Sternstunde der Mörder. Pavel Kohout
die Szene, wobei ihm ihr Sinn aufging.
«Die Mutter meiner Frau», sprudelte der Richter hervor, «liegt schwerkrank darnieder, ihr Vater wohnt am Bodensee, und so fährt sie hin, sich um die Eltern zu kümmern ...»
Daß dieser Mensch, der allen Grund hatte, um seine Haut zu bangen, seine Familie beizeiten in Sicherheit brachte, kam Buback menschlich begreiflich vor, doch daß er als Haupt der hiesigen Reichsjustiz mit Hilfe von Gefängnispersonal einen hundsgemeinen Raub beging, verschlug ihm den Atem. Schon zum zweitenmal war er heute keines Wortes fähig, schweigend blickte er auf den schweren Flügel, der im Wagen verschwand.
«Die Kinder», schnatterte der Richter weiter, was ihm auf die Zunge kam, «lernen grad spielen, wir möchten nicht, daß sie aus der Übung kommen, bis sie wieder zurück sind ...»
Ratte! dachte Buback wütend. Ratten wie du haben alle Völker Europas gegen uns aufgehetzt, und jetzt verlassen sie als erste mit ihrer Beute das Schiff. Er wandte sich so energisch zum Hintereingang, daß der zerknirschte Aufseher ihm gerade noch aus dem Weg springen konnte. Der Mann, der Hunderte Menschen vor die Gewehrläufe oder unters Beil geschickt hatte, rief ihm fast flehend nach.
«Ich habe die Genehmigung vom Amt des Reichsprotektors, Herr Buback, und ich persönlich bleibe selbstverständlich in meinem Amt ...»
Buback ließ seine Wut an der Tür aus, er schmetterte sie zu, daß das Haus erbebte, doch er wußte, es schlief sowieso keiner darin, denn die Frau Gemahlin saß mit den Kindlein bestimmt schon im Dienstwagen, der sich durch dunkle Nacht gen Westen bewegte.
Die Bilder der Armee, die zu der geschichtlichen Schlacht antrat, und das Bild dieses feigen Kapitulanten regten ihn so sehr auf, daß an Schlaf nicht zu denken war. Er stöberte in der engen Küche eine Flasche mit einem Rest Brandy auf und ließ ihn auf der Stelle durch die Kehle rinnen. Der Druck im Gehirn ließ augenblicklich nach, die Erregung wich einer schlappen Müdigkeit. Dann bemerkte er aber, daß auf dem Parkett ein Briefumschlag lag, den man ihm offenbar unter der Tür durchgeschoben hatte.
Er riß ihn auf und las Kroloffs Bericht.
Morava erschrak, als er Jitka so spät noch wach vorfand.
«Was ist denn passiert?»
«Mir nichts. Ich warte auf dich.»
«Ich hab doch überhaupt nicht gewußt, wann ich wieder da bin! Wir hätten bis morgen dort herumhocken können.»
«Hat euch denn Berans Mitteilung nicht erreicht?»
«Nein, welche denn?»
«Ich habe schon heute nachmittag ein Fernschreiben an die dortige Polizeistation geschickt.»
«Aha», er begriff, «der Ortspolizist war die ganze Zeit mit uns zusammen. Und was wolltet ihr von uns ...?»
«Er hat wieder zugeschlagen. Der Aufschlitzer.»
«Nein! Wann?»
«Gestern. Das heißt schon vorgestern, doch man hat sie erst gestern gefunden.»
«Wen? Wo?»
Als wäre sie im Büro, referierte sie ihm mit ihrer umflorten Stimme knapp die jüngste Schreckenstat. Der Brand, der in der Parterrewohnung des alten Hauses in der Podskalská-Gasse Nr. 131 in Prag XV.-Podolí ausbrach, war spät bemerkt worden, da die umgebaute Küche keine Fenster besaß. Er beschränkte sich zwar auf die betroffene Wohnung, die jedoch völlig ausbrannte. Der teilweise verkohlte Leib wurde der Wohnungsinhaberin Barbora Pospíchalová zugeordnet. Erst gestern mittag machte man in der Gerichtsmedizin eine Entdeckung, die die bisherige Untersuchung auf den Kopf stellte: Die Frau, ihrem Schmuck und Gebiß nach tatsächlich mit der Genannten identisch, war noch vor Ausbruch des Feuers auf die gleiche Weise ermordet und entstellt worden wie die deutsche Baronin. Unglücklicherweise hatten die Feuerwehrleute mit ihren Spritzen alle Spuren vernichtet, und als sie später neben den glimmenden Überresten den sonstigen Schutt auf die Halde schafften, waren auch die abgeschnittenen Brüste spurlos verschwunden. Daß das Verbrechen vom selben Täter begangen worden war, werde durch das fehlende Herz belegt, das der Mörder vermutlich auch diesmal mitgenommen hatte.
Die Vernehmung aller Hausbewohner erbrachte keine verwendbaren Fakten, das Opfer hatte regelmäßig Besuch nur von seinem Schwager bekommen, der gleich nach der ersten Information zusammenbrach und ins Krankenhaus geschafft werden mußte, mit anderen Männern war die Witwe nie gesehen worden. Der einzige und außerdem wenig zuverlässige Fingerzeig war die Aussage eines kleinen Mädchens, das vor dem Brand aus dem Zwischengeschoß nach seiner Mutti ausgeguckt hatte und behauptete, aus dem Haus wäre mit einem großen Koffer ein Wassermann gekommen, was auf einen grünen Mantel schließen ließ.
«Möchtest du einen Tee?» fragte Jitka, als sie fertig war.
«Mit Sliwowitz», sagte er automatisch und rappelte sich aus der Erkenntnis wieder auf, daß der Weg, auf dem er fast einen Monat lang gefahndet hatte, von Anfang an eine Sackgasse war. Der Mann, der vor Elisabeth von Pommeren und Barbora Pospíchalová vielleicht auch die Näherin in Brünn zu Tode gefoltert hatte, gehörte nicht zu den bisher Verdächtigen und hatte mit hoher Wahrscheinlichkeit ein sauberes Strafregister aufzuweisen. Da er bis zum zweiten Mord siebeneinhalb Jahre und von da bis zum dritten nur noch einen knappen Monat gebraucht hatte, war zu befürchten, daß er Gefallen an seiner Tötungsart gefunden hatte.
Morava spürte, wie ihm der beißende Duft des Ersatztees und des echten Zwetschgenbrands in die Nase stieg, vor allem aber fühlte er, wie sich ihm ihre Arme leicht um den Hals legten.
«Du wirst ihn finden!» sagte sie, und er war sich dessen sicher, daß er sie nicht enttäuschen würde.
«Meine Mama», antwortete er, «ist glücklich und freut sich auf den Tag, an dem sie dich kennenlernen wird. Sie schickt dir ihr Lieblingstuch. Und Buback hat mir so gut wie versprochen, deinem Vater zu helfen.»
«Was fehlt uns dann, Liebster?» fragte sie, «vielleicht nur noch das Kindl. Bist du sehr müde?»
«Jitka ...», flüsterte er und versenkte den Blick in ihre Pupillen, um alle scheußlichen Bilder in diesem warmen Braun zerfließen zu lassen, «mein Liebes, wo warst du so lange? Das ganze Leben habe ich auf dich gewartet, und das ganze Leben wirst du mich nicht mehr los.»
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