Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel. Luzia Pfyl
uns zu arbeiten.«
Frost war sich angesichts dieser enormen Feuerkraft nicht ganz so sicher, wo bei Tesla (und Baxter) Genie an Wahnsinn grenzte. Sie wollte sich nicht ausmalen, was für Folgen es hatte, wenn solche Waffen in den regulären Handel gerieten oder auf breiter Fläche vom Militär eingesetzt wurden.
»Und der andere Prototyp, der gestohlen wurde, kann das selbe?« Baxter nickte. Ihr wurde flau im Magen.
»Ich habe den Diebstahl gestern Morgen bemerkt.«
»Warum haben Sie nicht Scotland Yard verständigt?«
»Mein Boss weiß nichts davon«, gab Dr. Baxter zu und wrang zerknirscht die Hände. »Stellen Sie sich vor, was für einen Aufruhr es gäbe, wenn die Polizei hier auftauchte und die Sache breiter bekannt würde.« Er seufzte. »Der Prototyp soll auf der Weltausstellung in etwas mehr als zwei Monaten der Öffentlichkeit vorgestellt werden.«
Frost runzelte die Stirn. Sie hatte etwas darüber gelesen. Im Mai fand in South Kensington eine Weltausstellung für Erfindungen und Wissenschaften statt. Die besten Köpfe aus aller Herren Länder werden sich in London versammeln und mit ihren neuesten Erfindungen angeben. Angeblich sollen auch Mitglieder des Königshauses anwesend sein.
»Ich hatte gehofft, Sie können mir helfen, Miss Frost.« Baxter schaute sie erwartungsvoll an.
Sie überlegte eine Weile. Hier waren die Regierung und das Militär involviert. Die Sache könnte heikel werden, sehr sogar. Eigentlich wollte sie sich aus politischen Angelegenheiten heraushalten.
Aber ihre Neugierde war geweckt. Und sie musste zugeben, dass Dr. Baxter ihrem Ego schmeichelte, weil er ausgerechnet sie anheuern wollte. »Wann haben Sie die Waffe zuletzt gesehen?«
»Freitagabend. Ich habe wie immer den Tresor abgeschlossen. Über das Wochenende ist niemand in der Fabrik.«
»Heute ist Dienstag«, meinte Frost und verschränkte die Arme vor der Brust. »Sie sagten, Sie hätten den Diebstahl gestern bemerkt. Warum rufen Sie mich erst jetzt?«
»Ich hatte geglaubt, dass ich den Prototypen nur verlegt habe. Ich bin manchmal so vertieft in meine Arbeit, dass ich etwas zerstreut werde«, gab Baxter zu. Frost verzog den Mund. Typisch Wissenschaftler, dachte sie.
»Gibt es Verdächtige? Einer Ihrer Mitarbeiter vielleicht? Wer wusste sonst noch, dass Sie hier diese Prototypen herstellen, und wer hatte Zugang?«
Baxter ließ sich seufzend in einen Stuhl fallen und fuhr sich durch die Haare, was sie noch wirrer abstehen ließ. »Zu viele, fürchte ich. Wir haben dreiundsechzig Wissenschaftler, Mechaniker, Dampf- und Aethertechniker, mich eingeschlossen. Dann sind da noch das Wachpersonal und Mr. Sanderson, der Sekretär meines Bosses.« Er schaute auf. »Aber ich kenne meine Leute, Miss Frost. Wir arbeiten für das Königshaus und sind ihm treu ergeben.«
Frost schnaubte. »Es gibt Menschen, die würden für Geld ihre eigene Großmutter verkaufen.« Das war schlecht, sehr schlecht sogar. Es gab viel zu viele Verdächtige. Jemand von innen könnte die Waffe gestohlen oder die Information, wie man an sie rankam, nach außen weitergegeben haben. Die Sicherheitsvorkehrungen waren ziemlich lasch für eine geheime Waffenfabrik. So oder so stand sie vor dem Problem, dass jemand da draußen mit einer sehr gefährlichen Waffe herumlief.
»Fünfhundert«, sagte sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Dr. Baxter hob fragend die Augenbrauen. »Als Vorauszahlung. Weitere eintausend werden fällig, sobald ich die Waffe bei Ihnen abliefere.« Das war sehr viel Geld. Davon könnte eine mittelständische Familie zwei Jahre leben. Doch der Auftrag würde ein verdammt heißes Pflaster werden und ihr womöglich Schwierigkeiten verursachen, gegen die sie sich lieber absicherte. Außerdem stand das Königshaus dahinter. Die konnten es sich leisten.
Baxter sprang aus dem Stuhl hoch. Sein Gesicht zeigte eine rasche Abfolge an Emotionen. »Sie werden mir helfen, den Prototypen zu finden? Sie nehmen den Auftrag an? Das ist wunderbar, Miss Frost! Aber fünfhundert Pfund?«
»Im Voraus. Das sind meine Bedingungen. Sie arbeiten für das Königshaus und kennen bestimmt ein paar Leute, die Ihnen das Geld leihen können, Dr. Baxter.« Frost lächelte. »Ein Auftrag wie Ihrer verursacht eine Menge Extrakosten für mich, Sie verstehen.« Mal abgesehen von dem Risiko, das sie einging. Wer auch immer diese Waffe gestohlen hatte, würde nicht zimperlich sein, sie auch einzusetzen.
Mit leiser Genugtuung sah sie, wie Baxters Abwehr in sich zusammenfiel. »Also gut. Ich habe keine andere Wahl. Aber ich hoffe, Sie sind gut. Ich brauche den Prototypen bis Ende der Woche zurück, denn an diesem Samstag findet eine private Demonstration für einige sehr wichtige Herren statt.«
Beinahe hätte Frost den Handel verworfen. Bis Ende der Woche? Es war Dienstagnachmittag! Sie hatte nur etwas mehr als drei Tage Zeit, den Prototypen zu finden. »Dann mache ich mich wohl besser gleich an die Arbeit«, sagte sie und versuchte ein Lächeln aufzusetzen.
3.
Es regnete immer noch in Strömen, als die Kutsche in der Leather Lane direkt vor der Agentur anhielt. Frost klemmte ihren Regenschirm unter den Arm und stemmte die in Paketpapier eingewickelten Akten. In Gedanken dankte sie Sanderson noch einmal, dass er ihr die firmeneigene Kutsche zur Verfügung gestellt hatte, um zurück in die Agentur zu kommen. Es wäre die reinste Plackerei gewesen, hätte sie die Straßenbahn nehmen müssen. Die Tube war zwar trockener, aber bei Weitem dreckiger und noch dazu gefährlicher seit dem Streik. Die letzte Fahrt vor ein paar Tagen, als sie vor einer Bande chinesischer Schläger geflüchtet war, hatte ihr gereicht. Außerdem kam sie wegen mangelndem Kleingeld viel zu selten in den Genuss einer Kutschfahrt durch das regnerische London. Das war den reicheren Bürgern vorbehalten.
Mit raschen Schritten eilte sie die kurze Treppe hinauf und drückte mit dem Ellbogen die Türklinke auf. »Helen, ich bin wieder da!«, rief sie und schloss mit dem Fuß die Tür hinter sich. Sie stellte den Schirm an die Wand und schaute auf. Da saß jemand an ihrem Schreibtisch und las Zeitung. Mit den Stiefeln auf dem Tisch.
»Mr. Payne«, sagte sie so freundlich wie möglich und ließ dabei das schwere Aktenbündel auf den Tisch fallen. Jackson Payne zuckte zusammen und erschrak so sehr, dass er beinahe rückwärts vom Stuhl gekippt wäre. »Wie schön, dass Sie mich besuchen kommen.«
Payne schaute missmutig zu ihr auf und versuchte, die zerknüllten Seiten der Zeitung zu glätten. »Haben Sie Steine eingekauft, Miss Frost?«
»Anscheinend geht es Ihnen besser, Ihr amerikanischer Charme ist wieder da«, erwiderte sie über die Schulter, während sie sich aus dem Mantel schälte. Sie reichte ihn dem Hausmädchen, das soeben aus der Küche kam. »Helen, machst du uns Tee, bitte?«
»Sehr wohl, Miss. Ich habe frische Scones gebacken.«
»Wunderbar.« Frost nahm ihre Tasche zur Hand und ging hinüber zu einem der Bücherregale neben dem Schreibtisch. Dort ging sie in die Hocke und fuhr mit dem Finger den Buchrücken entlang. Aus dem Augenwinkel bemerkte sie, dass Payne sie beobachtete. Sie fand die richten Bücher und zog daran.
»Ein seltsames Versteck für einen Tresor«, meinte Payne.
»Nicht im Geringsten«, gab Frost zurück und drehte am Zahlenschloss. »Die meisten Einbrecher suchen einen Tresor auf Augenhöhe, weil sie sich da auch in den meisten Fällen befinden. Ich mag Königin Victoria, doch ich vertraue ihr mein Geld nicht an.« Mit einem Schmunzeln deutete sie auf das Porträt, das hinter Payne über dem Schreibtisch hing.
»Viel zu offensichtlich«, stimmte er zu. »Aber Bücherregale ebenfalls.«
»Nicht unterhalb der Knie.« Frost klopfte auf den festen Block aus Büchern, der neben ihr auf dem Boden stand. »Die habe ich eigenhändig zusammengeklebt. Echte Bücher. Ich fand diese Blöcke aus falschen Pappmacheewälzern schon immer viel zu amateurhaft.« Die Tür des Tresors quietschte, als sie daran zog. Die gähnende Leere, die ihr entgegenkam, versuchte sie zu ignorieren. Ein paar wichtige Papiere befanden sich im Tresor, mehr nicht.
Sie holte die beiden