Sternstunde der Mörder. Pavel Kohout

Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout


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Malatínský am Ellbogen, er solle aufstehen und ihm folgen. Als Morava seine Aufforderung wiederholte, errötete er wie ein getadelter Schüler und ging selbst eilig hinaus. Erst jetzt fuhr der junge Mann fort, diesmal fast freundschaftlich.

      «Wir haben kein Interesse daran, Ihnen Schwierigkeiten zu machen, falls Sie unschuldig sind. Sollte Ihr Alibi überzeugend sein, behalten wir es für uns.»

      «Ich war in Brünn.»

      «Was haben Sie da gemacht?»

      «Gefickt», sagte der Mann in seiner Muttersprache, «ich weiß nicht, wie das auf deutsch heißt.»

      Es erheiterte Buback, daß der Tscheche ihm dieses Wort beim Übersetzen verlegen umschrieb; er hatte diesen Ausdruck einst als erster in der Klasse gekannt.

      «Sie verstehen», fuhr der junge Mann fort, «daß wir das noch prüfen müssen.»

      «Ja. Ebenda liegt der Hase im Pfeffer.»

      «Ist die Dame vielleicht verheiratet?»

      «Welche?»

      «Wieso welche ...?»

      «Meinen Sie die vom Februar oder die jetzige?»

      «Uns interessiert die vom Februar!»

      «Ja, hm ... aber könnten Sie sie nicht fragen, wenn die andere nicht dabei ist?»

      «Warum sollte sie dabei sein ...?»

      «Es sind Mutter und Tochter.»

      Der Kriminalist war auf einmal ein verstörtes Jüngelchen, und Buback schien es, als suchte der Verhörte jetzt männliches Verständnis bei ihm. Er hatte das Gefühl, eingreifen zu müssen.

      «Welche war das im Februar?»

      «Die Mutter.»

      «Und wo finden wir sie?»

      «Na hier.»

      «Sie sprechen von Brünn.»

      «Dort war ich mit ihr im Hotel. Jetzt mit der Tochter auch.»

      «Und wer ist diese Mutter?»

      «Die Frau vom hiesigen Verwalter. Sie wohnt gleich hier im Schloß. Aber von der Tochter reden Sie mit ihr doch nicht?»

      «Nein», sagte Buback.

      «Und könnten Sie sie unauffällig befragen?»

      «Ja», sagte Buback.

      Was ist mit mir los? dachte er verwundert. Zuerst wünsche ich ihm Prügel, und jetzt errichte ich eine dreifache Mauer um ihn? Werde ich ihn vor dem Ehemann und vor zwei betrogenen Geliebten decken? Nun, wie auch immer, der sechste Sinn des erfahrenen Fachmanns sagte ihm, daß die bestialische Tat, die dieser Mann seinerzeit begangen hatte, anscheinend doch nicht der Ausdruck angeborener Abartigkeit war, sondern ein Wutausbruch gedemütigter Männlichkeit. Er zweifelte nicht daran, daß sein Alibi überzeugend bestätigt werden würde, dieses Mannsbild verströmte eine solche Vitalität, daß er seine Wollust wahrlich nicht durch Quälen und Töten ersetzen mußte. Nein, der Ausflug hierher könnte nur in einer Hinsicht von Nutzen sein: Er würde versuchen, seinem Begleiter und damit seiner eigentlichen Aufgabe noch näher zu kommen.

      Auch Morava konnte sich nicht genug wundern. Der Deutsche, den er in der ganzen Zeit ihrer ungleichen Zusammenarbeit, wobei der eine die Arbeit machte und der andere ihn nur beaufsichtigte, nicht anders als einen zugeknöpften Patron kennengelernt hatte, zwar nicht so arrogant wie die anderen Gestapoleute, doch auch kein Kollege, zu dem er hätte Vertrauen haben können, dieser Mann hatte sich in den letzten paar Stunden so verändert, daß er ihn kaum wiederzuerkennen glaubte.

      Daß er ihn seine Mutter besuchen ließ, daß er die Intervention zugunsten von Jitkas Vater nicht ablehnte und schließlich so unkonventionell bei Malatínskýs Vernehmung auftrat, konnte natürlich, falls Beran recht hatte, ein klassischer Trick sein, doch auf jeden Fall atmete es sich in der neuen Atmosphäre leichter. Die Öffnung einer Beziehung, wußte Morava, verschafft beiden Seiten gleiche Vorteile, man muß nur mehr die Ohren spitzen und seine Zunge besser hüten.

      Malatínský gaben sie wieder in die Obhut des Polizisten und baten die Frau des Verwalters, der im Keller herumwerkelte, schlicht und einfach um einen Kaffee. Als sie ihn brachte und Morava aus heiterem Himmel Bubacks Frage übersetzte, wo und mit wem sie am Dienstag, dem 14. Februar, gewesen sei, verwandelte sich die nette und hübsche, eine Spur zu üppige, doch allen Freuden des Lebens sichtlich zugetane Frau in ein Häuflein Unglück. Vor Schreck stand ihr der Mund offen, und ihre Lippen zuckten. Noch ehe sie in Tränen ausbrechen oder gar ohnmächtig werden konnte, ließ Buback ihr übersetzen, daß alles hier unter ihnen bleibe, ihr Mann werde auf keinen Fall davon erfahren.

      Sie erinnerte sich erstaunlicherweise sofort, hielt sich an dem Versprechen wie an einem Rettungsring fest und sagte so beflissen aus, daß es Morava heiß überlief, ja, sie sei an jenem Februartag, wie fast jeden Monat, mit dem Angestellten des Schloßkellers Jakub Malatínský in Brünn gewesen, sie kenne, falls die Herren das wissen wollten, auch dessen schreckliche Vergangenheit, glaube aber dennoch, daß das Ganze eher eine Tragödie war, er habe offenbar mit seinem ganzen jungen Herzen geliebt, und dieses Flittchen habe ihn eben betrogen, sie selbst kenne ihn als feinen und empfindsamen Mann, ja, trotz all seiner Kraft, zum Beispiel liebe er auch sie über alles und dränge sie trotzdem nicht, ihren Mann zu verlassen, der, wie er sagte, ihr und ihrer Tochter viel mehr bieten könne als ein einfacher Kellermeister, von denen in Mähren zwölf aufs Dutzend gingen, ja, sie seien damals wie üblich zwei Tage und zwei Nächte zusammengewesen, nur diesen Monat hätten sie ausgelassen, er meinte, sie könnten sich nicht so regelmäßig und gleichzeitig von hier entfernen, so sei er diesmal allein zu seiner Mutter gefahren, ja, im Hotel meldeten sie sich immer vorschriftsmäßig an, ein Bekannter an der Rezeption schreibe sie bloß auf zwei Zimmer ein, doch sie sei mit Jakub in einem zusammengewesen und schwöre, er habe sich die ganze Zeit nicht wegbegeben, allenfalls zum Klo, ja, sie unterschreibe auch das Protokoll, verlasse sich aber, um Gottes willen, auf das Wort der Herren, daß niemand davon erfährt, denn sonst würde diesmal ihr Mann einen Mord begehen.

      Morava brachte mit Bubacks Zustimmung eine ganz knappe Erklärung zu Papier, der Frau zitterte die Hand, doch gelang es ihr, die Unterschrift darunterzusetzen, die beiden Männer tranken aus und gingen ins Büro zurück. Malatínský unterhielt sich dort gesellig mit dem Polizisten. Als sie eintraten, lachte er noch, stand aber ehrerbietig auf. Und es war Buback selbst, der ihm mit einem beinah freundlichen Nicken zu verstehen gab, daß seine Aussage bestätigt worden sei. Dafür hielt dieser dann entgegenkommend sein Gesicht und beide Profile hin, als Morava ihn fotografierte, damit sich sicherheitshalber der Prager Hausmeister auch zu ihm äußere. Dann waren sie fertig und durften nach Hause fahren, was für Morava bedeutete: zu Jitka.

      Kurz vor der Abfahrt kam es zu einer bemerkenswerten Episode. Als er sich im Schloßparterre breitbeinig vor die lysolstinkende Rinne des schlichten Angestelltenaborts stellte, während Buback frische Luft schöpfen ging, knarrte die Tür, und der Ortspolizist trat neben ihn. Von draußen drang das Knarren der Rollwagen herein, welche die Holzkisten mit den Flaschen transportierten, über ihnen klatschte metallen die alte Ventilation, und Morava hörte anfangs überhaupt nicht, daß der Mann zu ihm sprach. Als er es mitbekam, mußte er zurückfragen.

      «Was haben Sie gesagt?»

      Sein Nachbar hob leicht die Stimme und schielte nach der Tür.

      «Herr Kriminaladjunkt, was sollen wir tun?»

      «Nichts. Solange wir uns nicht melden, lassen Sie ihn in Ruh.»

      «Sie haben mich nicht verstanden. Was sollen wir überhaupt tun? Wenn es losgeht? Wenn die Deutschen uns zum Beispiel mobilisieren? Wem unterstehen wir eigentlich?»

      «Wie lange sind Sie bei der Polizei?»

      «Na ... seit dem Jahr zwanzig.»

      Morava blickte in Augen, in denen er nicht, wie in Brünn, die panische Angst eines Kollaborateurs sah, sondern die sehr verständliche Pein eines Menschen, dessen Gewerbe ein Vierteljahrhundert lang der Dienst am Gesetz


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