Das Geheimnis der Dämonen. J.B. Brooklin
aber sie verdrängte das Unwohlsein, bewegte sich stattdessen einige Schritte auf den kleinen Tisch zu. Die kurze Distanz war mit einem Mal sehr lang, dann aber hatte sie es geschafft. Mit einem Stöhnen ließ sie sich auf den Stuhl sinken. Endlich. Ihre Beine waren noch immer zittrig. Die Thermoskanne, die den Tee enthielt, den sie vor wenigen Stunden noch verweigert hatte, war mit einem Mal ein willkommener Anblick.
Das heiße Getränk sandte etwas Lebenskraft durch ihre Adern. Das war besser. Viel besser.
Für einen Augenblick schloss sie die Augen und genoss das Gefühl, ihren Körper zurückzugewinnen. Sie sollte etwas essen. Wahrscheinlich war sie ohnmächtig geworden, weil sie in den letzten Tagen kaum etwas zu sich genommen hatte.
„So komme ich hier nie heraus“, schalt sie sich.
Selbstgespräche. Der erste Schritt zum Wahnsinn. Mit einem Schulterzucken verdrängte sie diesen Gedanken. Es gab Wichtigeres, als über ihre geistige Gesundheit zu sinnieren.
Essen. Das bedeutete, sie musste ihre Augen öffnen. Sich der Wirklichkeit stellen.
Die Realität war anders als erwartet. Falsch. Sie war bereits verrückt, so viel war sicher. Anders konnte sie sich die Halluzination nicht erklären, die offensichtlich von ihr Besitz ergriffen hatten. Da, nur wenige Schritte von ihr entfernt, bewegte sich ein dunkler Schatten. Das Sonnenlicht, das durch die Fenster hereinfiel, verstärkte den Kontrast. Es konnte die Dunkelheit, die diesen Schatten umgab, nicht durchdringen. Die dunkle Figur hob den Kopf.
Alexander!
Drogen. Das war die einzig plausible Erklärung. Ihr Onkel hatte Drogen unter das Essen mischen lassen.
Die Erscheinung keuchte, als hätte sie Schmerzen. Das Ganze war absurd.
„Ich … bin hier, um zu …“
Die Worte waren kaum zu verstehen. Aus irgendeinem Grund war Alexander außer Atem.
Für eine Halluzination war der Anblick zu real. Entweder war sie verrückt oder dieser Mann hatte es irgendwie geschafft, sich Zugang zu ihrem Zimmer zu verschaffen. Aber wie?
Sie erhob sich, achtete darauf, so leise wie möglich zu sein. Wenn sie bis zur Tür kam, konnte sie Rosco auf ihn hetzen. Er würde sie beschützen. Der Hund, der vor wenigen Minuten noch ihr Wächter war, könnte jetzt ihre Rettung sein.
„Bleib. Es gibt keinen Grund, sich zu fürchten.“ Seine Stimme klang kräftiger als zuvor. Trotz der beruhigenden Worte lief ihr ein Schauer über den Rücken. Seine Körpersprache sagte etwas anderes. Sagte, dass er kurz davor stand, sich auf sie zu stürzen. Irgendetwas stimmte nicht. Der Mann, mit dem sie auf dem Sommerfest ihres Onkels einige Worte gewechselt hatte, war reserviert gewesen. Beherrscht. Dieser Mensch hier wies zwar eine äußerliche Ähnlichkeit mit ihm auf, machte aber den Eindruck, als sei er von einer bösen Macht besessen.
Seine Finger ballten sich an seiner Seite zu Fäusten, die Kiefer pressten sich so fest aufeinander, dass sie die einzelnen Muskelstränge sehen konnte. Während seine Augen … nicht die eines Menschen waren.
Ohne den Blick von ihm zu wenden, machte sie einen vorsichtigen Schritt nach hinten. Nur zwei Schritte bis zur Tür. Nachdem sie tagelang in dem Raum auf und ab gelaufen war, kannte sie die Abmessungen.
„Gehe nicht. Bitte.“ In einer Geste, die diese Worte unterstreichen sollte, hob er eine Hand.
„Nenne mir einen Grund, warum ich dir trauen sollte. Du bist nicht … Irgendetwas stimmt nicht mit dir.“ Warum rede ich mit ihm? Das ist ein Fehler. Sie musste verschwinden. Diesen Raum verlassen, bevor er die Beherrschung verlor.
„Weil ich hier bin, um dich zu retten.“ Die Worte klangen pathetisch. Sie wollte lachen. Es gab nichts, wovor ausgerechnet er sie retten müsste, aber etwas ließ sie innehalten. Die Worte klangen, als spräche er die Wahrheit. Was unsinnig war, denn sie brauchte keine Hilfe. Ihr Onkel würde in wenigen Tagen zur Vernunft kommen und bedauern, was er getan hatte. Es war nicht richtig, sie gegen ihren Willen festzuhalten, aber ihr drohte keine Gefahr. Ganz sicher nicht.
Warum also glaubte sie diesem Fremden?
Torsten Halders Energie war stärker, als er angenommen hatte. Alexander merkte, wie ihm die Kontrolle entglitt. Schlimmer noch, er begann wie der Banker zu denken. Die Gedanken verursachten ihm Übelkeit. Er sah das Kalkül, das hinter all dem steckte, wusste welche Vorkehrungen Sariels Onkel getroffen hatte, um an die Substanz zu kommen, die er benötigte. Aber das war nicht das Schlimmste. Mit einem Schaudern verdrängte er das Bild. Nein!
Erstaunlicherweise erlangte er durch dieses eine Wort die Kontrolle zurück. Zumindest genug, um Halders Energie zurückzudrängen. Er verbannte sie in den hintersten Winkel seines Bewusstseins. Er würde sie benutzen. Sie kontrollieren. Aber er würde es nicht zulassen, dieser Macht erneut zum Opfer zu fallen.
Ein Blick zu Sariel hin zeigte, was er befürchtet hatte. Sie sah ihm den Kampf an, der in ihm tobte. Sie hatte Angst vor ihm. Vielleicht war es besser so. Wenn sie Angst hatte, würde sie vorsichtig sein, ihn im Auge behalten. Sollte ihm die Kontrolle entgleiten …
Nein! Das werde ich nicht zulassen!
„Wovor willst du mich retten?“ Die Frage holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Sie sah ihn an, als wolle sie in seine Seele blicken. Er musste seine Antwort gut überlegen, damit sie ihm glaubte.
Bevor er ihr eine Erklärung liefern konnte, geschah etwas, womit er nicht gerechnet hatte. Schritte näherten sich. Torsten Halder. Der Banker hatte sich schneller von dem Energieentzug erholt, als er für möglich gehalten hatte. Er war nicht allein, mindestens zwei Männer begleiteten ihn. Seine Bodyguards.
„Schnell. Wir müssen weg von hier.“
„Warum?“
Die Schritte kamen näher. Alexander konnte Halders Aura spüren. Der Banker war wütend. Mehr noch. Er war rasend. Wenn sie nicht sofort von hier verschwanden, würde Sariel diese Begegnung nicht überleben. Halder hatte eine Entscheidung getroffen. Sie sollte noch heute sterben. Der Banker hatte beschlossen, dass ihr Beitrag zu der schwarzen Hostie wichtiger war, als mit ihr ein Kind zu zeugen. Er war nicht mehr länger bereit seine Pläne aufzuschieben.
„Sie kommen. Dein Onkel und seine Männer.“
„Gut! Ich muss mit ihm reden. Ihm klarmachen, dass er kein Recht hat …“
Mit einer Handbewegung unterbrach er ihren Redefluss. „Nicht jetzt.“
„Sage mir nicht, was ich zu tun habe. Es reicht, wenn mein Onkel denkt, er könne über mein Leben bestimmen.“
Nur noch wenige Meter, dann wären sie hier. Er konnte die Vibrationen spüren. Es blieb ihm nichts anderes übrig, als ihren Willen zu beugen. Noch bevor er seine Hand erneut ausstreckte, bereute er, was er tat.
8
Das Sonnenlicht war so hell, dass sie die Augen zusammenkneifen musste. Es strömte ungehindert durch eine riesige Fensterscheibe. So muss es aussehen, wenn man gestorben und in den Himmel gekommen ist, dachte sie, während sie sich aufrichtete und die Umgebung aufmerksam musterte.
Sie befand sich in einem seltsamen Raum. Hier fehlten rechte Winkel und glatte Wände, es war wie in einer luxuriösen Höhle. Dunkelgraues Schiefergestein rahmte das Gemach ein. Neugierig sah sie sich weiter um. Auf dem Fußboden sorgten bunte Teppiche für Kontrast zu dem grauen Stein. Ein Sessel und ein Tisch, beides aus Ästen hergestellt, bildeten eine Sitzgruppe. Das Zimmer war behaglich, verströmte aber eine Atmosphäre, als sei es seit Langem nicht mehr benutzt worden.
Erneut suchte ihr Blick die Glasfront, die eine atemberaubende Aussicht bot. Wie in einem Adlerhorst konnte sie von ihrem Bett aus das Panorama der Bergwelt genießen, das sich in seiner ganzen Pracht vor ihr ausbreitete. Schneebedeckte Gipfel und ein eisblauer Himmel erstreckten