Anatomie der Katze. Poul Vad

Anatomie der Katze - Poul Vad


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mitten auf der Straße landet! Doch in ihrem Ausdruck lag auch noch etwas anderes, etwas, das ich wiedererkannte, das ich aber erst in diesem Augenblick richtig sah; denn ich will nicht sagen, daß ich es verstand. Praktisch kann ich es so am besten ausdrücken, daß ich sie an diesem Ausdruck als den Jäger erkannte: einem leidenden Ausdruck – seltsamerweise. Nun ist mir nichts so zuwider wie Leiden. Genauso, wie ich nichts höher schätze als Wohlbefinden.

      Ich glaube auch, ich erkannte sie wieder – und war von Entsetzen gelähmt –, weil ich noch immer irgendwie den Wildschweinkörper um mich hatte: einen großen Körper voller Kraft und Lebensmut, grunzend und bebend und kurzatmig, in dem ich mich irgendwie bewegen konnte, existieren konnte, als sei es weiter bis zu den Grenzen meines Körpers – eigentlich ein ganz wunderbares Gefühl, in diesem Moment aber also dennoch kein ungeteilt angenehmes. Liebend gern hätte ich etwas anderes getan, als im Nachthemd und mit blutigen Gliedern um fünf Uhr morgens an einem Tag im April in Georgetown, Texas, mitten auf der Straße zu sitzen und zu einem zerbrochenen Fenster und einer Frau emporzuschauen, die meine Gattin war, Mutter meiner beiden Kinder und die ich in animalischer, primitiver, echt wildschweinartiger Weise fürchtete: weil ich wußte, daß sie dem Wildschwein in mir an den Kragen wollte.

      Wie war es überhaupt dazu gekommen? Dann muß ich erzählen, wie ich in Georgetown ankam, weil meine Spur ganz einfach dort endete, eine Spur, die in der verwickeltsten Weise nach New Orleans zurückführte und von dort aus über den Atlantik und hin und her über den Atlantik, um schließlich in Silkeborg zu enden, wo ich umherging und mir die Verhältnisse anschaute, nachdem ich den Hof verlassen hatte, auf dem ich Knecht gewesen war; von dort aus ging ich nach Skanderborg, weil mich einer, den ich auf der Straße kennengelernt hatte, gefragt hatte, ob ich nicht mitwolle, und warum sollte ich nicht? Übrigens war es eine herrliche Tour – na, aber lassen wir das.

      Eines Tages spazierte ich also in Georgetown die Straße entlang und stellte fest, daß es eine wirklich nette Stadt war. Es war heiß, staubig und monoton, gleichzeitig aber herrschte ein gewaltiges Leben, so, als ob die Stadt zu jeder Stunde des Tages größer, schöner und bedeutungsvoller würde. Da ich ziemlich durstig war, betrat ich das erste Lokal, das mir unter die Augen kam, um mir ein Glas Bier zu genehmigen. Damit war mein Schicksal besiegelt. Ich bin, glaube ich, von Natur aus ziemlich impulsiv, das ist immer mein Unglück gewesen. Im selben Augenblick, in dem ich die Kellnerin sah, war mir völlig klar, daß ich hierbleiben würde. Damit nicht genug: Ich wollte sie. Und ich wußte auch, so seltsam das auch klingen mag – denn zu dem Zeitpunkt hatte ich noch kein einziges Wort mit ihr gewechselt –, daß ich sie bekommen würde. Das wußte sie auch! Ich sah sie an, und sie hat mir später erzählt, sie habe sofort gefühlt, daß ich gleichsam die Arme nach ihr ausstreckte, und sie habe es geschehen lassen. Sie war mittelgroß und hatte eine schöne glatte Haut, etwas heller als Milchschokolade. Ihr Haar war sehr dunkel, fast schwarz, und in der Mitte gescheitelt. Es war kräftig, etwas lokkig und rahmte zu meinem großen Unglück beide Seiten ihres Gesichts ein. Solchem Haar kann ich einfach nicht widerstehen; das entschied die Angelegenheit. Und doch war mir irgendwie klar, daß dieses offene Haar nicht ihre ganze Persönlichkeit verriet, sondern in Wirklichkeit vielleicht ihr wahres Ich verschleierte. Ich muß Signale irgendeiner Art empfangen haben, Signale, die, ohne daß ich mir dessen bewußt war, mein Verhalten diktierten und mich in einer Weise auftreten ließen, die mich völlig überrumpelte. Sie kam zu dem Tisch, an dem ich saß, mein Herz klopfte, als ich sie ansah, und ich las auch in ihrem Blick irgendeine unwillkürliche Bewegung; und dann bestellte ich eine Tasse Schokolade.

      Als ich sie das nächste Mal sah, trug sie das Haar in zwei dicken Zöpfen geflochten, die auf dem Scheitel aufgesteckt und dort so kunstvoll angebracht waren, daß dies ihrem Gesicht einen fürchterlich reinen und strengen und viel zu zerbrechlichen Ausdruck verlieh. Ich hätte begreifen sollen. Doch die dunkle Haarfülle der Begegnung des ersten Tages hatte mich ein für allemal verzaubert; daran denke ich noch immer und bekomme noch immer fast Herzklopfen, wenn ich daran denke.

      Ihre Eltern waren Deutsche. Sie hieß Maria Mustermann. Wir heirateten in der protestantischen Kirche.

      Zu dem Zeitpunkt hatte ich bereits das Haus gekauft, ein hübsches zweistöckiges Holzhaus in einer Seitenstraße zur Hauptstraße von Georgetown. Das war so: Nachdem ich die Schokolade, die Maria Mustermann mir serviert hatte, getrunken hatte, ging ich weiter die Hauptstraße hinunter und in die erstbeste Kneipe, um mich zu stärken. Der Wirt dort, ein prächtiger Schurke namens Sean Kildare Cunningham mit einem riesigen, buschigen Schnurrbart, brachte mir ein Glas Bier, das mich auf eine Idee brachte. Offenbar gefiel ich ihm, denn es gelang mir, ihn anzupumpen, so daß ich für eine Hotelübernachtung bezahlen und an einen Bekannten telegraphieren konnte, den ich in New Orleans kennengelernt hatte, er solle mir ein paar Kisten von dem Bier schicken und das Telegramm an meine Hoteladresse beantworten. Auch er muß an dem Tag gute Laune gehabt haben; denn er telegraphierte tatsächlich zurück – und das Telegramm reichte aus, der Hotelwirt gewährte mir Kredit. Damit nicht genug: Es war so heiß und so staubig und das Leben aus irgendeinem Grund so traurig und melancholisch, daß die Aussicht auf eine Sendung extra starken Pilseners eine völlig phantastische Wirkung hatte: Der Hotelwirt erzählte allen, die es hören wollten, welch eine unentbehrliche Person ich sei und was nun dank meines plötzlichen Auftauchens auf dem Schauplatz zu erwarten stünde, und Sean Kildare Cunningham, dem ich das Alleinrecht auf die gesamte Sendung versprochen hatte, war genauso enthusiastisch. Als demnach der große Tag anbrach und die fünfzig Kisten auf dem Bahnhof abgeladen wurden, befand sich die halbe Stadt in totaler Fieberstimmung. Es war ein wirklicher Festtag. Na, am selben Tag kam auch eine Herde Vieh von der mexikanischen Grenze herunter, und die Leute, die mit der Herde kamen, waren völlig außer sich vor Durst und Erschöpfung, vor allem aber vor Durst. Als sie von dem Pilsener bei Sean hörten, fielen sie in das Lokal ein, und das Ganze endete in einer mächtigen Schlägerei. Kurz, es war ein einmaliger Erfolg, und gleich früh am nächsten Morgen schickte ich ein Eiltelegramm und bestellte eine neue und noch größere Sendung zur umgehenden Lieferung.

      Das war der Anfang, der Rest lief von selber. Ich kaufte das Haus. Ich kaufte Polstermöbel mit Bezügen aus grünem Samt, weiße Tüllgardinen, ein schönes Buffet und ein Klavier, auf dem die leichten Finger von Maria Mustermann die hübschesten Läufe spielen konnten. Mein Freund Sean schüttelte den Kopf und sagte, Maria ist kein Mädchen für dich. Ihr Vater hat Geld, aber Maria ...

      Als wir verheiratet waren, sagte Maria, sie habe es nicht so gern, daß ich so oft zu Sean zum Biertrinken rüberginge. Davon leben wir doch aber, entgegnete ich. Darauf antwortete sie nicht, aber ihre Haltung ...

      Ich wollte sie nicht traurig machen, wir waren schließlich jung verheiratet. Ich hatte ja auch reichlich damit zu tun, mein eheliches Glück zu genießen. Meine Beziehung zu Sean aber wurde geschäftlicher. Er war zwar derselbe wie immer, aber ich ... Neun Monate nach der Hochzeit brachte Maria unsere beiden Jungen, Hans und Hugo, zur Welt. Ich war erschüttert. Ich erlebte etwas Entsetzliches. Etwas wie ein Blitz durchzuckte mein Leben, bei dessen Schein ich eine ganze Landschaft erblickte oder eher einen fürchterlichen Abgrund, der sonst im Dunkel verborgen ist. Ach, meine beiden Wildfänge! Da lagt ihr und fuchteltet mit den Armen und strampeltet mit den Beinen und starrtet mit blauen Augen in die Luft und pinkeltet und schisset und weintet und heultet und gluckstet, ich kann den Gedanken daran fast nicht ertragen. Nicht diese ganze Duselei mit dem Wunder des Gefühls und was weiß ich. Nein, aber ich sah meine beiden kleinen Jungen als eine Bedrohung des Lebens, eine Bedrohung, die nicht akzeptiert werden würde. Wer hat bloß den ganzen Quatsch mit den kleinen unschuldigen Kindern erfunden? Etwas so reißend Unersättliches, Berechnendes und Wildes wie die beiden kleinen Bengel hatte ich noch nie erlebt; ein herrlicher Anblick war das, aber auch entsetzlich, ja – entsetzlich. Denn rundherum standen die Erwachsenen, schauten auf sie hinunter und sagten: Sind sie nicht niedlich! Sind sie nicht süß! Und ich fühlte bis in das Innerste meiner Seele, daß meine beiden Jungen, meine beiden Wildfänge, verdammt waren. Da standen Maria und ihre Eltern und ihre Onkel und ihre Tanten, und die Kinder waren in ihrer Gewalt, total. Was konnte ich machen? War ich übrigens auch nur um ein Haar besser? – Ach, diese entsetzlichen Menschen mit ihrer Liebe und ihren Grundsätzen und dem eisernen und sanften Willen, diese beiden Jungen zu brechen! Und ich begriff eins: Ihre Handlungsweise war von Naivität und Herzensgüte diktiert, und niemand ist so niederträchtig gerissen wie die wirklich Herzensguten.


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