Anatomie der Katze. Poul Vad

Anatomie der Katze - Poul Vad


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Niedlicheres als kleine Jungen in Mädchenkleidung, nicht wahr? Aber natürlich sollte er zu einem feschen Kerl heranwachsen wie mein ... Ich meine nur: falls es ein Junge werden sollte. Denn das ist doch trotz allem nicht ganz undenkbar, oder?

      Das ist absolut vollständig undenkbar, sagte ich empört, das kannst du dir doch selbst ausrechnen.

      Ich meinte nur, die erschreckte Beatrice flüsterte fast, aber trotzdem hartnäckig, wenn es nun vielleicht doch passieren sollte, nicht wahr?

      Nun war ich ganz kalt und ruhig geworden und antwortete deshalb: Wenn es ein Junge werden sollte, was ich für eine Unmöglichkeit halte, dann erwürge ich ihn nach der Geburt mit meinen eigenen Händen.

      Beatrice begann zu weinen, und ich mußte sie trösten, aber es war, als seien wir beide von irgendeiner seltsamen Distraktion getroffen worden und nicht ganz anwesend, weder sie in ihrem Weinen noch ich in meinen tröstenden Worten. Woran dachten wir? Weiß der Himmel, woran, doch sobald wir selbst diese Distraktion entdeckt hatten, begannen wir sie resolut zu bekämpfen und mußten deshalb unsere ganze Aufmerksamkeit darauf richten. Das Ergebnis war, daß wir beide in tiefes Sinnen versanken und damit noch weniger anwesend waren, wir waren mit Welten beschäftigt, die für den anderen nicht zugänglich waren.

      Ich hatte oft und wiederholt versucht, Beatrice dazu zu überreden, ihre Zukunft mit mir zu teilen. Nichts hätte sie lieber getan, aber so ohne weiteres ihre Mutter zu verlassen, gerade jetzt, das konnte sie doch nicht. Sie besaß überhaupt weder genug Stärke noch Selbständigkeit, um einen solchen Schritt zu machen, und ich wußte schon lange, daß die Gespräche, die wir über unsere gemeinsame Zukunft geführt hatten, nichts anderes waren als Luftschlösser. Diese Wahrheit begann nun Beatrice zu dämmern.

      Ich hatte jedoch auch nicht vergessen, daß mein größter Gegner Friedrich war. Denn selbst wenn Beatrice nun fortreisen und sogar heiraten mußte – der Gedanke war abscheulich, darin waren wir uns einig –, so würden wir auch weiterhin die Verbindung aufrechterhalten können, zuweilen uns treffen können – überhaupt redeten wir einander alles mögliche ein, während wir so über die unabwendbare Zukunft phantasierten. Aber war Friedrich auch ein Teil davon? Irgendwie war mir klar, daß er zerstört werden mußte, und dazu schien es mir nur einen einzigen Weg zu geben: Man mußte ihn lächerlich machen. Deshalb begann ich, wenn wir uns in Gesellschaft anderer befanden, von dieser seltsamen Stoffpuppe zu erzählen, die nun treu so viele Jahre hindurch Beatrice begleitet hatte, und ich machte das so witzig und elegant, daß Friedrich unter Umständen dem Gelächter ausgeliefert wurde, in dem Beatrice ihm nicht zu Hilfe kommen konnte. Arme Beatrice, das Gelächter traf sie blutig, und sie mußte ihre Gefühle verbergen. Wie kommt es bloß, daß bestimmte Gegenstände der Liebe eines Menschen würdiger sind als andere? Ein Tier zu lieben, das ist in den Augen der meisten bereits schlimm genug – jedenfalls, wenn es die einzige Liebe eines Menschen ist. Aber eine Stoffpuppe! Die Liebe eines erwachsenen Menschen zu einer Stoffpuppe, das ist eine schreckliche und gefährliche Sache. Gerade deshalb bekriegte ich Friedrich. Ich fand nicht das Verhältnis lächerlich, doch ihn lächerlich zu machen, das war ein Werkzeug, das ich in meinem Krieg einsetzen konnte. Ich versuchte, die Ergebnisse meiner Strategie zu bewerten – und entdeckte, daß zwischen uns nun keine Liebe mehr bestand, sondern irgendeine mörderische Beschäftigung, die die Liebe als Deckmantel benutzte und mehr oder weniger daran gebunden war.

      Meine Strategie gelang, das muß ich schon sagen. Ihre Ergebnisse waren furchteinflößend, aber auch unvorhergesehen. Beatrice hatte nun noch größere Schwierigkeiten beim Modellzeichnen, wo sie im übrigen ansonsten gewisse bescheidene Fortschritte gemacht hatte. Nun fiel ihr die Aufgabe wirklich schwer. Zunächst saß sie nur da und starrte auf das Modell, als sei irgend etwas Auffälliges daran, von dem sie die Augen nicht abwenden konnte. Wenn sie dann endlich anfangen wollte zu zeichnen und gerade den ersten Strich aufs Papier bringen wollte, zögerte sie einen Augenblick und warf noch einen Blick auf das Modell. Sie begann am Bleistift zu kauen. Sie schaute sich nach allen Seiten um, als suche sie Hilfe, näherte den Bleistift wiederum dem Papier, konnte sich dann aber trotzdem nicht entschließen. So verging die Zeit, bis das Modell seine Stellung änderte, mit dem Ergebnis, daß sie höchstens einen einzelnen Strich gemacht hatte, dessen zusammenhanglose Gegenwart auf dem weißen Bogen ihr monströs und unberechtigt erschien.

      Eines Tages, als ich in der Wohnung, die sie zusammen mit ihrer Mutter auf dem Boulevard Saint-Germain bewohnte, einen Besuch machte, wurde ich Zeuge von Friedrichs Untergang und direkt in seine Beisetzung verwickelt. Ihre Mutter – diese nette und würdige Dame, Erbin von Eisenwerken, großen Höfen und unermeßlichen Wäldern – trippelte nervös umher und erzählte mir atemlos, Beatrices Benehmen komme ihr absonderlich vor. Es zeigte sich nun, daß Beatrice Friedrich zerlegt hatte. Sie hatte erst den Kopf abgerissen, danach die Arme und Beine, und zuletzt hatte sie den Körper aufgeschlitzt und in Stücke gerissen. Die verstümmelte Stoffpuppe lag auf dem Fußboden ihres Zimmers, und sie schaute mich mit einem sonderbaren Lächeln an, das mich die Augen abwenden ließ. Die ganze Zeit über war es mir so erschienen, als sei mein Unglück größer als das von Beatrice: Wenn sie erst von mir getrennt und mit diesem Mann vereint war, würde sie sicher in einem neuen Dasein Ruhe finden und höchstwahrscheinlich – ich machte mir keine Illusionen im Hinblick auf die Beständigkeit ihrer Gefühle – darin glücklich werden. Ich selbst dagegen machte mich auf ein Leben in mehr oder weniger totaler Einsamkeit gefaßt. Das würde ich sicher auch ertragen können, aber ich mußte stark sein, sehr stark. Der Anblick der jämmerlichen, losgerissenen Teile der Stoffpuppe ließ mich begreifen, daß Beatrice etwas von sich selbst verstümmelt und geschändet hatte und daß ich tief an dieser blutigen Handlung beteiligt war. Deshalb war es auch mehr als eine reine Formsache, als sie mich darum bat, ihr beim Aufsammeln der Fetzen zu helfen. Ich bückte mich, hob ein Bein, einen Arm und einige Wollfäden auf. Dann kam sie zu mir mit den übrigen Resten, die sie selbst zusammengesucht hatte, und legte sie in meine Hände.

      Friedrich, wahrscheinlich ein Geschenk von irgendeiner alten Tante, war fast nicht wiederzuerkennen, und ich empfand, wie absonderlich es war, persönlich an dem traurigen Schicksal dieses gefährlichen Spielzeugs teilzunehmen, aber genau dazu zwang mich Beatrice.

      Es war das letzte Mal, daß ich sie sah. Sie war etwas geistesabwesend, als denke sie die ganze Zeit über an irgend etwas weit Entferntes. Ich nahm die Reste der Stoffpuppe mit hinunter und warf sie in den Mülleimer.

      Ich glaube schon, daß ich unglücklich war, aber ich entsinne mich nicht. Große Unglücke und Schmerzen verleihen dem Leben Inhalt wie nichts anderes. Dennoch vergißt man sie bekanntlich. Na, natürlich kann ich mich gut erinnern, daß es mir schrecklich ging, wenn ich mich ein bißchen anstrenge. Doch nun kehre ich zu meinem Geschlecht zurück, von dem ich anfangs erzählt habe. Ich weiß nicht, ob ich zu den Offizieren, den Schauspielerinnen oder den wahnsinnigen Pfarrern zu rechnen bin – vielleicht gehöre ich in alle drei Kategorien, denn oft scheint es mir, als sei ich im Krieg gewesen und schwer verwundet worden, ich bin in mehreren Rollen aufgetreten, und der Wahnsinn, der Gespenster sieht und hört, den kenne ich ausgezeichnet. Doch davon wollte ich jetzt gar nicht erzählen. Ich war also am Ende, und wenn wir in meiner Familie am Ende sind, dann ist das ein Zustand, mit dem nicht zu spaßen ist. In der folgenden Zeit trieb ich ziellos in Paris umher, ohne mich dazu entschließen zu können, was ich mit mir selbst anstellen sollte. Eines Tages saß ich auf einer Bank im Jardin du Luxembourg neben einer alten Frau. Kennen Sie die alten Frauen von Paris? Immer ganz in Schwarz und auf eine besondere Weise gealtert, die sich nicht erklären läßt. Sie sind wie eine Art Fauna, die mit zur Stadt gehört, denn man hat fast den Eindruck, daß die Häuser selbst sie geboren haben: die düsteren Pförtnerlogen und diese dunklen Tunnel aus Korridoren in den Seiten- und Hinterhäusern und die feuchten Schächte der Höfe, all das, was ein jeder, der in Paris gelebt hat, kennt und was viel mehr Paris ist als der Eiffelturm und der Triumphbogen und der Place de la Concorde.

      Die Frau war uralt und geschrumpft und trug einige Lumpen, die sozusagen in den zerfetzten Lappenschuhen gipfelten, die sie an den Füßen trug. Ich glaube, wir kamen überhaupt nur ins Gespräch miteinander – es war nichts, was ich wollte, es geschah bloß –, weil ich so elend aussah. Ich muß einem Wrack sehr ähnlich gewesen sein. Um nun alle Zwischenschritte zu überspringen, will ich lieber gleich erzählen, daß es sich herausstellte, daß sie Dänin war. Sie


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