Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel. Nadine Erdmann

Die Totenbändiger - Äquinoktium - Die gesamte erste Staffel - Nadine Erdmann


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bei uns suchen, ein sicheres Zuhause bieten können.«

      Drew sah zu genau den Mädchen in der Runde, die Carlton bereits zuvor ins Visier genommen hatte. »Master Carlton hat uns erzählt, dass es hier einige Schülerinnen gibt, die sowohl die Bildung, als auch die Geduld und Kompetenz mitbringen, jüngere Kinder unterrichten zu können. Das habt ihr bewiesen, indem ihr den unteren Klassen dieser Akademie bei den Hausaufgaben helft oder Nachhilfeunterricht gebt.«

      Ernsthaft?

      Jaz zog eine Augenbraue hoch und konnte sich nicht mehr länger zurückhalten. »Okay, das stimmt zwar, aber nur weil ich zwei Jungs geholfen hab, das Bruchrechnen zu verstehen, heißt das ja noch lange nicht, dass ich Mathe unterrichten kann. Ich hab keine Ahnung von Pädagogik und Lehrplänen und was man als Lehrerin sonst noch so draufhaben muss.«

      Anya lächelte. »Aber wie du selbst sagst, haben die beiden das Bruchrechnen mit deiner Hilfe verstanden. Das ist es, was zählt. Manche Menschen haben ein natürliches Talent für bestimmte Dinge. Für einige von euch trifft das offensichtlich zu«, sagte sie dann wieder an alle gewandt. »Ihr habt eine natürliche Begabung dafür, Kindern etwas beizubringen. Dieses Talent solltet ihr nutzen. Und über Lehrpläne müsst ihr euch keine Sorgen machen. Das alles würde euch bei eurer Arbeit in Newfield natürlich zur Verfügung stehen. Und unsere Kinder freuen sich schon sehr auf euch.«

      »Das heißt, ihr seid hier, um zu fragen, wer von uns Lust hat, mit euch nach Newfield zu gehen, um dort den Unterricht an eurer Grundschule zu übernehmen?«, fragte Bethany, ein pummeliges und ziemlich gemütliches Mädchen aus Sarahs Jahrgang.

      »Exakt. Damit würdet ihr einen unglaublich wertvollen Beitrag für unsere Gemeinschaft leisten. Im Gegenzug bieten wir euch dafür ein neues Zuhause ohne Angst oder Sorgen um eure Zukunft.«

      »Aber was ist mit unseren Abschlüssen?«, fragte Paula, die Musterschülerin der elften Klasse.

      »Die mittlere Reife habt ihr ja bereits«, sagte Anya. »Falls die eine oder andere von euch sich also entschließt, die Oberstufe abzubrechen, wäre das überhaupt kein Problem. Falls du aber trotzdem dein Abitur machen möchtest, würden wir dir nach deinen Pflichten mit den Kindern den Freiraum ermöglichen, deinen Abschluss als Fernstudium im Homeschooling zu machen. Die Aufgaben dazu gibt es im Internet und die Lehrer der Akademie würden dir bei Fragen per E-Mail oder Videokonferenz zur Verfügung stehen. Wie gesagt«, sie schenkte Paula und dann auch Jaz ein versicherndes Lächeln, »wir brauchen gut ausgebildete Leute und unterstützen euch voll und ganz.«

      Dann blickte sie zu den anderen Mädchen und streichelte über ihren Babybauch. »Wir schätzen allerdings auch anderen Einsatz, denn natürlich soll unsere kleine Gemeinschaft weiter wachsen. Ich bin bereits zum dritten Mal schwanger und beide Kinder, die ich zur Welt gebracht habe, sind starke Totenbändiger.« Sie strahlte stolz vor Glück. »Auf der Farm ist es einfach, einen Partner zu finden. Und falls ihr keinen wollt oder lieber eine Partnerin mögt, ist das auch kein Problem. Unsere Männer spenden auch gerne Leben und unsere Ärztin ist bei der Empfängnis behilflich.«

      Jaz konnte sie nur ungläubig anstarren und wusste nicht, ob sie ihren Ohren gerade wirklich trauen wollte.

      »Wichtig ist, dass unsere Gemeinschaft wächst«, übernahm nun wieder Drew. »Ich denke, wir sind uns alle einig, dass wir mehr Totenbändiger in diesem Land brauchen, um besser gegen unsere Unterdrückung durch die unbegabte Mehrheit vorgehen zu können.« Er sah erneut zu Sarah, Paula, Sally, Bethany, Jessica und Jaz. »Ihr sechs seid junge, gesunde Frauen. Wie Anya und einige andere Frauen in Newfield könnt ihr entscheidend dazu beitragen, dass die Zahl der Totenbändiger in diesem Land wächst.«

      Jetzt hatte Jaz endgültig das Gefühl, in einem völlig falschen Film gelandet zu sein. Einem, bei dem sich ihre Fußnägel aufrollten und die Nackenhaare sträubten.

      »Als was denn bitte? Gebärmaschinen?! Mann, einige hier sind gerade erst sechzehn!« Ihr war klar, dass sie besser den Mund gehalten hätte, aber das hier war mal wieder einer dieser Fälle, in denen das einfach nicht ging.

      Anya lächelte nachsichtig. »Das Alter sagt nichts über die Reife einer Person aus. Die eine oder andere von euch hegt vielleicht schon jetzt den Wunsch nach einer eigenen Familie.« Sie blickte zu Sarah, Bethany und Sally, die alle Gesichter machten, als wären sie nicht abgeneigt. »Und wie gesagt, ihr müsst euch nicht mit einem Mann einlassen, wenn ihr euch dazu noch nicht bereit fühlt. Auch wenn es auf der Farm einige wirklich nette junge Männer gibt.«

      Anya zwinkerte den dreien vielsagend zu und Jaz konnte nur den Kopf schütteln, als sie das Funkeln in Sarahs Augen sah. Vermutlich wartete in ihrer Vorstellung schon der Prinz mit dem weißen Pferd voll inbrünstiger Sehnsucht vor den Toren der Farm auf sie, um sie leidenschaftlich in Empfang zu nehmen.

      Wieder streichelte Anya ihren Bauch. »Leben zu schenken, ist das absolut Großartigste, was ich bisher erleben durfte. Das sollte sich keine von euch entgehen lassen. Und solltet ihr euch entscheiden, nach Newfield zu kommen, habt ihr keinerlei Existenzsorgen mehr. Die Gemeinschaft sorgt für Unterkunft und Verpflegung, ihr bekommt jegliche Unterstützung, die junge Mütter brauchen, und ihr müsstet euch keine Gedanken mehr darüber machen, wie ihr euch nach eurem Abschluss hier in London durchschlagen wollt. Auch wenn sich hier in der Stadt im Moment einiges wandelt, wird es trotzdem in den nächsten Jahren auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt für uns Totenbändiger weiter schwierig bleiben. In Newfield gibt es keine Sorgen um ein sicheres Zuhause. Es gibt auch keine finanzielle Ängste. Wir kümmern uns umeinander. Und jeder, der einen Beitrag zu unserer Gemeinschaft leistet, bekommt dafür unglaublich viel zurück.«

      Jaz wollte schon wieder den Mund aufmachen, doch der Blick ihres Schulleiters verriet ihr, dass es besser war, zu schweigen.

      Carlton bohrte seinen Blick noch einen Moment länger warnend in Jaz, als wollte er sicherstellen, dass sie auch wirklich den Mund hielt, dann wandelte sich seine Miene wie auf Knopfdruck und er wandte sich mit einem weltmännischen Lächeln an seine beiden Besucher.

      »Vielen Dank, Anya und Drew, für euren Bericht. Ich bin mir sicher, einige hier brauchen jetzt etwas Zeit, um über euer großzügiges Angebot nachzudenken. Außerdem möchte die eine oder andere vielleicht auch lieber in einem etwas privateren Rahmen noch einmal alleine mit euch sprechen.«

      Jaz sah, wie Sarah, Bethany und Sally nickten.

      »Deshalb hebe ich diese Versammlung nun auf, würde es aber begrüßen, wenn ihr denjenigen, die noch Fragen haben, weiter zur Verfügung steht.«

      »Natürlich«, versicherte Anya sofort. Sie bedachte Sally, Sarah und Bethany mit einem Lächeln. »Wir können uns gerne zusammensetzen und ihr fragt alles, was ihr wissen wollt.«

      Eifrig nickten die drei.

      »Sehr schön.« Carlton erhob sich. »Geht zum Unterricht in eure Klassen oder bleibt hier, wenn ihr noch Redebedarf mit Anya und Drew habt«, sagte er dann an seine Schüler gewandt. »Auch ich werde mit einigen von euch noch ein persönliches Gespräch führen.«

      Er nahm Jaz ins Visier und sein Blick wurde deutlich härter, während seine Stimme pure Freundlichkeit blieb.

      »Jazlin, du kommst bitte als Erste mit in mein Büro.«

      Jaz presste die Kiefer aufeinander. »Natürlich, Master Carlton.«

      Allgemeine Aufbruchsstimmung setzte ein und Jessica warf Jaz einen mitleidigen Blick zu, als sie sich mit David hinter Blaine, Asha und Leroy Richtung Klassenzimmertrakt aufmachte. Sarah, Bethany und Sally rückten dagegen in kleiner vertrauter Runde mit Anya und Drew zusammen.

      Jaz seufzte und hatte ein ganz mieses Bauchgefühl, als sie ihrem Schulleiter folgte und den Versammlungssaal verließ.

      Eine halbe Stunde später schloss Jaz die Tür zu ihrem Zimmer, lehnte sich dagegen und schloss die Augen. Ihr Kopf pochte


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