Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan
würde aufgelöst werden. Tone stand an Deck und summte tonlos vor sich hin, als er die Küste zurückweichen sah. Wieder in Frankreich, setzte er sich gleich an neue Denkschriften, drängte auf einen zweiten Versuch. Über ihm, im Labyrinth der französischen Politik, wand und krümmte sich das Direktorat. Hoche, seine größte Hoffnung, starb. Seine Denkschriften nahmen zu an Anzahl und Umfang, seine Forderungen für Irland wurden immer hektischer. Der neue General der Stunde, Buonaparte, gewährte ihm eine Unterredung, ein hagerer, bläßlicher Mann mit wütenden dunklen Augen, der ihn ungerührt ausreden ließ und dann fortschickte. Andere Vertreter der United Irishmen schlossen sich der kleinen Kolonie irischer Landflüchtiger an, Lewines und Napper Tandy aus Dublin, Bartholomew Teeling aus Belfast. Edward Fitzgerald und Arthur O’Connor trafen sich in Hamburg mit französischen Sendboten. Sie erzählten über Streitereien im Dubliner Direktorat. Belfast wollte einen Aufstand im Herbst 97, Dublin bestand auf dem folgenden Frühling. Tom Emmet wollte nicht ohne französische Hilfe handeln, O’Connor mit oder ohne losschlagen. Truppen wurden nach Wicklow und Wexford verlegt, und die United Men wurden in Belfast und Antrim verfolgt. Sie konnten nicht länger warten.
Tone ließ nicht locker, wandte sich jeden Tag an Mitglieder des Direktorates. Vielleicht, sagten sie ihm. Vielleicht eine begrenzte Invasion, mit französischen Soldaten und niederländischen Schiffen. Im Herbst 1797 wurde die niederländische Flotte vor Camperduin zerstört. Eine Armee wurde an der Küste zusammengezogen, und Buonaparte erhielt das Oberkommando. Tone erreichte eine zweite Unterredung mit ihm, holte seine Karten und Papiere hervor und faltete sie auseinander. Wieder lauschte Buonaparte schweigend, seine dunklen Augen beobachteten Tones dünne, rasche Hand, die über die Kartoffel Irland huschte, die Küstenlinien, Buchten, tiefe Flüsse zeigte. »Ihr seid ein sehr mutiger Mann«, sagte er zu Tone in einer flachen, tonlosen Stimme, die Tones eigener sehr ähnlich war. Eine sinnlose Unterredung: Buonaparte, der sich zu einer ägyptischen Expedition entschlossen hatte, entzog der Englandarmee in aller Stille Regimenter. Aber trotz dieses Wissens ließ Tone nicht locker. Er war für das Direktorat eine Art Witz geworden. »Colonel Ire«, »der wilde Ire« war aber nicht nur ein Witz, denn er sprach für ein Volk am Rande eines Aufstandes.
Dann, Anfang Mai, erreichte die Nachricht Paris, daß die Rebellion für den 24. dieses Monats geplant war. Zwei weitere Botschaften trafen ein, dann brach die Verbindung zusammen. Am Morgen des 24. wurden alle Dublin verlassenden Postkutschen von mit Pistolen und Piken bewaffneten Männern überfallen. Das war das Signal. Die United Men schwärmten aus den Hügeln von Antrim im Norden und den kleinen Dörfern von Wexford im Süden. Tone ritt aus Rouen, wo er bei der Armee diente, nach Paris und nahm seine Bemühungen wieder auf. Aber noch immer war das Direktorat nicht bereit, etwas zu unternehmen. Er erschöpfte alle Argumente, schlief nicht, trank zu schnell zuviel Wein und wurde krank. Er brachte jedes Argument, das ihm einfiel, und verlegte sich dann aufs Lügen. Jeder Papist und Presbyterianer in Irland war ein eingeschworener United Irishman. Jeder County in Irland würde sich beim Anblick eines französischen Segels erheben. Die Rebellion war schon im Gang und mußte unterstützt werden. Er suchte Grouchy, Kilmaine, Humbert in ihren Küstengarnisonen auf und trug der Armee seinen Fall direkt vor. Doch, alle stimmten zu, jede Möglichkeit dieser Art mußte ausgenutzt werden. Auf jeden Fall würde es einen Teil der englischen Energien von Buonapartes Expedition ablenken. Kilmaine, der irischer Abstammung war, war enthusiastisch, ebenso Humbert, Tones alter Verbündeter.
Humbert musterte ihn über den kleinen Tisch hinweg und fragte ihn sorgfältig aus. War er sich in jedem Fall sicher? Wie verbreitet war die Organisation der United Irishmen? War auf sie Verlaß? Gehörten auch Führer, wohlhabende Männer dazu? Waren die Vorbereitungen sorgfältig getroffen worden? Tone beschloß, mit dem schwindelnden Gefühl, daß er abermals alles auf eine Karte setzte, Humbert in etwa die Wahrheit zu erzählen. Die Society of United Irishmen war eine Flickwerkorganisation, eine unruhige Allianz aus städtischen Radikalen, einigen Presbyterianern aus dem Norden, einigen Papisten aus dem Süden. Tom Emmet hatte recht, nicht O’Connor und Fitzgerald, ohne französische Unterstützung hatte ein Aufstand keine Chancen. Wenn jedoch Frankreich genügend Soldaten schickte, dann würde alles anders aussehen. Überall in Irland gab es eine tiefe, trotzige Abneigung gegen die englische Herrschaft. Es fehlte nur eine einigermaßen aussichtsreiche Gelegenheit.
Als er fertig war, lächelte Humbert, das träge Lächeln einer riesigen, mächtigen Katze. »Dann habt Ihr das Direktorat belogen. Kein Wunder, daß Buonaparte Euch einen mutigen Mann genannt hat.«
Tone schüttelte ungeduldig den Kopf. Sein Französisch war jetzt viel besser. »Ich habe ihnen gesagt, daß es in ihrer Macht steht, Irland zu befreien. Und das stimmt. Vielleicht habe ich hier und dort übertrieben. Wenn wir erst gewonnen haben, wird das niemanden mehr interessieren.« – »Wenn wir erst gewonnen haben«, wiederholte Humbert, immer noch lächelnd. »Mein Gott«, sagte Tone. »Muß ich einem französischen General sagen, daß man manchmal Risiken eingehen muß? Es ist ein Spiel, ein gutes Spiel.« – »Und wenn wir verlieren«, sagte Humbert, »hat Frankreich eine Armee weggeworfen.« Tone zuckte die Schultern. »Wir werden nicht verlieren.« – »Und warum seid Ihr mir gegenüber so offen?« fragte Humbert. »Ich kenne Euren Ruf«, antwortete Tone. »Von allen Generälen brauchen wir Euch am meisten.« – »Wegen der Vendée?« fragte Humbert. »Das ist lange her. Alles ändert sich.« Er rückte seinen Stuhl nach hinten und schob die Hände unter den Hosenbund, der seinen umfangreichen Bauch beengte. »Kilmaine und ich haben bereits nach Paris geschrieben und eine irische Expedition empfohlen. Was sagt Ihr dazu?« – »Sie muß groß sein«, antwortete Tone sofort. »Macht es richtig, oder laßt es ganz sein. Sie muß so groß sein wie die Expedition unter Hoche. Und sie muß sofort lossegeln, solange Ulster und Leinster noch kämpfen.« Humberts Lächeln verbreiterte sich. »Ihr seid ein bemerkenswerter Mann, Colonel Ire. Ihr hättet als Franzose geboren werden sollen.« – »Ich bin als Ire geboren«, erwiderte Tone. »Was immer das bedeuten mag.« – »Wir werden noch herausfinden, was es bedeutet«, sagte Humbert.
Nun, kaum mehr als eine Woche später, waren die Jahre des Bettelns zu Ende, und er ging benommen und jubelnd an den Seinebrücken vorbei durch Paris. Er sah sie kaum, aber irgendwo in seinen Gedanken erweckten sie vage, wäßrige Erinnerungen an die Liffey und ihre Brücken, an die Four Courts, das Zollhaus, das Parlament.
Er betrat das überfüllte Café und zwängte sich an den Tischen vorbei in die Ecke, wo Lewines und Bartholomew Teeling ihn erwarteten. Er schüttelte den Kopf, als er die fast leere Burgunderflasche sah und bestellte beim Kellner eine neue. Als er Atem geschöpft hatte, sagte er lässig, mit seiner schauspielerhaften Liebe zum Effekt: »Heute abend ist es beschlossen worden. Eine richtige Expedition. Sie bricht Ende des Monats auf.«
»Was verstehen sie unter ›richtig‹?« fragte Lewines.
»Tausend Männer unter meinem Liebling, Humbert, fünftausend unter Hardy und später noch neuntausend unter Kilmaine. Ça ira, ça ira.«
»Es ist ein Wunder«, sagte Teeling.
»Ach, Teeling, alter Belfaster Papist, du denkst auch immer nur an Wunder. Dieses Wunder haben die unleugbare Gerechtigkeit unserer Sache und meine glänzende Persönlichkeit bewirkt. Wütend in der Schlacht, weise im Rat, jungenhaft und aufrichtig unter seinen Freunden, so hat Bürger Wolfe Tone aus Dublin doch endlich das Direktorat gestürmt. Es ist eine Tatsache, eine beschlossene Tatsache, die Befehle sind geschrieben, unterzeichnet und abgeschickt. Colonel Tone wird Hardy begleiten, Colonel Teeling Humbert, Bürger Lewines wird dem Stab General Kilmaines zugeteilt. Es hat überhaupt nichts geschadet, daß Kilmaine Ire ist, nicht im geringsten.«
»Kilmaine soll nachkommen«, sagte Teeling. »Was bedeutet das?«
»Das bedeutet, daß Humbert und Hardy Fuß fassen und Unterstützung finden müssen. Wenn ihnen das innerhalb einer Woche gelingt, dann wird Kilmaine in See stechen. Und sie segeln nach Ulster, Bartholomew, um deinem Freund MacCrakken zu Hilfe zu kommen. Die United Irish und die Franzosen werden sich das Kommando teilen. Ich bestehe darauf als Bürger der zukünftigen Republik, geliebt und geschätzt von den wenigen, die meinen Namen gehört haben.« Aus dem Augenwinkel sah er sein Bild in einem Spiegel und zwinkerte ihm zu.
»Wohin in Ulster?« fragte Teeling. »Wo wollen sie landen?« Graue Augen in einem