Sternstunde der Mörder. Pavel Kohout

Sternstunde der Mörder - Pavel Kohout


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Wetter der Macht unabhängige Arbeit ausgewählt hatte.

      «Oder auch», fuhr der Mann nervös fort, «wenn, wie es aussieht, der Russe kommt? Wird die alte Republik wieder kommen? Oder bleiben die Slowaken und die Sudeten separat? Wem sollen wir dann gehorchen, Beneš oder Stalin?»

      Morava war viel zu sehr Schüler Berans, als daß er gänzlich auf Gefühle gegeben hätte. Ein Polizist, der alle Regime überlebt hat, konnte ein ganz durchtriebener Lump und Provokateur sein, vielleicht sogar ein Mann im Sold der Deutschen und in Bubacks Regie. Er antwortete, wie er antworten mußte.

      «Wir haben keine Zeit. Und wir kennen uns nicht. Halten Sie sich einfach an die Vorschriften.»

      Er las in den Augen des alten Kollegen Enttäuschung und ertrug dies nicht länger. So entschloß er sich zu einer salomonischen Lösung.

      «Haben Sie in der Armee gedient?»

      «Ja, in der ersten Republik ...»

      «Also haben Sie einen Eid geschworen?»

      «Ja. Aber unter den Deutschen auch ...»

      «Auch freiwillig?»

      «Nein ...»

      «Was fragen Sie dann?»

      Sie knöpften sich die Hosenschlitze zu.

      «Ich danke Ihnen», sagte der Uniformierte, «halten wir uns die Daumen, daß die Woge über uns hinweggeht.»

      Ehe er sich bückte, um ins Auto zu steigen, erblickte Morava im ersten Stock des Schlosses die Verwaltersgattin. Ihr wohlbeleibter Mann in Weste, Pumphosen und Gummistiefeln, der sich mit ihnen verabschiedete, sah keineswegs wie ein von Leidenschaft Geschüttelter aus, der aus Eifersucht eines Totschlags fähig war. Die Frau hinter ihm im Fenster faltete trotzdem blitzschnell die Hände und hielt dann einen Finger an den Mund. Die von ihrem Mann geliebte Gattin liebte ihren Liebhaber, der soeben mit ihrer offensichtlich geliebten Tochter Liebe gemacht hatte. Jan Morava hatte keinerlei Verständnis dafür, er empfand vor diesen Lügnern tiefen Abscheu.

      Warum schenken wir dem betrogenen Winzer eigentlich nicht reinen Wein ein? Du Schwachkopf! tadelte er sich sogleich, du tust Dienst auf einem Friedhof, dessen Gräber heute und täglich von entfesselten Trieben aufgefüllt werden. Danke dem Himmel, daß dich keine beuteln, da er dir einen Engel geschickt hat, und spiel nicht die Gerechtigkeit. Sei gerecht!

      Das Bild der Landschaft, durch die sie auf ihrer eigenen Spur heimkehrten, war nicht wiederzuerkennen. In der Dämmerung passierten und überholten sie jetzt nur heimkehrende Gespanne mit Pflügen, Eggen oder Sämaschinen, das riesenhafte Heer, falls es nicht ohnehin ein Trugbild gewesen war, schien wie vom Erdboden verschluckt. Buback, an ein derartiges Auftauchen und Verschwinden von Truppen gewöhnt, verfolgte jedoch sehr wohl die Spuren ihrer Allgegenwart und bewunderte um so mehr die ungebrochene Disziplin.

      Den Gesprächsfetzen, die ihm im Amt oder an der Bar des Deutschen Hauses zu Ohren gekommen waren, entnahm er, was er im übrigen noch aus der Heimatkunde behalten hatte. Dieses wellige Stück Erde, das sich im mährisch-slowakischen Grenzgebiet bis nach Schlesien hin erstreckte und weiter westlich in den böhmisch-mährischen Höhenzug überging, stellte für sich allein einen mächtigen natürlichen Schutzwall dar. Die Schlacht, die über das Schicksal des Krieges und die künftige Gestalt der Welt entscheiden sollte, würde bestimmt hier stattfinden.

      Wie fühlte das dieser Junge, der doch seine Mutter hier hat? mußte er denken und erkundigte sich geschickt. So erfuhr er, daß sein Reisegefährte die Mutter zu überreden hoffte, für einige Zeit nach Prag zu den Jungvermählten umzuziehen. Und gleich darauf stellte ihm der junge Mann die erste Frage, die aus dem Rahmen ihrer Beziehung fiel: ob er auch Familie habe.

      «Nein!» gab Buback fast schroff zurück und richtete wieder die Stacheln auf, obwohl ihm sogleich klarwurde, daß dies unberechtigt war, er selbst hatte mit dieser privaten Ausfragerei angefangen und so keinen Grund, sich als Angehöriger einer Herrenrasse aufzuspielen. Deshalb setzte er hinzu.

      «Meine Frau und meine Tochter sind letztes Jahr bei einem Luftangriff umgekommen.»

      Im Wagen war es schon lange dunkel, doch als keine Antwort kam und er deshalb den Kopf seinem Nachbarn zuwandte, begegnete er Augen, in denen deutlich Anteilnahme zu lesen war. Diese Reaktion überraschte ihn, er wußte sich mit ihr keinen Rat, und so sahen sie sich ein paar lange Sekunden an, bis der Tscheche wieder sprach.

      «Als einer, der seine Liebe gerade gefunden hat, bedauere ich das sehr, Herr Buback.»

      Der erinnerte sich nicht, wann ihn jemand so wie dieser junge Mann das letztemal aus der Reserve gelockt hatte, und verfiel in der Eile auf nichts Besseres als danke!

      Den Rest der Fahrt verbrachten beide halb schlafend, halb wachend auf den Rücksitzen. Litera mußte jetzt so fahren, wie es ihm die blaugestrichenen Scheinwerfer erlaubten, die nur einen schmalen waagrechten Lichtstreif durchließen. Buback sprach den Tschechen lieber nicht mehr an, ab und zu versank er in phantasmagorischen, inhaltslosen Träumen, um dann wieder eine Zeitlang über die regungslosen Schultern des Fahrers in die schwarze Finsternis zu starren, die auch in den verdunkelten, eher wie Kulissen wirkenden Städtchen nicht wich.

      Weit nach Mitternacht hörte er, wie der Fahrer nach hinten meldete, sie hätten Prag erreicht, wen er wo absetzen solle. Ums Haar hätte er auf tschechisch geantwortet und zuckte zusammen; eigenartigerweise erschreckte ihn mehr als der Verlust des heimlichen Vorteils der Gedanke, sich gerade vor seinem Begleiter so zu blamieren. Der ließ ihm wiederum den Vortritt, und so konnte sich Buback eines weiteren, aus Müdigkeit begangenen Fehlers zeihen, als er wider alle Regeln seine Privatadresse angab. Er versuchte es damit zu korrigieren, daß er schon ganz am Fuß der Villenstraße ausstieg, sich knapp verabschiedete und den steilen Hang allein hinaufging.

      Klein-Berlin hieß dieses Viertel bei den Tschechen jetzt. Die früher meist jüdischen Villen wurden zu Dienstwohnungen der aus dem Reich herbefohlenen Funktionäre. Buback war sehr spät gekommen, für ihn reichte es nur zu einer Mansarde in einer Jugendstilvilla, die der Vorsitzende des Prager Volksgerichts mit seiner vielköpfigen Familie bewohnte. Die war froh, als er sich den Schlüssel zu dem schmalen Hinteraufgang für das Personal erbat, so mußten sie miteinander keinen Umgang haben. Es kam jedoch ein paarmal vor, daß er zur gleichen Zeit wie der Richter aus dem Hause ging, der ihn dann in seinem Dienstauto mitnahm, das auf dem Weg zum Pankrácer Gericht und Gefängnis sowieso an der Gestapo vorübermußte.

      Bei solchen Begegnungen befragte ihn dann der dickliche selbst im strengen Winter schwitzende Mann hastig nach seiner Meinung zur Kriegslage. Buback antwortete grundsätzlich im Geiste der Leitartikel des «Völkischen Beobachters», die Situation auf den Kriegsschauplätzen sei nicht ausschlaggebend, da der Kampf, wie schon so oft in der Vergangenheit, allein durch einen genialen und deshalb unvorhersehbaren Zug des Führers entschieden werde. Der Richter pflichtete ihm begeistert bei, und abends erfuhr Buback dann aus den Rundfunknachrichten von den neuesten Arbeitserfolgen seines Nachbarn, die sich in der Zahl der heute Hingerichteten niederschlugen.

      Am Scheitelpunkt der Straße angelangt, vernahm er gedämpfte Geräusche und sah, daß sich vor seinem Haus etwas im Dunkeln bewegte. Er blieb stehen und überlegte zum erstenmal, ob er in dieser Zeit und in dieser Stadt wie überall, wo die Front näher kam, nicht doch wieder seine Pistole tragen sollte. Er erkannte jedoch deutsche Laute und ging deshalb darauf zu. Der große bauchige Schatten verwandelte sich in einen Möbelwagen, in den gerade vier breitschultrige Männer mit Gurten einen Flügel schleppten. Vor dem Essen am Heiligen Abend, zu dem er eingeladen worden war, hatte die Frau des Richters Weihnachtslieder gespielt und sich damit großgetan, es sei der berühmte Steinway, eine Hinterlassenschaft der Vorbesitzer. Sogar die abgedunkelten Taschenlampen der Männer ließen Buback erkennen, daß der geräumige Laderaum schon fast voll war.

      Aus der Dunkelheit tauchte ein weiterer Muskelprotz auf und herrschte ihn an.

      «Was haben Sie hier zu suchen?»

      «Was haben Sie hier zu suchen?» erwiderte er kühl, «ich wohne hier.»

      Der Mann, zweifellos eine Charge in Zivil, hielt ihn für einen einfachen


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