Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi. Mari Jungstedt
Achtzigtausend, glaube ich. Das hat Bengt mir danach erzählt.«
Karin und Wittberg wechselten einen überraschten Blick.
»Wann war das denn?«
»Das war nicht jetzt am Sonntag, also wohl am Sonntag davor. Ja, so war das, da waren sie doch zum Rennen.«
»Und da hat Henry also achtzigtausend gewonnen. Wissen Sie, was er mit dem Geld gemacht hat?«
»Schnaps gekauft, nehme ich an. Da hat er sicher einiges sofort ausgegeben. Kaum haben sie ein wenig Geld, dann müssen sie ja alle Welt freihalten.«
»Welche anderen Personen gehören zu Bengts Bekanntenkreis?«
»Da gibt es einen gewissen Kjelle, mit dem er viel zusammen ist, und dann zwei Frauenzimmer. Monica und Gunsan. Sie heißt wohl eigentlich Gun.«
»Nachname?«
Bengans Mutter schüttelte den Kopf.
»Wo wohnen sie?«
»Das weiß ich auch nicht, aber sicher irgendwo hier in der Stadt. Es gibt wohl auch noch einen Örjan, der noch nicht lange hier ist. Den hat Bengt in letzter Zeit einige Male erwähnt. Ich glaube, er wohnt in der Styrmannsgata.«
Sie verließen Doris Johnsson, die versprach, von sich hören zu lassen, sowie sie ihren Sohn erreicht hatte.
Die Sache mit dem Renngewinn hatte der Polizei nun ein einwandfreies Motiv für den Mord geliefert.
Knutas hatte sich für die Mittagspause ein Paket mit dänischen Butterbroten zurechtgemacht. Sein Schwiegervater war erst kürzlich zu Besuch gewesen und hatte die ganze Familie mit Delikatessen aus dem südlichen Nachbarland erfreut. Die drei dunklen Roggenbrotschreiben waren unterschiedlich belegt: mit Leberpastete mit einer Art Kürbis, der an eine Gurke erinnerte, mit Frikadellen und Rotkohl und mit der dänischen Wurst »Rullepølse«, die Knutas besonders gern aß. Zu dieser ganzen Herrlichkeit genehmigte er sich ein eiskaltes Bier.
Er wurde beim Essen gestört, weil jemand an die Tür klopfte. Norrby schaute herein.
»Hast du einen Moment Zeit?«
»Natürlich.«
Norrby faltete seinen fast zwei Meter langen Körper in einem von Knutas’ Besuchersesseln zusammen.
»Ich habe mit einer Nachbarin gesprochen, die etwas Interessantes erzählen konnte.«
»Lass hören.«
»Anna Larsson ist eine ältere Dame, die genau über Dahlström wohnt. Am Montagabend gegen halb elf hat sie gehört, wie er aus der Wohnung ging. Er trug seine alten Pantoffeln, die auf eine ganz besondere Weise über den Boden schleifen.«
Knutas runzelte die Stirn.
»Wie konnte sie das von ihrer Wohnung aus hören?«
»Ja, das ist eine gute Frage, aber es ist so, dass ihre Katze Durchfall hatte.«
»Ach?«
»Anna Larsson wohnt allein und hat keinen Balkon. Und als sie gerade ins Bett gehen wollte, hat ihre Katze auf den Boden gekackt. Es stank so bestialisch, dass sie die Tüte mit der Scheiße nicht in der Wohnung behalten konnte. Sie trug schon ihr Nachthemd und wollte nicht zum Müllschlucker nach unten gehen, aus Angst, irgendwelchen Nachbarn zu begegnen. Deshalb hat sie die Tüte solange vor ihre Tür gestellt. Sie dachte, sie könnte sie ja ganz früh am Morgen wegwerfen, dann würde niemand etwas bemerken.«
»Ja, ja«, sagte Knutas ungeduldig.
Norrbys Hang zu epischer Breite ging ihm bisweilen auf die Nerven.
»Na ja, und in dem Moment, in dem sie die Tür öffnet, hört sie, dass Dahlström in seinen Pantoffeln aus der Wohnung kommt. Er schließt die Tür ab und geht die Kellertreppe hinunter.«
»Okay«, sagte Knutas und klopfte auf dem Tisch die Pfeife aus.
»Frau Larsson denkt nicht weiter darüber nach, sondern geht ins Bett und schläft ein. Mitten in der Nacht wird sie davon geweckt, dass die Katze jammert. Und jetzt hat das Tier auf den Schlafzimmerboden gekackt. Es hatte sich wirklich gründlich den Magen verdorben.«
»Mmm.«
»Frau Larsson steht auf, macht sauber und muss eine weitere Tüte mit Katzenscheiße vor ihre Tür stellen. Als sie die Tür aufmacht, hört sie, dass jemand eine Treppe tiefer herumgeht und vor Dahlströms Tür stehen bleibt. Und dabei hört sie nicht Dahlströms schlurfende Pantoffeln, sondern eine Person mit festen Schuhen. Sie wird neugierig, wartet und horcht. Der Unbekannte klingelt nicht, aber die Tür wird geöffnet, und er geht hinein; Stimmen sind dabei jedoch nicht zu hören.«
Nun war Knutas’ Interesse geweckt. Die Pfeife erstarrte mitten in der Luft.
»Und dann?«
»Dann ist weiterhin alles still. Nicht ein Mucks.«
»Hatte die Frau den Eindruck, dass jemand in der Wohnung war und die Tür geöffnet hat oder dass der Mensch mit den Schuhen das war?«
»Sie glaubt, dass es der Mensch mit den Schuhen war.«
»Warum hat sie das nicht schon längst erzählt?«
»Sie ist an dem Abend vernommen worden, an dem Dahlström tot aufgefunden worden war. Es war stressig und hektisch, fand sie, und deshalb hat sie nur erwähnt, dass sie gehört hat, wie er in den Keller gegangen ist. Ich habe mich gefragt, wieso sie da so sicher sein konnte. Und deshalb habe ich sie noch einmal vernommen.«
»Gut gemacht«, lobte Knutas. »Möglicherweise hat sie da den Mörder gehört, es kann sich aber auch um Dahlström gehandelt haben, der ein weiteres Mal weggegangen war. Es war doch mehrere Stunden später?«
»Das schon, aber es ist doch ziemlich unwahrscheinlich, dass er noch einmal weggegangen ist, oder?«
»Mag sein. Hat diese Frau noch mehr beobachtet, nachdem der Mann in die Wohnung gegangen war?«
»Nein, dann ist sie ins Bett zurückgegangen und wieder eingeschlafen.«
»Na gut. Die Frage ist also, ob der Mann einen Schlüssel hatte, wenn es nicht Dahlström war.«
»Das Schloss scheint jedenfalls nicht aufgebrochen worden zu sein.«
»Vielleicht war es jemand, den Dahlström kannte.«
»Das kann man durchaus annehmen.«
Als sich das Ermittlungsteam an diesem Nachmittag wieder versammelte, berichteten Karin und Wittberg als Erstes von ihrem Gespräch mit Doris Johnsson und dem, was Bengans Mutter über den Renngewinn erzählt hatte.
»Dann haben wir doch immerhin ein Motiv«, endete Karin.
»Das erklärt, warum die Wohnung durchsucht worden ist«, sagte Knutas. »Der Mörder wusste offenbar, dass Dahlström beim Rennen gewonnen hatte.«
»Das Geld fehlt noch immer«, fügte Sohlman hinzu. »Also hat der Täter es vermutlich an sich genommen.«
»Da liegt doch der Gedanke an Bengt Johnsson nahe«, sagte Karin. »Ich finde, wir sollten nach ihm fahnden lassen.«
»Da es hier um einen Mord geht, muss ich dir natürlich zustimmen.« Knutas wandte sich an Norrby. »Wir haben neue Zeugenaussagen vorliegen.«
Der Kollege erzählte von Anna Larsson und ihrer magenkranken Katze in der Wohnung über Dahlströms.
»O verdammt«, sagte Wittberg. »Das lässt doch vermuten, dass der Täter einen Schlüssel hat. Und das untermauert unseren Verdacht gegen Johnsson.«
»Wieso denn?«, widersprach Karin. »Der Täter kann Dahlström doch auch ermordet, sich dann die Schlüssel geschnappt haben und in die Wohnung hochgegangen sein.«
»Oder er hat das Schloss aufgebrochen«, schlug Sohlman vor. »Dahlström hatte nur ein ganz normales Zylinderschloss. Ein richtiger Einbrecher kann so eins knacken, ohne Spuren zu hinterlassen.