Akazien. Walther von Hollander
ihr ein gutes Werk, den Kellner aus seiner Erstarrung zu erwekken, die schon denkmalhaft wirkte: Monument des letzten Fritz von Langwede.
Jetzt sah sie zu, wie die Sonne langsam über den Tisch wanderte. Der Schatten der Getränkekarte wurde ganz schmal. Es war julihaft heiß. Man konnte daran denken, an den Fluß hinunterzugehen. Und vielleicht sogar zu baden. Vielleicht war es das vernünftigste, sich an der Klosterbrücke in einen Kahn zu setzen und den Fluß hinuntertreiben zu lassen. Im Mai duftete das Wasser noch nach Schnee und frischem Gebirgseis. An den tieferen Stellen war es flaschengrün. Gut . . ., sie würde den Fluß hinunterfahren . . . bis . . ., natürlich . . . bis Weidenhoff und im Garten Friedrich von M.s Spazierengehen, der doch eigentlich ihr Garten war.
Frau von Schellemarr legte die negerschwarze Spitze ins Etui. Sie schloß mit einem heftigen Knacken ihre Handtasche. Sie winkte dem Kellner und bezahlte. Aber dann blieb sie träge sitzen.
Man mußte die Sonne genießen. Sie saß an dem eisernen Hoteltischchen, die Hände vor sich auf das gelbe Tischtuch gelegt. Die Augen hatte sie geschlossen. Nur ein wenig blinzelte sie. Sie lächelte. Wozu zur Klosterbrücke gehen, das Boot nehmen, den Fluß hinunterfahren und wieder mühsam zurückstaken? Nein . . ., sie fühlte sich zu schwach. Und es war niemand da – ach, wie oft muß man begreifen, daß der geliebte Mensch tot ist, und ganz begreift man es nie –, niemand da, der sie zurückstaken konnte. Sie brauchte nicht zu gehen. Der Tisch begann, sich mit ihr durch die Sonne zu drehen. Schon sah sie den Fluß durch die besonnten Gärten ziehen. Der Wind kräuselte das Wasser.
Eigentlich wollte sie gar nicht fahren. Sie hatte sich vorgenommen, auf den Markt zu gehen. Sie trug das hellblaue Sommerkleid mit den Rüschen, einen kleinen hellblauen Sonnenschirm aus dem gleichen Stoff, einen Hut, schutenartig unter dem Kinn zusammengebunden – alles ein wenig niedlicher, als sie es mochte, nach dem Geschmack ihres Mannes geformt und zurechtgemacht.
Sie ging, und Bruni (Brunhilde Sabotta, das Dienstmädchen) ging hinter ihr, an jedem Arm einen Henkelkorb. Herr von Schellemarr fand es nötig, daß sie so zusammen auf den Markt zogen. Die alte Frau von Schellemarr, seine Mutter, und die uralte, seine Großmutter, waren auch so gegangen, während der letzten dreißig Jahre, gefolgt von Bruni. Und weil die beiden es getan hatten, darum war es richtig, und weil er es richtig fand und es ihr einerlei war, deshalb tat sie es.
Sie standen an der Klosterbrücke. Die junge Frau von Schellemarr beugte sich über das Sandsteingeländer. Die Mauer war so sonnenheiß, daß man es durch alle Rüschen der Kleider hindurch bis auf die Haut spürte. Sie starrte so lange ins Wasser, bis die Brücke zu wandern begann, flußauf, immer weiter flußauf, immer schneller gegen die schnelle grüne Strömung. Und mit einemmal legte sie Bruni die Börse in einen der Henkelkörbe: »Kauf du ein, Bruni. Rinderfilet oder Schweinebraten oder Kalbskarbonaden oder Fischfilet oder . . ., ach, du weißt es viel besser, Bruni . . ., kauf nur ein.« Bruni aber sagte: »Die Sonne . . ., junge Gnädige, immer ist die Sonne auch nicht gut.« Die junge Frau von Schellemarr lachte: »Meinst du, ich könnte einen Sonnenstich kriegen . . ., hier oben im Kopf?« Bruni aber, ihr altes Gesicht auf die Schulter beugend: »Nein, nein . . ., das glaube ich nicht. Maisonne sticht das Herz!«
Frau von Schellemarr öffnete die Augen. Sollte sie nicht lieber auf den Markt gehen, gewissermaßen den Marktbesuch von damals nachholen und die alten Markttanten anschauen, statt hier vor dem Parkhotel zu sitzen und in Gedanken die Schattenfahrt, die Sonnenfahrt, die vergangene Fahrt auf dem Fluß zu wiederholen, sie wieder hervorzuholen? Aber es war, als könne sie nichts dafür und nichts dagegen tun. Fast wie vom Schlaf wurden ihre Augenlider vom Traumverlangen, vom Erinnerungsverlangen niedergedrückt.
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