang, hier erwartet dich das Abenteuer! Und um es gleich vorwegzunehmen, einmal habe ich so einen Spaziergang tatsächlich unternommen, ich weiß also, wovon ich rede; doch davon erzähle ich hinterher. Es war nun ganz natürlich, daß ich ihr anbot, sich ein wenig zu waschen, denn genau das braucht man nun einmal, wenn man während einer Reise Aufenthalt hat, und obgleich die Reise nicht sehr lange gedauert hatte, so mußte man damals wirklich nicht viele Minuten mit dem Zug fahren, damit man schmutzig war und durchaus Lust haben konnte, ein wenig Kohlenstaub von sich abzuwaschen. Sie ließ sich also ohne weiteres von mir mitziehen, freute sich sogar, und ich nutzte das aus und sagte, sie könne ja eigentlich ebensogut richtig baden, es dauere nur einen Augenblick, und sie fühle sich hinterher viel angenehmer – sie sei ja auch ganz schweißnaß! Ihre zaghaften Proteste halfen kein bißchen. So, als wollte ich ihr alles zeigen, ging ich selbst mit in das Badezimmer, das sehr groß war, fast ein Saal. Ich hatte einen Vorhang, hinter dem sie stehen konnte, während sie sich entkleidete, und inzwischen bereitete ich das Bad vor. Hören Sie: Ich zitterte am ganzen Körper. Ich hatte Angst. Ich pflegte sonst nie Angst zu haben, aber nun hatte ich Angst. Meine Einsamkeit, das Gefühl der Verlassenheit war plötzlich so heftig geworden, daß es mich durchschüttelte. Sollte ich wirklich den Rest meines Lebens hier verbringen, lediglich zusammen mit den Hunden und einigen lächerlichen Bewunderern und Anbetern, die sich bei ausgewählten Gelegenheiten vor mir auf die Knie warfen, mir ewige Treue schworen und jedes Wort, das ich sagte, verschluckten, als seien es reine Worte der Weisheit, obgleich es zum großen Teil nur Possen und Humbug waren und ich mich damit amüsierte, dieser Suada eine raffinierte Form mit einigen Spritzern verbalen Parfüms zu verleihen, das sie völlig benebelte? Natürlich würde ich hierbleiben, aber weshalb sollte ich keine Freundin bei mir haben – wenn nun einmal mein ganzer Körper und meine Seele darauf eingerichtet waren? Ach, mein armer Körper, er war nicht mehr jung, und würde er sie nicht erschrecken? Ein fürchterlicher Sturmwind fegte durch ihn hindurch, erfüllte ihn mit wilder Kraft und Wahnsinn, und ich ging umher, emsig und ruhig wie eine sehr viel ältere Schwester, und sagte zu ihr, nun sei das Bad fertig, bitte. Sie hatte ein Badehandtuch um sich gewickelt, als ahne sie irgend etwas, und ich konnte ihr ansehen, daß die Luft dank der Ausstrahlung meines Körpers mit einer Kraft geladen war, die sie nicht unberührt ließ, obgleich sie natürlich überhaupt nicht wußte, was hier vor sich ging.

      Als sie im Wasser lag, konnte sie mich nicht daran hindern, sie zu waschen; ich ließ meine Hände sie mit so weichen und freundlichen Bewegungen einseifen, daß ihre angespannten Nerven völlig zur Ruhe kamen. Nachdem ich sie abfrottiert hatte, führte ich sie in mein Zimmer, das nebenan lag, ließ sie einen meiner Schlafröcke auswählen und nahm selbst ein Bad. Während ich in der Badewanne lag, rief ich sie. Sie trat ein, blieb aber an der Tür stehen. Ich war ungeduldig, aber dennoch ruhig, weil ich wußte, daß man sich Zeit nehmen muß. Deshalb sprachen wir erst etwas miteinander, und dann bat ich sie, mir einen Handspiegel hinüberzureichen, der beim Waschbecken lag. Sie kam damit zu mir hin, und ich ergriff ihre Hand, als sie ihn mir reichte. Nun konnte sie nicht anders, nun mußte sie mich betrachten. Mein grausamer Körper war unter Wasser weniger abschreckend. Weshalb grausam? Der Körper ist grausam, das ist sein Privileg. Ein Körper, der nicht grausam ist, ist kein Körper. Die Grausamkeit erwacht im Körper wie ein unvermeidlicher Zauber, der ihn in Besitz nimmt. Die große Zärtlichkeit ist darin verborgen. Er ist ohne Boshaftigkeit. Der Körper der Frau, der im Gegensatz zu dem des Mannes die Organe in sich verbirgt, besitzt seine eigene Grausamkeit. Die Organe sind hineingelegt wie in eine Tüte, eine Tüte voller saftiger und bluterfüllter Dinge, die zum Schwellen und Beben gebracht werden können. Dennoch ist der Körper fest und geschlossen wie eine Vase. Aber mein Körper war ja überhaupt nicht mehr jung. Seine Haut war bereits zäh und fast rauh geworden, und die Vase, von der ich spreche, wurde in meinem Fall schon allmählich formlos, denn meine Hüften waren breit, und ich hatte keine Taille mehr. Doch das wurde in gewissem Umfang durch das Wasser verschleiert, wie Sie sich sicher vorstellen können, alles in allem sah ich also ganz anziehend aus. Das fand sie offenbar auch. Ich glaube, es war das erste Mal, daß sie den Körper einer Frau richtig ansah, denn ich bin nicht einmal sicher, daß sie sich mit ihrem eigenen richtig bekannt gemacht hatte. Und was war mit dem anderer? Etwas hatte sie ja wohl gesehen, in der verstohlenen Weise, die man beim Umkleiden in Turnhallen und Badeanstalten benutzt. Aber ich meine »betrachtet«, mit der gierigen Neugierde, die unser Blick hat, wenn er die Dinge, die wir wirklich kennenlernen wollen, ergreift und verzehrt. Genauso aber sah sie mich jetzt an, und während sie so dastand und mich betrachtete, wurde in ihr alles auf den Kopf gestellt. Während sie mich anschaute, sah sie nämlich auch sich selbst an. So ist das mit diesen Dingen, und sie bekam geradezu einen Körper geschenkt, bloß weil ich sie sozusagen zur Badewanne hinschleppte und meine ganz Figur vor ihr ausstellte, ohne mich zu schämen, sondern geradezu besessen war von all dem Stolz, den man spürt, wenn man nun einmal einen Körper besitzt, der allerhand erfahren hat und mit dem man viele Jahre lang Gutes und Böses geteilt hat.

      Ich war ja ein ältliches Raubtier, meine Brüste, die an der Wasseroberfläche trieben, ähnelten großen Bergen aus Fleisch, und wenn ich die Beine etwas breitmachte, war es, als presse all das in der Tüte Verborgene an das Licht des Tages. Doch, doch, ich veranschaulichte in vollem Maße den physischen und fleischlichen Aspekt der Liebe, und die Grausamkeit meines Körpers war nicht mißzuverstehen. Ich streckte eine nasse Hand aus und berührte sie. Mit den Fingerspitzen zeichnete ich leichte, feuchte Streifen auf ihre Haut, die unter der Berührung erbebte. Ich schrieb mit den nassen Fingerspitzen meine Worte auf ihre Haut, und sie stand ganz still und empfing bebend diese Inschrift. Es ist vielleicht mißverständlich, wenn ich so viel von Grausamkeit spreche. Diese Grausamkeit hat nichts mit Qualen zu tun, jedenfalls nicht im gewöhnlichen Sinne. Ich schrieb meine Liebe auf ihren Körper wie eine weiche und flüchtige Botschaft, fast diskret, unschuldig, als wisse niemand von uns etwas von diesen Dingen oder verstünde, was all das solle.

      Sie dachte nicht mehr daran, sich zurückzuziehen, aber natürlich war sie erschrocken. Ich lächelte sie an, und nun sah ich, daß sie mir gern dienen wollte, sie wußte nur nicht richtig, wie sie es anstellen sollte. Hätte ich nur die gleiche Stärke besessen, als ich jung war, dann hätte alles anders ausgesehen!

      Hol das Handtuch! Stell dich hinter mich! Frottier mich ab! Ich sagte das alles ganz weich, als sei es


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