Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi. Mari Jungstedt

Näher als du denkst - Ein Schweden-Krimi - Mari  Jungstedt


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      »Wieso wollt ihr das wissen? Was ist denn mit ihm?«, fragte der Mann mit der Mütze.

      »Er ist tot. Irgendwer hat ihn umgebracht.«

      »Was zum Teufel? Stimmt das?«

      Beide schauten auf.

      »Ja, leider. Sein Leichnam ist gestern Abend entdeckt worden.«

      »Ja, scheiße.«

      »Und jetzt müssen wir versuchen, den Mörder zu finden.«

      »Ja, das ist klar. Wenn ich mir das genauer überlege, dann hab ich ihn vor ungefähr einer Woche bei der Bushaltestelle zuletzt gesehen.«

      »War er allein?«

      »Er war mit seinen Kumpels da, mit Kjelle und Bengt, glaube ich.«

      »Was machte er für einen Eindruck?«

      »Was er für einen Eindruck machte?«

      »Wie hat er sich verhalten? Schien es ihm schlecht zu gehen, oder wirkte er auf irgendeine Weise nervös?«

      »Nein, er war wie immer. Er redet nie sehr viel. Und er war natürlich ein bisschen breit.«

      »Weißt du noch, welcher Tag das war?«

      »Es muss am Samstag gewesen sein, denn es waren viele Leute unterwegs. Ich glaube, es war am Samstag.«

      »Vor einer Woche, also?«

      »Genau, und seitdem habe ich ihn nicht mehr gesehen.«

      Karin wandte sich dem anderen zu.

      »Und du, bist du ihm danach noch einmal begegnet?«

      »Ne.«

      Karin schluckte ihre Gereiztheit hinunter, die ihr wie ein juckender Kloß im Hals steckte.

      »Na gut, wisst ihr, ob er in letzter Zeit mit irgendwelchen Fremden zusammen war?«

      »Keine Ahnung.«

      »Gibt es Leute, die ihn nicht mögen oder die ihm vielleicht etwas antun könnten?«

      »Blitz doch nicht, nö. Der hat sich nie mit irgendwem gestritten. Er hielt sich bedeckt, falls du weißt, was ich meine.«

      »Sicher, das verstehe ich«, sagte Karin. »Wisst ihr, wo sein Kumpel Bengan steckt, Bengt Johnsson?«

      »War der das denn?«

      Hinter den Alkoholschleiern sah der ältere aufrichtig überrascht aus.

      »Nein, nein, wir würden nur gern mit ihm reden.«

      »Hab ihn auch eine Weile nicht mehr gesehen, du?«

      »Nö«, sagte Arne.

      Er kaute Kaugummi, dass seine Kiefer nur so ächzten.

      »Als ich ihn zuletzt gesehen habe, war er mit diesem neuen Kerl vom Festland zusammen«, sagte der ältere. »Mit Örjan.«

      »Nachname?«

      »Den weiß ich nicht, er wohnt ja noch nicht lange hier auf Gotland. Auf dem Festland hat er gesessen.«

      »Weißt du, wo wir Bengt Johnsson finden können?«

      »Der wohnt bei seiner Mutter im Stenkumla väg. Da ist er vielleicht.«

      »Weißt du die Hausnummer?«

      »Ne.«

      »Ja, dann, danke für die Hilfe. Wenn ihr irgendetwas hört oder seht, was mit Blitz zu tun hat, dann sagt sofort der Polizei Bescheid.«

      »Sicher«, sagte der Mann mit der Mütze und lehnte sich nun ebenfalls gegen die Wand.

      Johan Berg schlug an seinem Küchentisch in der Heleneborgsgatan in Stockholm die Zeitung auf. Die Wohnung lag im Erdgeschoss zum Hof hin, aber das war ihm egal. Södermalm war das Herz der Stadt, und in seinen Augen hätte er gar nicht besser wohnen können. Auf der einen Seite der Wohnung sah er das Wasser des Riddarfjärds und die alte Kerkerinsel Längholmen mit Badefelsen, grünem Gras und Spazierwegen. Auf der anderen lagen Geschäfte, Kneipen, Cafés und die U-Bahn in Reichweite. Die Rote Linie führte direkt zum Karlaplan, und von dort waren es nur fünf Minuten Fußweg zum Sender.

      Er hatte mehrere Tageszeitungen abonniert: Dagens Nyheter, Svenska Dagbladet und Dagens Industrie und jetzt lag auch Gotlands Tidningar auf dem Stapel, den er jeden Morgen durchsah. Nach den Ereignissen des Sommers war sein Interesse an Gotland gewaltig gewachsen. Und das hatte durchaus mehrere Gründe.

      Er überflog die Überschriften. »Seniorenwohnungen in der Krise«, »Polizei auf Gotland verdient weniger als auf dem Festland«, »Bauer setzt EU-Zuschuss aufs Spiel«.

      Dann blieb sein Blick an einer hängen: »Mann tot in Gråbo aufgefunden. Polizei rechnet mit Mord.« Er überflog die Kurznachricht.

      Beim Frühstück dachte er über diese Notiz nach. Es klang zwar nach einem normalen Streit im Suff, aber trotzdem war seine Neugier geweckt. Er ging ins Bad, schaute kurz in den Spiegel und verteilte ein wenig Gel in seine dunklen Locken. Er hätte sich eigentlich rasieren müssen, aber das schaffte er nicht mehr. Sollten seine dunklen Bartstoppeln doch noch ein wenig länger werden. Er war siebenunddreißig, sah aber jünger aus. Groß und gut gebaut, mit klaren Zügen und braunen Augen. Viele Frauen standen auf ihn, und das hatte er häufig ausgenutzt. Aber damit war nun Schluss. Seit einem halben Jahr gab es in seinem Leben nur eine Frau, Emma Winarve aus Roma auf Gotland. Er hatte sie kennen gelernt, als er im vergangenen Sommer über die Jagd nach dem Serienmörder berichtet hatte.

      Sie hatte sein Leben auf den Kopf gestellt. Er hatte noch nie eine Frau gekannt, die ihn so stark berührte; sie forderte ihn heraus und zwang ihn dazu, in neuen Bahnen zu denken. Er mochte sich mehr, wenn er mit ihr zusammen war. Auf die Frage seiner Freunde, was an Emma denn so besonders sei, fiel es ihm schwer, eine Erklärung abzugeben. Alles war einfach selbstverständlich mit ihr. Und er wusste, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruhte.

      Es war so weit gegangen, dass er wirklich geglaubt hatte, sie werde ihre Ehe aufgeben, es sei nur eine Frage der Zeit. Er hatte sich überlegt, ob er nach Gotland übersiedeln und bei einer der dortigen Zeitungen oder dem Lokalradio arbeiten sollte. Er wollte mit ihr Zusammenleben und sich um ihre beiden Kinder kümmern.

      Stattdessen war alles ganz anders gekommen. Als der Mörder gefasst und alles zu Ende war, hatte sie sich von Johan getrennt. Ihn hatte das völlig unvorbereitet getroffen. Für ihn brach alles zusammen, er hatte sich einige Wochen krankschreiben lassen müssen, und nachdem er dann so weit auf die Beine gekommen war, dass er in Urlaub fahren konnte, hatte er doch die ganze Zeit an sie denken müssen.

      Als er wieder zu Hause war, hatte er ihr einen Brief geschrieben. Zu seiner Überraschung hatte sie geantwortet, und sie hatten sich wieder gesehen. Jetzt trafen sie sich vor allem, wenn Johan beruflich auf Gotland zu tun hatte. Aber er merkte, dass ihr die Lügen zu schaffen machten und dass sie mit schweren Schuldgefühlen kämpfte. Am Ende bat sie um zwei Monate Bedenkzeit. Sie brauche Distanz, um über alles nachzudenken, hatte sie erklärt.

      Plötzlich hatten sie überhaupt keinen Kontakt mehr. Keine SMS, keine Mails, keine Telefongespräche.

      Einmal nur hatte sie ihm nachgegeben. Er war auf Gotland gewesen und hatte sie angerufen. Und gerade an diesem Tag war sie traurig und schwach und ließ sich auf ein Treffen ein. Es war eine kurze Begegnung, die nur bestätigte, dass die Gefühle stärker geworden waren, jedenfalls, was ihn betraf.

      Danach: nichts. Zwei unbeholfene Versuche seinerseits blieben erfolglos. Sie ließ sich nicht beirren.

      Zugleich verstand er sie ja auch. Es war schwer für sie, sie war schließlich verheiratet und hatte zwei kleine Kinder.

      Auf dem Weg zur U-Bahn rief er Anders Knutas in Visby an.

      Der Kommissar meldete sich sofort.

      »Hallo. Johan Berg von den Regionalnachrichten. Wie sieht’s aus?«

      »Ja, danke.


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