Frost & Payne - Die mechanischen Kinder Die komplette erste Staffel. Luzia Pfyl

Frost & Payne - Die mechanischen Kinder  Die komplette erste Staffel - Luzia Pfyl


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hatte sich der Diebstahl mittlerweile herumgesprochen. »Haben Sie die Waffe gestohlen, Mr. Giles?«

      »Nein.« Er hob die Hände. »Auch wenn ich zugeben muss, die Möglichkeit dazu gehabt zu haben. Ich bin nicht der einzige hier unten, der von anderen Parteien angesprochen worden ist.«

      Payne wurde hellhörig. »Erzählen Sie mir mehr.«

      »Ich dachte mir nichts dabei. Es ist normal, dass Fabrikanten sich gegenseitig ausspionieren. Und wenn jemand den Prototypen haben wollte, so hat er eine Möglichkeit gefunden, wie wir beide wissen. Ich weiß von Henry Walker zum Beispiel, dass jemand ihm eine sehr hohe Summe angeboten hatte.«

      Der Name kam Payne nicht bekannt vor. Entweder war dieser Henry Walker auf der aussortierten Beige gelandet, oder er gehörte zu Frosts Verdächtigen. »Wo finde ich diesen Mann?«

      Giles zuckte mit den Schultern. »Ich habe ihn seit Montag nicht mehr gesehen. Vielleicht ist er krank? Und jetzt entschuldigen Sie mich bitte, Mr. Payne, ich habe zu tun.«

      Payne überließ Giles seiner Arbeit und ging zurück auf den Gang hinaus. Rasch sah er seinen Aktenstapel durch, doch er fand keinen Henry Walker. Er notierte den Namen in sein Notizbuch.

      Die restlichen Gespräche verliefen beinahe genauso erfolglos. Niemand konnte oder wollte ihm genauere Auskunft erteilen, und alle gaben an, mit der Arbeit in Verzug zu sein und deswegen Überstunden zu machen. Und sie alle meinten, von jemand anderem gesehen worden zu sein während dieser Zeit.

      »Es ist, als würden sie alle unter einer Decke stecken«, brummte Frost eine Stunde später, als sie die Treppen hinauf in die normale Werkhalle stiegen.

      »Sie arbeiten für eine geheime Firma«, erwiderte Payne, »wir können kaum erwarten, dass man uns mit offenen Armen empfängt.«

      »Trotzdem. Was ist mit diesem Mann, der seit Montag verschwunden ist?«

      Das helle Tageslicht blendete sie nach der langen Zeit im künstlichen Aetherlicht unter Tage. Payne kniff die Augen zusammen. »Henry Walker, einer der Dampftechniker.«

      »Henry Walker ist soeben auf der Verdächtigenliste weit nach oben gerutscht. Wir haben ihn übersehen, weil er zur normalen Zeit seinen Arbeitsplatz verlassen hat. Damit haben wir es mit mindestens zwei Personen zu tun.«

      Payne stimmte zu und runzelte die Stirn. Sie gingen unter dem Viadukt hindurch, der in den London Bridge Bahnhof mündete. Als ein Zug über ihnen durchfuhr, wurde es für einen Moment so laut, dass sie sich kaum verstehen konnten. Der stechende Geruch von brennender Kohle und Rauch stieg ihnen in die Nasen.

      »Wir wollten noch mit Sanderson, dem Privatsekretär, reden«, rief Frost durch den Lärm. »Er hat freien Zugang zur Fabrik und kann kommen und gehen, wie es ihm beliebt.«

      Payne nickte. »Zwei der Arbeiter haben bestätigt, dass Sanderson an dem Abend dort war.«

      Sie machten rechtsum kehrt und gingen zurück. Neben der Fabrikhalle stand ein einfacher Backsteinbau, der als Bürogebäude diente. Das Innere war jedoch alles andere als einfach gehalten. Die Wände waren mit Mahagoni getäfelt, und dicke, lange Teppiche mit orientalischen Knüpfungen bedeckten den Boden. Die wenigen Möbel, die sie sahen, waren ebenfalls aus Mahagoni. Aetherlampen in gusseisernen Halterungen tauchten alles in warmes Licht.

      »Jemand ist sehr reich«, murmelte Frost, als sie sich umschauten. »Und zeigt diesen Reichtum gern den kleinen Arbeitern.«

      Payne deutete auf eine Tür, auf der Sandersons Name stand. Frost klopfte an, doch sie bekamen keine Antwort. Stattdessen hörten sie einen Schrei.

      Ohne zu zögern öffnete Frost die Tür und stoppte mitten in der Bewegung. Payne wäre beinahe mit ihr zusammengeprallt, doch er sah sofort, warum sie gestoppt hatte.

      Sanderson stand hinter dem Schreibtisch und zielte mit einem Revolver auf die Stirn eines Mannes, der aus dem Sessel vor dem Tisch aufgesprungen war. Der Sessel lag umgekippt auf dem Boden, und der Mann hatte ein Messer in der Faust.

      Das Geräusch von einer zuschlagenden Tür riss ihn aus dem Schlaf. Das Licht einer hellen Aetherlampe blendete ihn schmerzhaft, als er blinzelnd die Augen öffnete. Sein Kopf fühlte sich schwammig an, und er war sich beinahe sicher, noch vor einer Minute über den Markt geschlendert zu sein.

      Als Schritte sich näherten, wollte er sich aufrichten. Doch seine Arme bewegten sich nicht. Fesseln? Panik stieg in ihm auf, doch alles Zerren nützte nichts. Er lag auf einem kalten Tisch, mit Gurten festgemacht.

      Die Schritte kamen abermals näher und hörten dann auf.

      »Wo bin ich?«, verlangte er zu wissen. »Warum bin ich gefesselt?«

      »Sei still, Nummer 23.«

      »Mein Name ist David, David Cassidy!«

      »Dein Name interessiert mich nicht«, sagte der Mann im weißen Kittel, der sich nun neben dem Tisch mit etwas, das er nicht sehen konnte, beschäftigte. Er hörte das Klimpern von Besteck. Dann drehte der Mann sich um und zog ein in Leder gebundenes Tagebuch aus dem Kittel. Er musterte ihn eingehend, fühlte an Davids Handgelenk nach dem Puls. Dann machte er sich Notizen.

      »Sind Sie ein Arzt?« Er bekam keine Antwort. »Warum bin ich hier? Lösen Sie die Fesseln, sofort!«

      »Erinnere mich daran, beim Nächsten die Dosis des Chloroforms zu erhöhen, Nummer 23. «

      »Beim Nächsten?« David schaute sich erst jetzt richtig um. Der Raum war spärlich beleuchtet. Wände und Boden waren mit weißen Keramikplatten getäfelt. Ein seltsamer Sessel, der irgendwie einem Barbierstuhl ähnelte, stand in der Nähe. Auch da befanden sich Schnallen und Fesseln. Auf einem anderen Tisch standen merkwürdige Apparaturen. Metall schimmerte. In Gläsern blubberten seltsam gefärbte Flüssigkeiten über Bunsenbrennern.

      Das hier war kein Arzt, wurde es ihm schlagartig bewusst. Er war tatsächlich noch vor Kurzem über den Markt geschlendert. Man hatte ihn entführt. Sein Herz begann zu rasen. Feuchtkalter Schweiß trat ihm auf die Stirn.

      »Wie alt bist du, Nummer 23?«

      »Vierzehn«, sagte er nach kurzem Zögern. Doch der kalte Blick des Mannes sagte ihm, dass er besser sofort antwortete. Solche Männer verhießen meist nichts Gutes, seiner Erfahrung nach.

      »Krankheiten?«

      Er schüttelte den Kopf, der Mann machte sich Notizen. Dann musterte der Mann ihn lange.

      »Ich glaube, du bist kräftig genug für ein Organ. Nummer 20 bis 22 waren etwas enttäuschend gewesen, kränklich sogar. Wollen wir dann gleich loslegen?«

      Davids Augen weiteten sich vor Schrecken, als er die Säge sah.

      Das verwinkelte Backsteingebäude des Observatoriums hob sich stark von den Gerippen der kahlen Bäume ab. Die Anhöhe, auf der es stand, überragte die marine Universität von Greenwich und den Park dazwischen. Die schwarze Kuppel in der Mitte des Observatoriums beherbergte das Planetarium, in das täglich Besucher strömten. Sie alle wollten die Wunder des Universums entdecken.

      Cecilia ließ das imposante Haus links liegen und ging über den Vorplatz zum zweiten Gebäude auf der Anhöhe. Auch dieses hatte eine Kuppel, jedoch mit weiß gemalten Stahlplatten, die sich mechanisch öffnen und schließen ließen. Dies war das eigentliche Observatorium, denn in der Kuppel befanden sich das riesige Teleskop und feinste Messgeräte.

      Tief in Gedanken versunken achtete Cecilia nicht darauf, was sich vor ihr auf dem Boden befand. Mit lautlosen Lippenbewegungen ging sie im Kopf einen Ablauf von Formeln durch. Als sie bemerkte, dass sie daran vorbeigelaufen war, hielt sie inne und ging zurück.

      Die schnurgerade Linie aus Metall durchschnitt die Steinplatten des Platzes ungeachtet deren Ausrichtung. Cecilia ging zurück zum Anfang der Linie und setzte ihren Fuß darauf. Schritt für Schritt ging sie auf der Linie, dem Nullmeridian, entlang, bis sie die Uhr erreichte,


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