Das Geheimnis der Dämonen. J.B. Brooklin
dem nichts entgegensetzen. Außer einer Frage:
„Was wollen Sie von mir?“
Statt Worte ließ Halder Bilder in seinem Kopf entstehen. Visionen, die einen Teil seiner Pläne so deutlich zeigten, als würde Alexander sie auf dem Fernseher verfolgen. Natürlich würde er ihn umbringen. Zuvor aber würde er sich jede seiner Fähigkeiten aneignen. Das Wichtigste aber zeigte Halder ihm nicht: Sein Plan, eine schwarze Hostie zu kreieren, sollte wohl das Geheimnis des Bankers bleiben.
6
Es mussten Stunden vergangen sein, bis er es schaffte, die Augen zu öffnen. Wie Bleigewichte lagen die Lider auf den Pupillen. Er benötigte seine ganze Kraft, um wieder zu sehen. Was er erblickte, war nicht überraschend. Er befand sich in seiner Zelle, dem winzigen Raum, aus dem er für kurze Zeit entkommen war. Sehr weit hatte ihn sein Fluchtversuch nicht gebracht.
Die Nacht war die Hölle gewesen. Wortwörtlich. Halder hatte es geschafft, dass Alexander wünschte, nie geboren zu sein. In den hundert Jahren, die er auf der Erde war, hatte er nie solchen Schmerz erfahren. Nie eine solche Angst verspürt. Warum auch? Ein Ifrit zu sein, hatte viele Vorteile, und einer davon war, dass er seine körperliche Gestalt nach Wunsch verändern konnte. Krankheiten sind einem Ifrit fremd. Sobald ihn ein körperliches Unwohlsein beschlich, brauchte er nichts weiter zu tun, als sich in Rauch aufzulösen. Danach materialisierte er sich und setzte seinen Leib wieder in perfekter Harmonie zusammen.
Zum ersten Mal in seinem Leben war dies nicht möglich. Halders Gift hatte ihn dieser Fähigkeit beraubt. Der Banker hatte es langsam injiziert. Jeder Tropfen hatte geschmerzt.
„Das wird Ihnen für einige Zeit die Lust nehmen, sich unsichtbar zu machen oder in Rauch aufzulösen. So leid es mir tut.“
Die Worte hallten in seinem Kopf wider. Der Spott hinterließ einen bitteren Nachgeschmack. Und noch etwas. Hass.
Ich werde ihn töten!
Die Gewissheit nahm etwas von dem Schmerz, den das Gift hinterlassen hatte. Er wusste nicht, wie er es schaffen würde, aber die Machtdemonstration, die seinen Willen brechen sollte, hatte das Gegenteil bewirkt. Anstatt Alexander zu zerstören, hatte der Banker erreicht, dass der Ifrit fokussierter war als jemals zuvor.
Er war zu schwach, um mehr als seine Augen zu bewegen, aber das reichte aus, um seine Zelle erneut in Augenschein zu nehmen. Nichts hatte sich verändert. Noch immer befand er sich in einem kleinen Raum, der von Betonwänden umgeben war. Kein Fenster unterbrach die glatte Oberfläche der Mauern. Selbst die Tür ihm gegenüber war ohne Fugen in das Gemäuer eingefügt. Kein Lichtstrahl drang hinein. Es gab keine Spalten, keine Risse im Mauerwerk, nichts als die kalte, glatte, weiße Betonoberfläche.
Mit einem Seufzen schloss er die Augen, konzentrierte sich darauf, seine Umgebung mit den Sinnen abzutasten. Und dann endlich entdeckte er etwas, was ihm zuvor entgangen war. Energiefäden durchzogen den Raum. Manche waren mehrere Jahrzehnte alt, andere nur einige Stunden. Viele der Energielinien stammten von Halders Opfern. Seelen, die er ebenso wie Alexander gefoltert hatte. Ihre Überreste sprachen eine deutliche und zugleich erschreckende Sprache. Die letzte Nacht war angenehm im Vergleich zu dem gewesen, was die Zukunft für Alexander bereithielt.
Die jüngeren Energiestränge stammten von dem Banker. Sie durchzogen den Raum wie ein Spinnennetz. Einen Fluch auf den Lippen, schloss Alexander die Augen. Kein Wunder, dass er nicht weiter als Halders Arbeitszimmer gekommen war. Der Banker wusste genau, was er vorhatte. Und nicht nur das, Alexander konnte seine Kräfte nicht nutzen, denn Halders Energie hinderte ihn daran.
Ein raffiniertes Konzept. Aber sein Gegner hatte den gleichen Fehler begangen wie Alexander: Er war in seiner Machtbesessenheit unvorsichtig geworden.
Ein Lächeln stahl sich auf Alexanders Lippen. Die Bilanz war ausgeglichen, nur wusste Halder noch nichts davon.
Zwei Fehler. Ein dritter würde Alexander nicht unterlaufen.
„Sariel!“
Ihr Name war nur ein Flüstern auf seinen Lippen, aber es reichte. Wie schon zuvor öffnete sich Torsten Halders Bewusstsein. Seine Gedanken. Die Schaltzentrale seiner Macht.
Das schwarze Pulsieren in der Mitte wies ihm den Weg. Alexander lenkte seine Energie darauf zu. Er hatte nur wenige Sekunden, um sein Vorhaben auszuführen, aber er konnte sich keinen Fehler erlauben.
Langsam also.
Und dann war er dort. Inmitten des dunklen Mahlstroms, der Halders gesamtes Wesen durchdrang. Eine unglaubliche Machtkonzentration. Und, was noch wichtiger war, Energie. Genau das, was er brauchte, um zu überleben und den Banker zu töten. Ein Lächeln breitete sich auf Alexanders Gesicht aus. Die Vorstellung, Halder mit seiner eigenen Kraft zu vernichten, war ein berauschender Gedanke. Er konnte bereits fühlen, wie dessen Energie in seinen eigenen Adern pulsierte, sich über seinen Körper ausbreitete. Er durfte nur eines nicht vergessen: Halders Energie war gefährlich, denn von nun an würden dessen Machtgier, die Skrupellosigkeit und sein Fokus auf die Herstellung der schwarzen Hostie, ebenfalls ein Teil von Alexander sein. Ein Teil seines Wesens, den er kontrollieren musste.
Es würde nicht einfach werden, aber er schaffte das. Ganz sicher.
Eigentlich müsste hier längst ein Trampelpfad zu sehen sein. Der Gedanke zauberte ein ironisches Lächeln auf ihre Lippen. In ihrem Zimmer auf und ab zu laufen, war in den letzten Tagen ihre Hauptbeschäftigung. Sehr viel mehr konnte sie ohnehin nicht tun. Die Gefangenschaft nahm ihre Gedanken in Anspruch. Sie schaffte es weder sich auf ein Buch noch auf Fernsehfilme oder Musik zu konzentrieren.
Zuerst war sie irritiert. Dann wütend. Ihr Onkel hatte kein Recht, sie so zu behandeln. Seit Tagen formulierte sie ihre Anklage, aber es gab niemanden, der ihr zugehört hätte. Torsten Halder mied ihre Gesellschaft. Seit jenem Sonntag, an dem sie ihre Entscheidung verkündet hatte, war sie von jedem menschlichen Kontakt abgeschnitten. Ihr Essen wurde vor die Tür gestellt. Rosco ließ es zu, dass sie es hereinholte. Mehr aber war nicht möglich. Jeden Tag hoffte sie, er ließe in seiner Wachsamkeit nach, aber diesen Gefallen tat er ihr nicht.
Das Sonnenlicht blendete ihre Augen, als sie zum wohl hundertsten Mal am Fenster stand und überlegte, wie sie es schaffen könnte, aus dem dritten Stock unbeschadet nach unten zu kommen. Sie hatte ihre Bettwäsche verknotet, nur um festzustellen, dass ägyptisches Leinen nicht dafür gemacht war, als Seil missbraucht zu werden. Schon ein sachter Zug an ihrer selbst gefertigten Konstruktion reichte, um es zu zerreißen.
Ein weiterer Fehlschlag. Aber sie durfte nicht aufgeben. Je mehr Tage vergingen, desto schwieriger würde es sein, ihre Pläne zu verwirklichen, und dann war da noch Alexander. Der Fremde, dem sie helfen musste. Wenn sie nur wüsste, wie.
„Ach, verdammt.“ Sie drehte sich vom Fenster weg. Es war aussichtslos. Sie war nicht einmal in der Lage, sich selbst zu helfen. Wieder stieg Alexanders Bild in ihr auf. Wie er sich in Schmerzen wand, schrie. Und dann dieser Blick direkt in ihre Augen, so als wolle er ihr etwas mitteilen. Sie musste ihm helfen. Es war unmöglich, es nicht zu versuchen.
Wenn sie nur wüsste, wo er sich befand. Obwohl sie nicht gerne daran dachte, rief sie sich noch einmal die Erinnerung an ihren Traum ins Gedächtnis. Dieses Mal konzentrierte sie sich auf seine Umgebung. Versuchte, das Bild der hilflosen Gestalt in den Hintergrund zu drängen. Eine Zelle. Etwa neun Quadratmeter groß, der Ort kam ihr bekannt vor. Sie war sich sicher … Das Traumbild verschwamm vor ihren Augen. Es wurde unscharf, der Boden schwankte unter ihren Füßen, und die Wände drehten sich in einem wilden Tanz. Mit einem Aufschrei versuchte sie sich festzuhalten. Irgendwo. Aber ihre Finger griffen ins Leere.
7
Sie lag auf dem Boden, als sie wieder zu sich kam. In ihrem Kopf jagte ein Wirbelsturm die Gedanken wie Herbstlaub vor sich her. Mit einem Stöhnen setzte sie sich auf. Sie war noch nie zuvor ohnmächtig geworden.
„Für