Anatomie der Katze. Poul Vad

Anatomie der Katze - Poul Vad


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ein Lachen war; um seine Heiterkeit mit ihm zu teilen, lächelte ich ihn an, was seine Heiterkeit nur erhöhte. Als ich mich umsah, wurde mir klar, daß auch die anderen Büroangestellten lachten. Einige duckten die Köpfe und sprudelten vor Lachen; andere waren ganz auf den Fußboden gekrochen, als suchten sie irgend etwas, was sie verloren hatten, und das einzige, was ich von ihnen sah, waren stoßweise hüpfende Rücken und Schultern; einige lachten unverhohlen, und ihr Lachen, tosend und lärmend wie ein losgelassener Hund, warf sich hemmungslos zwischen den Tischen hin und her.

      Der Büroangestellte, mit dem ich verhandelt und der mich verhört hatte, hob die rechte Hand und zeigte auf mich mit einem krummen Finger, den er einfach nicht stillhalten konnte. Erneuter Lachanfall. Als wolle er das Gelächter bekämpfen, versuchte er die Lippen zusammenzukneifen, wobei er gleichzeitig die Zuckungen, die sein Gesicht verunstalteten, einer strengen Kontrolle unterwarf.

      Ich nutzte eine Pause in dem allgemeinen Gelächter, um etwas zu sagen: Sie müssen verstehen, meine Herren, daß das ernst gemeint war ...

      Ein donnerndes Lachgebrüll ließ die Luft im Raum erzittern. Nun lachten sie alle ohne Ausnahme, und die, die auf den Fußboden gekrochen waren, hämmerten die Köpfe auf die Dielen und stießen wiehernde Geräusche aus. Man hätte nicht glauben sollen, daß dies dieselben Menschen waren, die wenige Minuten zuvor über ihre Arbeit gebeugt gesessen hatten.

      Jetzt wagte ich nichts mehr zu sagen. Ich wartete darauf, daß sich das Gelächter legen würde. Irgendwann mußten sie mir doch wieder zuhören. Was ich sagte, war doch kein Verbrechen, sondern etwas ganz Normales für einen jungen Menschen. Der Büroangestellte zog ein Taschentuch hervor und trocknete die Tränen von Augen und Wangen. Sein erst so bleiches Gesicht war rosig geworden, nun jedoch wieder gefaßt, abgesehen von plötzlichen Stichen, die darüber hinfuhren, und winzigen Zuckungen seines Körpers, als kneife ihn jemand in den Fuß. Vereinzelte plötzliche Lachsalven, die noch immer rund umher erklangen, erstarben, und die herumkriechenden Büroangestellten hatten sich zusammengenommen und nahmen allmählich wieder ihre gewohnten Plätze ein. Der Augenblick näherte sich mit anderen Worten, wo es mir wieder möglich sein würde, zu Worte zu kommen, ich wartete nur darauf, daß sich der Büroangestellte endgültig beruhigte, bevor ich ihn erneut ansprach, weshalb ich ihn aufmerksam im Auge behielt.

      Endlich war alles in Ordnung. Er saß wieder wie zuvor, die Glieder des Körpers in der teuer erworbenen Würde eines alten Büroangestellten erstarrt, mit einer Gesichtshaut, die ihre natürliche, fahle Farbe wiedergewonnen hatte, und einem so fernen Blick auf mich, als habe er mich kaum je zuvor gesehen. Meine Aufmerksamkeit wurde durch die Stille gefesselt. Sie wirkte völlig anormal, obgleich Stille nur Stille sein kann und nichts anderes. Sie hatte etwas Überdimensioniertes an sich, als sei sie ein riesiger Klumpen Stille aus dem All, den man zwischen diese Wände gestopft hatte, wodurch ein völlig anormales spezifisches Gewicht von Stille entstand, das gegen die Wände und auf mein Trommelfell preßte. Ich vergaß ganz zu reden, weil ich dieser Stille lauschte, der nicht zu entgehen war, weil sie sich buchstäblich in mich hineindrängte. Jetzt schien sie mir von dem Büroangestellten auszuströmen, als sei die Stille nicht allein Abwesenheit von Geräuschen, sondern irgendeine Kraft, die Lebewesen unter besonderen Umständen auszusenden imstande sind. Als mir endlich wieder einfiel, daß ich irgend etwas sagen sollte, geschah etwas Unangenehmes. Ich konnte nämlich die Worte nicht herausbringen. Vielleicht, weil ich dennoch die ganze Zeit über dieser Stille lauschte und meine Gedanken sie nicht loslassen konnten und ich deshalb nicht gleichzeitig Worte formen konnte. Sie staken mir im Hals, wie man sagt. Die Sprechorgane wollten nicht gehorchen. Zerstreut versuchte ich sie zu überreden. Vielleicht waren sie klüger als ich. Sie hielten mich jedenfalls zum Narren. Ich hatte sie nicht unter Kontrolle. Und gerade jetzt hätte ich das entscheidende Wort sagen sollen. Doch die Stille sperrte mich ein, sie isolierte mich, sie barg ein strenges Verbot. Sie war, kurz gesagt, völlig tödlich für meine Redegabe, als nähmen diese Büroangestellten ihre Zuflucht zu ihrer letzten, endgültigen und unüberwindlichen Waffe, offenbar entschlossen, nichts mit mir zu tun haben zu wollen und mir mit allen Mitteln den Zugang zu der phantastischen Zukunft unglaublicher Reisen, den Gerüchen fremder Städte und schleimiger Decks zu versperren, die mein Unverstand mir bereitet hätte, hätte man ihm seinen Willen gelassen.

      Mir blieb nun nichts weiter übrig, als meines Wegs zu gehen. Noch immer mit dem massiven Gewicht der Stille auf mir, wanderte ich über den Fußboden und sah zum letzten Male den matten Glanz auf den dunklen Pulten und Schranken, die geneigten Köpfe dahinter und das welke und vertrocknete Licht, das auf ihnen lag wie grauer Staub.

      Offenbar war es mir beschert, auf Leute zu treffen, wenn ich durch Türen hinein- oder herausging. Denn als ich aus der Tür gekommen war und die Treppe hinunterging, war ein junger Mann auf denselben Stufen auf dem Weg nach oben. Ich sah auf den ersten Blick, daß er ein Seemann war, und war drauf und dran, ihn am Ärmel zu ergreifen, um zu sagen, geh nicht hinein! Diese Relikte einer grauen Vorzeit, die dort drin sitzen, heuern überhaupt niemanden an, sondern beantworten bloß eine ehrliche Anfrage mit Gelächter oder Schweigen. Die Frage ist, ob das hier ein Heuerbüro ist oder in Wirklichkeit etwas ganz anderes, irgendein lichtscheues Unternehmen, das sich hinter dieser unschuldigen Bezeichnung verbirgt.

      Ich packte ihn jedoch nicht am Ärmel, denn ich hatte gleich gesehen, daß er groß und kräftig von Gestalt war, und es fuhr mir durch den Kopf: Höchstwahrscheinlich packt er mich am Kragen, faucht mir ins Gesicht, daß ich mich nicht in seine Angelegenheiten mischen soll, und wirft mich schließlich die Treppe hinunter.

      Doch als wir aneinander vorbeigingen, hob er den Kopf, und ich sah in dem sonnengebräunten und bereits wettergegerbten Gesicht zwei starke blaue Augen, deren sanfte und seraphische Freundlichkeit mich mit einer Welle von Wärme durchflutete, die mich auf der untersten Stufe stehenbleiben und wiederum einen Augenblick über mein Leben nachdenken ließ, bevor ich den letzten Schrittt machte, wiederum in der Sackgasse stand und in die Richtung zu gehen begann, aus der ich gekommen war.

      Was mich betrifft, erzählte der Scholier, mich haben die Umstände immer gerade dann gezwungen, aufzubrechen und mich auf irgendeine lange Reise zu begeben, wenn ich mich eben dort, wo ich war, einigermaßen eingerichtet hatte. Das ist mein Schicksal gewesen.

      Ich habe auch Verwandlungen und seltsame Zustände erlebt, denn das läßt sich in einem langen und bewegten Leben wohl nun einmal nicht vermeiden, und oft ist es ziemlich heftig zugegangen, was Sie verstehen werden, wenn Sie erfahren, daß ich unter anderem als Wildschwein aufgetreten bin. Das geschieht nur zu ganz besonderen Gelegenheiten, anscheinend vor allem, wenn irgendwie Gefahr im Anzug ist, und mir ist aufgefallen, daß es mir das Leben gerettet hat. Deshalb ist mir das Wildschwein fast eine Art Schutzheiliger. Ich verdanke es den Kräften und gesunden Instinkten dieses ungestümen Tieres, daß ich auf meine alten Tage überhaupt hier sitzen kann, und zwar gesund und rüstig. Man kann dann fragen, ob sich mein Leben nicht einfach anders und weniger heftig gestaltet hätte, wenn nicht diese merkwürdigen Neigungen in mir rumort hätten, und darauf weiß ich keine Antwort.

      Ich entsinne mich an eine Gelegenheit, bei der ich in einem Wald umherging und mit meinem Rüssel friedlich im Erdboden herumwühlte. Das war wundervoll. Stellen Sie sich einen richtigen Herbstwald vor, mit Unmengen von Bucheckern und Eicheln und allen möglichen anderen guten Dingen; alles riecht so frisch und stark wie zu keiner anderen Jahreszeit. Für ein Wildschwein ist die beste Zeit nämlich weder der Frühling noch der Sommer. Es ist viel zu heiß und schwül, die Luft steht still, es ist, als stagniere sie zwischen den Bäumen, beladen mit all den Gerüchen, die in sie hineinströmen und sich kaum vom Fleck rühren. Es wimmelt von Insekten, im Gras, in den Blättern und in der Luft; gern kommen sie angeflogen, lassen sich auf allen möglichen unbehaglichen Stellen nieder und kriechen auf einem herum, egal, ob man schläft oder wacht. Im Herbst ist das nicht so. Der frische Wind zieht durch den Wald, die Luft ist stark und sauber, zwischen den Baumstämmen zeigt sich eine besondere, glanzvolle Helligkeit, was wohl am Himmel liegt. Davon sieht man sehr viel mehr, weil etliche Blätter von den Bäumen abgefallen sind. Keine dampfende Feuchtigkeit, kein Hitzedunst oder sonst irgend etwas in der Luft kann den Farben ihre Kraft nehmen, deshalb ist der Himmel so blau wie niemals sonst. Außerdem ist er oft voller Wolken, Wolken mit Tempo; denn immer jagen sie mit voller Fahrt darüber hin, weiß sind sie oder von einer graublauen Farbe, die ebenso klar ist wie die des


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