Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann

Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann


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da draußen sehen, dass Totenbändiger ganz normal sind und keine Freaks, vor denen man Angst haben muss.«

      Unschlüssig kaute Ella auf ihrem Daumennagel herum.

      Einerseits war die Vorstellung, eine Art Aushängeschild und Vorzeige-Totenbändigerin zu sein, nicht besonders reizvoll. Andererseits durfte man aber auch nicht darauf warten, dass immer andere etwas taten, um die Welt ein bisschen besser zu machen. Bisher hatten ihre Eltern und ihre Granny mit einigen anderen für mehr Rechte und eine bessere Zukunft gekämpft. Aber sie war kein kleines Kind mehr, und wenn Teagan ihr die Chance bot, viele junge Leute zu erreichen, konnte sie so vielleicht auch ein bisschen was bewirken. Vor allem, wenn sie Videos drehten, in denen sie zeigten, dass die Vorurteile gegenüber Totenbändiger unbegründet und oft einfach nur lächerlich und dämlich waren.

      Sie blickte zu Cam. »Was denkst du?«

      Er bedachte sie mit einer hochgezogenen Augenbraue. »Wieso fragst du mich? Du machst doch am Ende sowieso das, was du willst.«

      Sie grinste. »Aber das heißt ja nicht, dass ich nicht trotzdem gerne höre, was du so denkst. Du weißt doch: Quiet people have the loudest minds.«

      Er grinste zurück. »Ich denke, du solltest das machen, was sich für dich richtig anfühlt.«

      Teagan hatte ihr Smartphone aus der Tasche ihres Blazers gezogen, steckte es jetzt aber wieder weg. »Du musst das nicht sofort entscheiden. Schlaf drüber, wenn du willst. Ich kann dir meine Videos auch erst mal zeigen. Wollen wir in den Medienraum gehen? Am Laptop haben wir einen größeren Bildschirm.«

      Wieder sah Ella zu Cam.

      Der verdrehte die Augen. »Geh. Ich hab absolut nichts dagegen, ein paar Minuten allein zu sein. Also hau ruhig ab. Ich komme klar.«

      »Ja, das weiß ich.« Sie drückte kurz seine Hand. »Dann sehen wir uns nachher in Bio, okay?«

      »Yep. Bis später.«

      Er sah Ella, Teagan und ihren Freundinnen noch kurz hinterher, als sie Richtung Medienraum verschwanden, dann wandte Cam sich um und stieß die Tür auf.

      Die Spätsommersonne schien zwischen dicken weißen Wattewolken auf den Schulhof herab und es war angenehm warm. Überall saßen kleinere und größere Gruppen auf den Bänken und an den Picknicktischen zusammen, lachten, quatschten und aßen Lunch, den sie sich entweder von zu Hause mitgebracht oder in der Cafeteria der Schule geholt hatten. In einer Ecke spielten ein paar der jüngeren Kids Fußball, in einer anderen plärrte ein cooler Retro-Ghettoblaster einen Popsong, zu dem ein paar Mittelstufemädchen irgendeine Choreografie einübten.

      Cam kannte Schulalltag bisher nur aus amerikanischen Teenyserien, aber das hier kam der Fiktion erstaunlich nahe. Nur mit mehr Einheitskleidung.

      Er ließ die trubeligen Tische nahe der Cafeteria hinter sich und lief zu einem der Bäume am Rand des Schulhofes. Hier war niemand und ein bisschen Alleinsein tat jetzt verdammt gut. Er setzte sich in den Schatten, trank ein paar Schlucke aus seiner Wasserflasche und lehnte sich mit geschlossenen Augen gegen den Baumstamm.

      Keine anderen Menschen.

      Der Lärm seiner Mitschüler drang zwar zu ihm herüber, doch das war okay.

      Die waren in ihrer Welt, er in seiner.

      Alles perfekt.

      »Hey Freak!«

      Oder auch nicht.

      Der höhnische Tonfall in der Stimme ließ nichts Gutes erahnen und Cam öffnete alarmiert die Augen.

      Vier Jungs schlenderten betont lässig auf ihn zu, doch die Blicke, mit denen sie ihn musterten, ließen keinen Zweifel daran, dass sie auf Ärger aus waren.

      »Was machst du hier?« Ein dunkelhaariger Lockenkopf schien der Anführer der kleinen Gang zu sein. Cam kannte ihn und einen der anderen aus seinem Mathekurs.

      »Nichts. Nur sitzen.«

      »Ach ja?« Ein heimtückisches Grinsen trat in das Gesicht des Lockenkopfs. »Also ich finde ja eher, du bedrohst uns. Und du weißt ja, was wir mit jemandem wie dir machen dürfen, wenn wir uns bedroht fühlen.«

      Cam presste die Kiefer aufeinander und spürte, wie Wut in seinem Inneren zu brodeln begann.

      Genau wegen solcher Dreckskerle hasste er Menschen.

      Finster starrte er zurück. »Tut mir leid, wenn du jemanden, der einfach nur friedlich unter einem Baum sitzt, nicht von jemandem unterscheiden kannst, der dich bedroht. Ich will keinen Ärger, also geht einfach und lasst mich in Ruhe.«

      In Lockenkopfs Augen blitzte es gefährlich auf und er rückte Cam noch ein paar Schritte näher auf die Pelle.

      »Weißt du, unsere Ruhe wollen wir auch, aber leider hat man Freaks wie dich an unsere Schule gelassen. Und egal, was für tolle Sprüche ihr von euch gebt – Freaks bleiben Freaks. Und die wollen wir hier nicht, klar?«

      Cam verzichtete darauf, dem Mistkerl zu erklären, dass sie ihre blöde Schule liebend gern für sich hätten behalten können und er sich kein bisschen darum riss, gemeinsam mit Vollidioten wie ihnen in einem Klassenzimmer sitzen zu müssen. Doch erstens ging das diesen Blödmann nichts an und zweitens ging es hier ums Prinzip: Er ließ sich nicht von irgendwelchen Armleuchtern fertigmachen, die sich für was Besseres hielten, nur weil sie zufällig nicht als Totenbändiger zur Welt gekommen waren.

      »Und was genau willst du jetzt gegen uns tun?«, fauchte er deshalb zurück.

      Lockenkopf schüttelte fast mitleidig den Kopf. »Bist du ein bisschen dumm? Das hab ich doch gerade gesagt. Du hast uns bedroht. Ich werde Dave gleich eine blutige Lippe verpassen und wir behaupten, das warst du. Wir wollten uns nur ein bisschen mit dir unterhalten, da bist du völlig grundlos ausgerastet. Auch wenn ihr hier auf ganz harmlos und nett macht, weiß doch schließlich jeder, dass Totenbändiger total unkontrolliert sind und man euch nicht trauen kann. Keiner wird euch mehr hier haben wollen und ihr fliegt achtkantig wieder raus.« Wieder blitzten seine Augen gefährlich. »Wer weiß, vielleicht machen wir dich sogar kalt. Immerhin hast du uns angegriffen, da steht es uns zu, dass wir uns wehren.«

      Cams Fäuste ballten sich, ohne dass er etwas dagegen tun konnte, und Lockenkopf lächelte hämisch, als er das sah.

      »Was denn? Willst du jetzt etwa tatsächlich auf uns losgehen?« Er griff in seine Hosentasche und ließ ein Klappmesser aufschnappen.

      Erschrocken starrte Cam auf die Klinge.

      »Heb deine Fäuste gegen mich und ich schwöre dir, ich kill dich sofort«, zischte Lockenkopf eiskalt und Cam glaubte ihm jedes verdammte Wort.

      »Halt die Klappe, Topher. Steck das Messer weg und lass ihn in Ruhe.«

      Die Stimme ließ Lockenkopf und seine Gang herumfahren. Ein blonder Typ, den Cam aus seinen Vormittagskursen kannte, war hinter ihnen aufgetaucht. In seiner Hand hielt er ein Smartphone, mit dem er aufzeichnete, was sich hier gerade abspielte.

      »Ich hab alles auf Video und solltest du Camren oder seinen Geschwistern irgendeinen Scheiß andichten wollen, gehe ich zur Carroll. Wenn sie das hier sieht, weiß sie, dass ihr nur irgendwas inszeniert habt, und dann sind es mit Sicherheit nicht die Hunts, die achtkantig hier rausfliegen.«

      Tophers Hand krallte sich um den Griff seines Messers und seine Gesichtsmuskeln verrieten, wie wütend er war. Deshalb gab er sich auch nicht so leicht geschlagen.

      »Ernsthaft, Evan? Ist das so ein Schwulending? Glaubst du, der Kleine macht mit dir rum, wenn du ihm den Arsch rettest? Weil Totenbändiger es mit jedem treiben?« Er schnaubte abfällig. »Bei dem Hübscheren der beiden hast du ja wohl Pech gehabt, was? Den hat Stephen sich schon gekrallt. Versuchst du deshalb jetzt dein Glück bei dieser kleinen Vogelscheuche? Wie hoffnungslos untervögelt kann man denn sein, dass man mit einem Totenbändiger-Freak rummachen will?«

      Evan schenkte ihm ein ironisches Lächeln und machte eine auffordernde Handbewegung,


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