Meine offizielle Frau. Richard Henry Savage

Meine offizielle Frau - Richard Henry Savage


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      „Schafsköpfe, bald bin ich eure widerliche, rohe Gesellschaft los,“ dachte ich und vertiefte mich wieder in meinen Roman, denn ich hegte bei meinem Eintritt in Russland nicht die mindeste persönliche Befürchtung.

      Wozu auch? Ich war ja der glückliche Besitzer eines von der russischen Gesandtschaft sorgfältig visierten und „en règle“ erklärten Passes. Ausserdem hatte ich auch noch die wärmsten Empfehlungen an den mit mir verschwägerten Constantin Weletsky, einen der Räte des Zaren, der als einstiger Page der hochseligen Zarin bei der kaiserlichen Familie hoch in Gunst stand.

      Diese und andre Empfehlungen sollten mir in Russland die allerhöchsten Kreise erschliessen, denn meine Tochter war mit Weletskys einzigem Bruder Basile verheiratet gewesen, einem tapfern, ritterlichen Offizier, der bei Plewna ein Bataillon befehligt hatte, dann im fernen Osten gefallen war und seine jugendliche Witwe mit einem kleinen vaterlosen Kind hinterlassen hatte.

      Meine Tochter hatte diesen Herrn in Japan kennen gelernt und geheiratet, und um sie wieder zu sehen und ihre Interessen wahrzunehmen, reiste ich nun zum erstenmal nach Russland.

      Meine Frau hatte ich in Paris zurückgelassen, weil sie den strengen Winter fürchtete und erst meinen Bericht abwarten wollte, ehe auch sie sich aufmachte, unser Kind zu besuchen, das nur wenige Wochen mit uns in Amerika verlebt hatte und dann, nachdem ihr Gatte im russischen Dienst in Asien gefallen war, in eine neue Heimat und zu unbekannten, aber gütigen Verwandten geeilt war.

      Gellende Glockenzeichen und ein schriller Pfiff verkündeten unsre Ankunft in Eydtkuhnen, der Grenze des„heiligen Russland“, wo man zur Untersuchung des Gepäckes und der Pässe zwei und eine halbe Stunde Aufenthalt hat.

      Mit den betreffenden Nationalfarben angestrichene Grenzpfähle ermahnen den Reisenden zu Stille, Vorsicht und politischer Klugheit, und dieser Warnung wird durch die Anwesenheit der in Zwischenräumen von wenigen Metern aufgepflanzten Soldaten weiterer Nachdruck verliehen.

      Ein stattlicher, internationaler Bahnhof nebst Zollamt mit einem prächtigen Restaurant auf der russischen Seite lockte meine hungrigen Augen, und ich sehnte mich rasend nach dem letzteren, denn der Hunger quälte mich und meine Seele lechzte nach Speise.

      Aber ach, die Grenze zwischen den beiden Kaiserreichen wurde von einem Gitter aus Schmiedeeisen gebildet und machte die Stillung meines Hungers gänzlich abhängig von dem Befund meines Passes nach Russland.

      Mit Schwertern umgürtet und mit Revolvern bewaffnet standen die Wachen da, bereit, den Kühnen zu verhaften, der es wagte, unberechtigterweise eindringen zu wollen.

      Zu etwa hundert hungrigen Reisenden wurden wir in einen Wartesaal gesperrt und aufgefordert, unsre Pässe und unser Gepäck zur Durchsuchung herzurichten. Während ich dem ernsten, strengen Befehl gehorchte und meine Papiere und Schlüssel hervorsuchte, betrachtete ich mir die Reisenden. Wir waren alle durcheinander gedrängt: Gräfinnen in Samt und Pelzwerk, flinke französische Kammerjungfern, behäbige Bürger, schmutzige polnische Juden mit Locken und schmierigen Reiseröcken, Geldwechsler, Soldaten und Vergnügungsreisende vereinigten sich hier zu einem recht sonderbaren menschlichen Mischmasch. Hochmütige Offiziere schleuderten umher, warfen den schönsten unsrer weiblichen Reisenden verliebte Blicke zu und liessen ihre langen Schleppsäbel herausfordernd klirren.

      Als ich an die Reihe kam, entfaltete ich meinen Pass mit dem amerikanischen Adler darauf, und ein bärtiger, mit Orden und Medaillen förmlich bedeckter Oberst ergriff ihn und brach in die freundlichen Worte aus: „Ah, Amerikaner — sehr gut!“

      Als ich dies hörte, bedauerte ich die fünf Dollars nicht mehr, die ich auf der Gesandtschaft für dies Papier erlegt hatte. Dieser Pass lautete auch auf den Namen meiner Frau für den Fall, dass sie mit mir reisen wollte, obgleich ihr auch noch ein besonderer Pass ausgestellt worden war, den sie in Paris zurückbehalten hatte, um mir möglicherweise nachreisen zu können.

      Man wies mich nach der Gepäckinspektion und liess mich durch, während einige Verdächtige, die wegen Unregelmässigkeiten in ihren Papieren zurückgewiesen worden waren, sich zu einem Entrüstungsmeeting zusammenthaten. Ganz glücklich faltete ich eben mein „Sesam öffne dich“ für die russische Restauration wieder zusammen, als ich plötzlich die liebliche Nähe eines weiblichen Wesens verspürte.

      Eine volle, wohlklingende Stimme sagte im gewähltesten Englisch: „Ich bitte um Vergebung, mein Herr, könnte ich Sie nicht einen Augenblick sprechen?“

      Die Dame, die diese Worte sprach, war sehr jung und sehr schön für das Auge eines Veteranen, denn gleich den meisten alten Soldaten war ich nicht ganz unempfänglich für weibliche Reize. Der Anzug und alles, was die schöne Unbekannte an sich hatte, war durchaus ladylike.

      Als ich sie ansah zeigte ihr ganzes Wesen eine solche Unschuld und Unerfahrenheit, dass ihre Hilflosigkeit einem Mann von Welt, wie mir, entschieden zu Herzen gehen musste. Ihre klaren dunklen Augen blickten ängstlich, ihre schönen Korallenlippen zitterten aufgeregt, welliges braunes Haar umrahmte ein zartes, liebliches, etwas stolzes Antlitz und das Ganze war ein entzückendes Bild. Obgleich ihr Wesen einen beinahe kindlichen Eindruck machte, schien doch ihre Gestalt für die allerfrüheste Jugend zu sehr entwickelt, ein dunkelbraunes, mit Zobel besetztes Kostüm hob die Umrisse ihrer wundervollen Formen aufs vorteilhafteste hervor.

      Hübsche Händchen steckten in einem Muff, flehende Augen blickten unter der zierlichen, kleinen Mütze hervor und niedliche Füsschen trippelten in hohen polnischen Stiefelchen hin und her.

      Ich nahm meinen Hut ab vor der unbekannten eleganten Erscheinung, lächelte mit meinem sanftesten Sonntagsschullächeln und entgegnete: „Stehe Ihnen ganz zur Verfügung, gnädige Frau.“

      „Eine schöne Landsmännin,“ dachte ich dabei, obgleich der blaue Fuchsbesatz der seidenen „Shuba“, die die anmutigen Schultern umschloss, ein etwas lokaler Luxus zu sein schien.

      „Bitte, geben Sie mir Ihren Arm, wir wollen ein wenig auf und ab gehen, damit wir keine Aufmerksamkeit erregen,“ flüsterte der schöne Wandervogel mit einem leichten Zittern in der Stimme.

      „Hoffentlich macht sie’s kurz,“ dachte ich, weil ich das liebliche Klappern von Tellern und Bestecken von jenseits der russischen Grenze vernahm und die schwalbenschwänzigen Kellner hin und her fliegen sah, denn die ersten Gäste hatten bereits die Pforten des epikuräischen Paradieses überschritten.

      „Ich bin eine Amerikanerin und reise nach Russland,“ begann sie, „um dort mit meinem Gatten zusammenzutreffen, der vorausgefahren ist. Er hat nur einen Pass für uns beide, und nun sehe ich ganz unerwartet, dass ich nicht über die Grenze kann. Ich weiss gar nicht, was ich anfangen soll.“

      Während sie dies sagte, durchzuckte mich der leise Druck ihres Armes wie ein elektrischer Schlag, und ihre Stimme klang so melodisch wie das Murmeln eines Bächleins.

      „Das bedaure ich unendlich,“ brummte ich, „aber ich wüsste nicht, was ich in der Sache thun könnte, denn ich bin ein einfacher amerikanischer Reisender ohne irgend welche offizielle Stellung — ein ausgedienter Offizier, der auf Besuch zu Verwandten nach St. Petersburg geht und hier gar niemand kennt.“

      Diese Bemerkung brachte ich so recht harmlos vor, denn auch ich hatte einst über die Stränge geschlagen und wusste, dass derartige kleine Anbandeleien oft sehr heikel werden können.

      „Aber ich habe bemerkt, dass Sie keine Dame bei sich haben und Ihr Pass lautet, wie ich gesehen habe, ‚mit Gemahlin‘.“

      „Gewiss,“ sagte ich, vermutlich in etwas ungeduldigem Ton, denn das immer lebhafter werdende Geklapper von Messer und Gabeln bewies mir, dass die Mahlzeit, nach der ich begehrte, jenseits des Gitters, in Russland, schleunigst vertilgt wurde.

      Nun erhob sie sich auf ihre zierlichen Fussspitzen, faltete ihre Hände um meinen Arm, drückte ihn bedeutungsvoll und flüsterte: „Nicht wahr, Sie nehmen mich mit über die Grenze als — — als Ihre Frau?“

      „Grosser Gott,“ rief ich aus, „aber meine Frau!“ Denn Frau Lenox ist zeitweise sehr zur Eifersucht geneigt. Unterdessen nagte der Hunger in mir wie eine Ratte in einer leeren Rosinenkiste.


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