Sternstunde der Mörder. Pavel Kohout

Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout


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...»

      «Ja», bestätigte Beran, «seinetwegen drehen wir hier unsere Runden.»

      Morava mußte wohl ein ziemlich dummes Gesicht machen. Der Hauptkommissar lächelte amüsiert.

      «Haben Sie gedacht, Morava, ich will Ihnen zeigen, wie die Weidenkätzchen sprießen? Das besorgt Jitka bestimmt besser!»

      Der Kriminaladjunkt spürte wieder, wie seine Wangen verräterisch glühten. Und Beran, eine ungewöhnliche Geste! tätschelte ihm die Schulter.

      «Sie können doch nicht annehmen, ich hätte Augen nur für Leichen. Meinen Glückwunsch, weder Jitka noch Ihnen konnte Besseres widerfahren. Bleibt nur, gesund über den Krieg wegzukommen.»

      «Sie hat schreckliche Angst um ihren Vater. Er ist wegen Schwarzschlachtung verhaftet worden.»

      «Ich vergesse das nicht. Ich komme schon drauf zurück.»

      Der Rundgang führte sie zu der gegen die Karlsbrücke gerichteten Inselspitze. In der klaren Luft ragte der Hradschin, von hier aus durch keine Fahne der Okkupanten entstellt, nicht als Sarkophag eines minderwertigen und deshalb untergegangenen Volkes empor, sondern als das unvergängliche Symbol einer Metropole, deren Ruhm im Geiste der alten Sage bis zu den Sternen reichen würde. Selbst an diesem abgelegenen und verlassenen Ort blickte sich Beran wachsam um.

      «Wie denken Sie über Buback?»

      «Ohne Zweifel ein fähiger Kriminalist ... davon zeugt auch seine Stellung, oder ...?»

      «Eben. Ein etwas zu großes Tier für einen so kleinen Fall, meinen Sie nicht auch?»

      Morava fühlte sich getroffen. Damit war auch seine Rolle gemindert.

      «Mir schien, Sie messen dem Fall außerordentliche Bedeutung zu, Herr Hauptkommissar ...»

      «Natürlich, natürlich!» als ob ihn Beran besänftigen wollte, «deshalb habe ich mich doch selbst seiner angenommen. Doch in Wahrheit befassen Sie sich damit, und ich lenke weiter den Gang der ganzen Kripo. Ziehen wir in Betracht, daß auch Buback die ganze deutsche Dienststelle in Prag leitet, widmet er da dem Fall nicht allzuviel Aufmerksamkeit und Zeit?»

      «An der Bedeutung des Opfers gemessen ...», wandte Morava ein.

      «Ich hab meine Fühler ausgestreckt und einen interessanten Umstand festgestellt. Die Familie von Pommeren war den Nazis zutiefst verdächtig. Die posthume Auszeichnung des Generals sollte hervorheben, daß auch der alte deutsche Adel zu Hitler steht, doch in den Kreisen der Prager Deutschen hält sich das Gerücht, russische Partisanen seien der Gestapo nur knapp zuvorgekommen. Der General war schon längst der Unterstützung jener Richtung verdächtig, die letztes Jahr erfolglos zum Anschlag auf den Führer führte.»

      «Aha ...», Morava versuchte rasch zu begreifen, «das bedeutet also, die spielen ihr Interesse nur vor, um Terror entfachen zu können?»

      «Berlin wie auch Frank werden es sich bei der jetzigen Kriegslage kaum erlauben können, die Bevölkerung unmittelbar hinter der Front unnötig auf die Barrikaden zu bringen. Nein, Morava, den Deutschen geht es höchstwahrscheinlich darum, uns jederzeit in den Topf reinschauen zu können.»

      «Warum sollte sie unser Kriminaldienst so ungemein interessieren?»

      «Weil der Kriminaldienst immer und überall das Herzstück der ganzen Polizei ist. Wir sind eine Handvoll, doch wir überdauern jedes Regime, ich bin das lebende Beispiel dafür. Damit sind wir unter bestimmten Umständen mit unserer Kenntnis des Apparats fähig, die ganze Polizei zu befehligen, und nicht nur die!»

      Morava hatte immer noch nicht begriffen.

      «Unter was für Umständen ...?»

      So vernahm er schließlich statt des ersehnten Lobs doch noch eine weitere jener Fragen, die ihm wiederholt das Zeugnis eines Mannes von minderem Geiste ausstellten.

      «Ist Ihnen noch nie der Gedanke gekommen, Morava, daß neben Feuerwehr und Eisenbahn nur noch die Prager Polizei imstande ist, diese Burg da oben wie ganz Prag im gegebenen Fall vor der Vernichtung zu bewahren? Und der Wehrmacht den Rückzug nach Westen zu verlegen, wenn sie vor den Russen zu fliehen beginnt? Geht es dann den Deutschen nicht hauptsächlich darum, uns bei dieser Gelegenheit in Tuchfühlung abzuklopfen, um uns rechtzeitig unschädlich machen zu können? Nicht zu vergessen, Morava: Buback ist nicht nur Kriminalist, sondern auch Gestapomann.»

      Barbora Pospíchalová ging eigentlich gern auf den Friedhof. Ihren Mann hatte der Tod unbarmherzig lange hingehalten, hatte mit ihm gespielt wie eine satte Katze mit der Maus. Als er ihn schließlich erdrosselte, war das eine Erlösung für ihn wie für seine Frau.

      Sie hatte ihren Jaroslav nach langem Wählen erst mit Dreißig aus Liebe genommen, die durch seine bald ausgebrochene schleppende Krankheit nur noch stärker wurde. Deshalb war sie selber zutiefst überrascht, wie bald sich nach seinem Tod der Friede in ihr ausbreitete. Sie hätte geschworen, sie würde Monate, vielleicht gar Jahre einer normalen Existenz unfähig sein. Und geradezu absurd, ja unappetitlich schien ihr die Vorstellung, sie könnte noch irgendwann einen Liebhaber, geschweige denn einen Ehemann haben. Doch schon einen Monat nach der Beerdigung bekam sie eine neue Liebeserklärung und zugleich einen Heiratsantrag.

      Daß dies geschehen konnte und daß sie nicht mit einem kategorischen Nein darauf antwortete, sondern nur um geziemenden Aufschub bat, wie es das Gedenken an den Toten und die Schicklichkeit erforderten, war einem erleichternden Umstand zu danken: Der Bewerber war Jaroslavs Bruder Jindřich, der unermüdlich an ihrer Seite für ihn gesorgt hatte, bis dieser seinen letzten Atemzug tat. In all der langen Zeit hatte er seine Gefühle nie offenbart und ging auch jetzt auf ihren Wunsch ein. Um so tiefer war sie ihm zugetan.

      Damals hatte sie beschlossen, ein halbes Jahr abzutrauern, und das war gerade abgelaufen. Morgen wollte der Schwager zum Abendessen kommen, und Barbora war sich sicher, daß er bei ihr bleiben würde. Plötzlich wurde ihr bewußt, daß selbst hier, wo nur eine Schicht Erde sie von dem Körper trennte, den sie voll Liebe umfangen hatte, sie sich auf die nahe Liebesnacht freute. Verzeih, mein bester Jaroušek! tat sie flüsternd Abbitte. Einen Augenblick lang kam sie sich scheußlich animalisch vor und überlegte, ob sie Jindřich nicht abschreiben sollte.

      Dann, als wäre sie aus eiskalter Tiefe aufgetaucht, hörte sie die Stimmen der ersten Vögel, die nach dem Winter in die Baumkronen hier zurückkehrten und den Friedhof in einen Park verwandelten. Sie erkannte im Windgesäusel den Vorboten der Frühlingsdüfte, und der vorherige Gedanke schien ihr lebensfremd. Jaroslav war tot, verwandelte sich nach und nach in Humus, aus dem in Kürze frisches Grün sprießen würde. Warum sollte nicht genauso aus der Liebe zweier Menschen zu ihm ein neues Gefühl entstehen, das sie im Grunde alle drei vereinte?

      Barbora holte Wasser für den Blumenstrauß und wischte wie immer die kleine Marmorsäule mit dem vergoldeten Namenszug und den beiden Lebensdaten ab. Mit Sidol putzte sie dann die kleine blaue Messinglaterne, die sie schon letztes Jahr hier für bessere Zeiten aufgestellt hatte: Nach dem Luftangriff im Februar hatten die Prager selbst die schlecht brennenden Ersatzkerzen für die Luftschutzkeller aufgekauft, und mit Anbruch der Dämmerung galt auch für Friedhöfe die strenge Verordnung vollständiger Verdunkelung. Als sie endlich ihr Gebet gesprochen, sich bekreuzigt hatte und vom Grab zurücktrat, stieß sie gegen einen Mann.

      Sie erschrak, denn sie war es gewöhnt, hier um die Mittagszeit meist keiner Menschenseele zu begegnen. Der Mann entschuldigte sich überstürzt. Sein Tschechisch hatte einen ungewöhnlichen Akzent, doch mehr noch nahm sie sein seltsames Aussehen gefangen. Der schwarze Anzug im Vorkriegsschnitt paßte nicht zu dem abgewetzten braunen Koffer. Oder ist er etwa gleich vom Bahnhof zur Beerdigung gekommen? Aber es findet doch gerade gar keine statt. Hat er sich vielleicht im Ort oder in der Zeit vertan?

      Natürlich hatte sie nicht die Absicht, ihn auszufragen, sie gab nur ein höfliches Keine Ursache! von sich und überlegte auch nicht, was sie vor allem an ihm stutzig machte. Sie wandte sich dem Ausgang zu, als er fragte, wo er das Grab Smetanas finden könne. Sie führte ihn also hin, denn es war zur ungeschriebenen Pflicht eines jeden geworden, dem es vergönnt war, hier ein Grab zu haben, den Weg zu den Größen


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