Meine offizielle Frau. Richard Henry Savage

Meine offizielle Frau - Richard Henry Savage


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kommen, und man hält mich bereits für Ihre Frau — man hat gar nicht einmal nach meinem Pass gefragt.“

      „Für meine Frau!“ stiess ich fast atemlos hervor.

      „Gewiss, der Oberinspektor nahm an, ich sei Ihre Frau. Sie sind ein Landsmann von mir — nehmen Sie mich mit bis Wilna, dort erwartet mich mein Gatte und wird Ihnen selbst seinen Dank abstatten.“ Und in kindlicher Angst schmiegte sie sich an mich an.

      Meine Gedanken verwirrten sich, meine Nerven prickelten und mein Herz klopfte bei ihrer Berührung. Schon manchmal war ich auf einigen weiten Reisen für hübsche Damen eingetreten.

      Eine Art Geheul des russischen Zollbeamten mahnte mich zur Eile, denn unser Gepäck lag noch allein auf dem hohen Zinktisch, und beinahe alle andern Reisenden waren schon fort.

      Der dienstthuende Oberst, der sich eben auch in den Speisesaal begeben wollte, warf im Vorübergehen einen bewundernden, begehrlichen Blick auf das schöne Geschöpf an meinem Arm und flüsterte: „Die schöne Amerikanerin.“

      „Sie dürfen eine Landsmännin nicht in einer solchen Verlegenheit lassen! Wahrhaftig, ich glaube man märe im stand mich zu verhaften,“ sagte sie mit einem unschuldigen, leichten Schaudern.

      Ich warf dem Inspektor meine Schlüssel hin und blickte zögernd auf die schöne Bittstellerin neben mir.

      Wo trieb ich hin? Ganz betäubt stand ich da, während der Beamte hastig meine spartanische Ausrüstung durcheinander warf.

      Ein leises Lüftchen trug die verlockenden Düfte eines leckeren Mahles und eines trefflichen Mokkas durch die wohlbewachten Pforten zu uns herüber.

      „Sie werden mich gütigst entschuldigen,“ sagte ich mit einer rauh und heiser klingenden Stimme.

      Der bärtige Beamte warf einen Blick auf das umfangreiche Gepäck der Dame — ich musste mich sofort entscheiden.

      „Um Gottes willen, lassen Sie mich nicht hilflos hier zurück,“ flehte sie mit einem angstvollen Ausdruck in ihren wunderschönen Augen, und zugleich gab sie mir ruhig und gelassen ihre Schlüssel in die Hand, die ich mechanisch in die ausgestreckte Pfote des hungrigen Beamten fallen liess. Dann aber winkte ich, von Reue befallen, verneinend mit der Hand.

      „Sie werden doch gewiss nicht wollen, dass meine Reise durch ein solches Missgeschick unterbrochen wird, wenn Sie es durch blosses Schweigen verhüten können?“ flüsterte sie mir zitternd ins Ohr, und ihre wundervollen dunklen Augen blickten mich traurig und klagend an. „Facilis est descensus Averni!“ Ich fühle, ich weiss, dass ich im Begriff bin zu unterliegen. Hastig sehe ich mich um. Ach, wenn nur ihr Mann und meine Frau hereinträten! Aber kein so glückliches Ereignis erfolgt. Dagegen bemerkte ich, dass die Augen des Obersts fragend, forschend auf meiner schönen Bürde ruhten. Schöpft er etwa Verdacht? Das darf nicht sein! Wütend fahre ich den Zollbeamten an und frage, warum er nicht schneller mache.

      Die ganze Zeit über tickt die grosse Uhr und mahnt geisterhaft daran, dass der Augenblick entschwindet; unterdessen durchwühlt der Inspektor die in den offenen Koffern aufgespeicherten Schätze der Schönheit, und ich betrachte mit erbärmlicher hohler Freude all dies geheimnisvolle Zubehör der weiblichen Toilette. Da ich kein Worth und kein Pingat bin, kann ich mich nicht auf eine Schilderung der Einzelheiten einlassen, aber ich will ehrlich gestehen, dass ich stolz war auf die Ausstattung meiner Dame, denn sie wäre einer Herzogin würdig gewesen, so zart und fein waren die Spitzen und Stickereien, so reich und weich die Seide, der Atlas, der Samt und so elegant die Pantöffelchen und Stiefelchen aller Art.

      Der blosse Anblick dieser Dinge lässt mein empfängliches altes Soldatenherz höher schlagen und ich betrachte die Dame, deren Lieblichkeit durch diese Gegenstände geschmückt und erhöht werden soll. Ein Bild der Unschuld, der Schönheit und der Ungeduld hängt sie an meinem Arm.

      Nun ist die Untersuchung zu Ende; die Koffer werden wieder geschlossen. Mechanisch werfe ich dem Beamten einen Rubel hin, und er stürzt gierig fort zu seinem Mahl.

      Der Druck auf meinem Arm wird fester, und der Duft, der ihren Gewändern entströmt, umweht mich; mechanisch wende ich mich zu ihr; ihre Augen, noch schöner in der Angst, begegnen den meinen, ihre Gestalt zittert, schwankt und lehnt sich an mich an. Guter Gott! Sie ist einer Ohnmacht nahe!

      Um sie zu ermutigen, flüstere ich ihr mit unsinnigem Gekicher zu: „Welch schöne Ausstattung Sie haben!“

      Wir nähern uns dem Gitter, und die schöne anmutige Fremde schmiegt sich dicht an mich an, aber ihr Schritt scheint kräftiger zu werden.

      Unaufgehalten schreiten wir durch die Pforte und stehen nun auf dem Boden des„Heiligen Russland“.

      Zweites Kapitel.

      Schmetternd fiel das Gitterthor hinter uns ins Schloss, denn wir waren die letzten der Reisenden. Es wollte mich bedünken, als erbebe die kleine Hand auf meinem Arm bei diesem Klang und als zittere die Dame an meiner Seite. Keck blickte ich sie an und sah, dass ihr schönes Antlitz sich mit tödlicher Blässe bedeckt hatte, doch sofort raffte sie sich gewaltsam auf, und um Mund und Auge spielte ein Lächeln, als sie flüsterte: „Bitte, behalten Sie meine Schlüssel, es sieht verheirateter aus!“ Dabei zog sie ein verlegenes Mäulchen, das mir Herzklopfen verursachte.

      „Natürlich müssen wir die Komödie jetzt weiterspielen, meine Liebe,“ antwortete ich; aber bei dieser vertraulichen Anrede wich sie von mir zurück und ein heftiges Erröten verwischte die letzte Spur der vorhergegangenen Blässe. Das Erröten war ansteckend, denn das Wort „meine Liebe“ lenkte meine Gedanken zu meiner wirklichen Gattin nach Paris zurück.

      Da ich solche Anwandlungen durchaus verscheuchen wollte, und mein Hunger sich aufs neue meldete, führte ich die Schöne an meinem Arm in den Speisesaal, der mit eiligst essenden Reisenden angefüllt war.

      Nur an dem für den russischen Oberst bestimmten Tisch waren noch freie Plätze zu sehen. Der Oberkellner flüsterte dem Herrn, der sich eben niederliess, einige Worte zu, die dieser mit einem Lächeln erwiderte. Nun wurden wir an den Tisch des Würdenträgers geführt, der mir gar nicht unzufrieden darüber zu sein schien, dass er in dem Anblick meiner blendenden Begleiterin schwelgen konnte.

      Der durch eine silberne Kette um den Hals ausgezeichnete Oberkellner überreichte der gnädigen Frau Speise- und Weinkarte, und sie bestellte mit der gelassenen Sicherheit einer verwöhnten Frau und setzte mich in grosse Verwunderung, indem sie zärtlich lispelte: „Und was möchtest denn du, lieber Arthur?“

      Woher wusste sie denn meinen Taufnamen? Nach einem Augenblick der Ueberlegung kam mir der Gedanke, sie werde ihn auf meinem Pass gelesen haben.

      Kurz darauf stellte sich uns der Oberst, der unsre Sprache meisterhaft beherrschte, als Iwan Petroff vor, und während ich dem Burgunder zusprach und einen gebackenen Fasan und andre Leckerbissen mit der ganzen Energie meines Hungers in Angriff nahm, plauderte meine Schutzbefohlene lächelnd mit dem russischen Offizier, der uns mitteilte, er sei Kommandeur der Wilnaer Grenzdivision und freue sich, Amerikaner in Russland zu sehen, denn er zweifle nicht, dass wir uns mit eigenen Augen überzeugen würden, die Russen seien besser als ihr Ruf.

      In diesem Augenblick trat ein Beamter grüssend an ihn heran, worauf unser Oberst aufstand und uns mit ein paar Worten der Entschuldigung verliess. Sofort wendete ich mich an die Dame neben mir und sagte: „Sie haben mich Arthur genannt, meine Gnädige; aber wenn wir diese kleine Komödie durchführen wollen, so müssen Sie mir auch schnell, ehe der Russe zurückkommt, Ihren Vornamen sagen.“

      „Gewiss,“ antwortete sie, „mein erster Name ist Helene.“

      „Und Ihr zweiter?“

      „Marie.“

      „Helene, Marie — wundervoll!“ erklärte ich. „Und Ihr Geschlechtsname?“

      „Sagen Sie mir erst den Ihren,“ bat sie, „Ihren Taufnamen habe ich auf dem Pass gelesen, aber Ihren Familiennamen konnte ich nicht sehen.“

      „Lenox,“ entgegnete ich, „Arthur Bainbridge Lenox.“

      Bei


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