Anatomie der Katze. Poul Vad

Anatomie der Katze - Poul Vad


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Wehe dem, der niemanden liebt, wenn es sich so verhält.

      Kurze Zeit nach diesem Gespräch beging Madame de Taisévouze die größte Dummheit ihres Lebens. Sie weihte ihren Mann in Stéphane de Crânes Gedanken ein. Was den Marquis amüsiert hätte, hätte er es in einem Buch gelesen oder als einen geistreichen und witzigen Beitrag zu einer Konversation gehört, das stimmte ihn nun nachdenklich, und in seinem Herzen begann er Stéphane de Crâne zu hassen. Als er eines Abends die Marquise in ihrem Schlafzimmer aufsuchte, widerfuhr ihm ein unangenehmes Erlebnis. Sie lag im Bett und sah wie immer verführerisch aus, doch als er sich ihr näherte, fiel ihm die unzüchtige Zirkulation des Geldes in dieser Welt ein. Der Gedanke wirkte störend auf die erwartete Blutstauung, er versuchte ihn zu verdrängen, indem er seine Aufmerksamkeit auf die Brüste konzentrierte, deren schwellende Formen gegen das Nachthemd spannten. Doch es kam ihm vor, als sei jede der Brustwarzen, die als dunkler Schatten hinter dem durchsichtigen Stoff zu sehen waren, eine Münze. Er fühlte seine Geschlechtsorgane schrumpfen, als seien sie von einem Fluch getroffen worden, und nachdem er eine Entschuldigung hervorgestammelt hatte, verneigte er sich leicht und entfloh. Als er mit sich allein war, unterzog er sich einer Untersuchung, die nur bestätigte, was er gefühlt hatte, und ihm seine eigene Ohnmacht nur noch bewußter machte. Er rief nach seinem Kammerdiener, der ihn auf der Bettkante sitzend fand, aschgrau im Gesicht.

      Rodrigue, sagte der Marquis, mir ist etwas Fürchterliches zugestoßen. Meine Manneskraft verließ mich just in dem Augenblick, als ich das Bett der Marquise besteigen wollte. Ich bin verloren! Was ist geschehen? Was soll ich tun? Hilf mir!

      Das ist nicht so gefährlich, antwortete Rodrigue kaltblütig. In uns wohnt eine Person, deren Namen wir nicht kennen. Außerdem trägt sie eine Maske! Sie kann launisch und unberechenbar sein, und sie hat Gewalt, zwar nicht über unsere Lüste, aber doch über das Organ, mit dem wir sie befriedigen. Dann müssen wir erst herausbekommen, wie wir diese Person wieder begütigen. Schlimmer ist das alles nicht. Wenn mich der Herr Marquis mal nachsehen lassen würde?

      Der Marquis lehnte sich zurück und hob das Nachthemd an. Rodrigue setzte sich auf den Bettrand.

      Wollen doch mal sehen, wie schlimm es ist, murmelte er.

      Es gelang Rodrigue ohne größere Schwierigkeit, dem Marquis zu beweisen, daß die Angelegenheit in Wirklichkeit gar nicht so schlimm war.

      Und nun, sagte er, während er sich in einer Wasserschüssel die Hände wusch, gilt es herauszubekommen, wodurch der Herr Marquis die Maskenfigur, von der ich sprach, beleidigt hat. Ich habe da so meine Vermutungen.

      Das nun folgende Gespräch machte deutlich, daß die Kalamität, die die Maske den Marquis strafen ließ, Stéphane de Crânes bloße Existenz war.

      Sein Verschwinden wäre mit anderen Worten das höchste Glück, das mir widerfahren könnte? fragte der Marquis.

      Parfaitement, antwortete Rodrigue, dann könnten der Herr Marquis die Marquise ungestört genießen. Und, fügte er hinzu, die finanzielle Transaktion, die in die Verbindung, wie in jede Verbindung dieser Art, einfließt, wird zweifellos weitaus gesünder sein, wenn Stéphane de Crâne, der notorisch wahnsinnig ist und von dem es heißt, er führe lange Gespräche mit seinen Hunden, wenn er des Nachts stundenlang mit ihnen in den Straßen von Paris herumläuft, nicht einer der Kontrahenten ist.

      In diesem Augenblick spürte der Marquis entsetzt, daß er die Gewalt über seine Maske an seinen Kammerdiener abgetreten hatte.

      Was sollen wir denn tun? fragte er mit schwacher Stimme.

      Etwa eine Woche später wurde Stéphane de Crâne von zwei Männern angegriffen, während er mitten in der Nacht, in ein Gespräch mit seinen beiden Hunden vertieft, durch die Rue de l’Echaudé spazierte. Anfangs sagten sie nichts, sondern schlossen bloß auf, der eine schräg vor ihm, der andere schräg hinter ihm. Er konnte ihre Gesichter nicht sehen, die unter großen Schlapphüten versteckt waren.

      Aladdin jaulte: Die giftigen Gedanken dieser Männer sind so voller Angst und Bosheit, daß sie selbst fast daran ersticken.

      Nureddin knurrte: Paß an der nächsten Straßenecke auf!

      Doch an der nächsten Straßenecke geschah nichts Ernsthaftes: Nur wurde Stéphane de Crâne, der nach rechts abbiegen wollte, von den beiden Fremden daran gehindert und gezwungen, geradeaus weiterzugehen.

      Während sie weitergingen, sprach er leise mit seinen beiden Hunden. Sie näherten sich der Seine, und alle drei Männer verlangsamten unwillkürlich ihre Schritte. Die beiden Männer, die gekauft worden waren, Stéphane de Crâne zu töten, begannen ihre Vorbereitungen zu treffen. An einem dunklen Abend auf der Straße einen Menschen zu erschlagen ist gar nicht so ganz einfach, wenn man sicher sein will, daß es ordentlich gemacht wird. Am Kai angelangt, blieben sie stehen. Stéphane zitterte am ganzen Körper. Die enorme Faust, die schon lange sein schmächtiges linkes Handgelenk in eiserner Umklammerung hielt, hatte jeden Gedanken an Widerstand, geschweige denn Flucht, unmöglich gemacht. Der andere der beiden stand halb abgewandt und befühlte ein letztes Mal die lange, spitze und scharfe Messerklinge. Er befürchtete trotzdem, nicht tief genug eindringen zu können und vor allem, falsch zu treffen, solange der Delinquent den weiten Umhang trug, der seinen Oberkörper verhüllte. Nuschelnd brachte er seine Wünsche vor, aber es dauerte etwas, bevor Stéphane erfaßte, worum er bat.

      Ach so, sagte er mechanisch, als er verstand. So helfen Sie mir doch, fügte er, an den Besitzer der Eisenfaust gewandt, hinzu. Sagen Sie, fragte er, während er den Umhang ablegte, wieviel ist mein Leben wert – in barem Geld?

      Der Henker hatte jedoch mit seiner linken Hand Stéphanes rechten Oberarm gepackt, so daß er den Körper gut im Griff hatte. Er hatte während der letzten Tage Gelegenheit gehabt, sein Opfer zu studieren: dessen Größe, Umfang – der bescheiden war – und seine Bewegungen. Deshalb war er im Dunkeln imstande, das Messer mit solcher Kraft zu führen, daß die Klinge, die sich tief einbohrte, genau ins Herz traf. Stéphane, der nach Luft schnappte, hörte den Stoß der Faust wie einen hämmernden Schlag gegen den Brustkasten.

      Die beiden Männer hielten den Körper zwischen sich aufrecht, als stützten sie einen Zechkumpanen. Sie begaben sich auf die Brücke. Als sie die Mitte erreicht hatten, blieben sie stehen und lehnten die Leiche an die Balustrade, über die der Oberkörper zusammensackte. Während der eine noch den Oberkörper stützte, bückte sich der andere, zog die Stiefel von den Füßen und hob die Beine hoch. Auf diese Weise bugsierten sie den Toten über die Kante und ließen ihn fallen.

      Mitternacht war vorbei, als Madame de Taisévouze die beiden Hunde vor ihren Fenstern hörte. Ihre Mitteilungen erschienen ihr beunruhigend. Sie rief nach dem Kammermädchen, das sie hereinließ. Die Hunde krochen auf dem Fußboden ihres Gemaches entlang, und als sie ihre Augen sah, glaubte sie, die Hunde habe der Wahnsinn gepackt. Auf ihre Aufforderung hin begannen sie schließlich zu erzählen. Als sie beim Höhepunkt ihres Berichts angelangt waren, war ihr klar, daß sie den Verstand verloren hatten.

      Während Stéphane zwischen den beiden Gestalten des Todes dahinwanderte, blickte er von einem zum anderen und fragte: Wer von euch ist nun eigentlich wer?

      Der eine drückte vertraulich sein Handgelenk und sagte: Erkennst du mich nicht? Ich bin der Tod, der in jedem guten oder glücklichen Augenblick auf dich wartete. Ich gab dir einen kleinen Wink. Stéphane lächelte: Ich bin im Bilde! Aus irgendeinem Grund mußte ich immer einen Blick zur Seite werfen.

      Und da war ich oder, genauer gesagt: Da verschwand ich gerade. Vielleicht konntest du gerade noch einen kurzen Blick von mir erhaschen? Ein schönes Spiel, nicht wahr?

      Makaber, sagte Stéphane, jedenfalls von meinem Standpunkt aus betrachtet. Aber es ist mir dennoch gelungen, damit zurechtzukommen, ja, es sogar zu schätzen. Da wir nun aber endlich Gelegenheit haben, miteinander zu reden, muß ich dir doch sagen: Ich glaube nicht, daß dir selber klar ist, welche Wirkung du hast. Die ist ganz erheblich für eine nur einigermaßen sensible Intelligenz.

      Stéphane wandte den Kopf zur anderen Seite und sagte zu dem zweiten Tod, der mit abgewandtem Gesicht schweigend neben ihm herging: Sollten wir uns auch kennen?

      Der zweite Tod, der nicht


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