Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan
an, aber fügen wir hinzu, daß die meisten unter ihnen eine Sprache sprechen, die nicht einfach nur ausländisch ist, sondern so grotesk wie das Geplapper der Sandwichinsulaner, daß sie in Dreck und Unordnung leben und gedeihen, daß Misthaufen sich vor ihren fensterlosen Hütten auftürmen, daß ihre Musik, egal, was Altertumsforscher und Fanatiker zu ihren Gunsten sagen mögen, zwar bisweilen eine klagende, melancholische Schönheit aufweist, aber wild und barbarisch ist, daß sie eine ernste und wohlerzogene Höflichkeit mit mörderischer Gewalt verbinden, die ohne Vorwarnung ausbricht – an Markttagen werden zum puren Vergnügen Schädel eingeschlagen, Vieh wird grausam verstümmelt, Verwalter mit grausamen Foltern getötet –, daß sie übelriechende Tümpel als heilige Brunnen verehren, daß sie zu Felsblöcken wallfahren, daß ihre Augen einen mit einer Unschuld anblicken, hinter der die Bosheit tanzt. Und doch bekenne ich mein Mitleid mit ihnen und wünschte, ich hätte ihnen besser oder überhaupt dienen können.
Wie anders sollen sie denn leben, diese armen Geschöpfe Gottes? Der Bauer hat seine wenigen Kühe und Schweine, seine kurzen Ernten, aber das alles muß an den Grundbesitzer bezahlt werden, jede Gabel Rindfleisch, jedes Getreidekorn, und er und seine Familie müssen von Kartoffeln und Milch leben. Und er hat noch Glück, denn schlechter geht es denen, die vor dem Gesetz überhaupt kein Land haben, sondern auf den Bergen hocken oder sich am Moor zusammenkauern. Sie ziehen mit ihren Spaten zu den Gesindemärkten, wo sie wie Sklaven auf dem Block stehen. Im späten Winter, wenn die Kartoffeln aufgebraucht sind, wandern sie bettelnd über die Straßen. Und was ist mit denen, die ein Stück Land haben, aber die Pacht nicht bezahlen können? Ein guter Grundbesitzer, wie mein lieber Freund Mr. Falkiner, wird sich ein Jahr oder zwei gedulden, falls er selber solvent ist, aber viele Grundbesitzer sind bei den Dubliner Banken und Geldverleihern so hoch verschuldet, daß auch sie zu Opfern des Systems werden. Viele andere sind gar keine richtigen Grundbesitzer, sondern Mittelsleute, an die das Land zum Weiterverpachten vergeben worden ist, und viele von ihnen betreiben die barbarische Praxis des Pachtwuchers. Und es gibt viele große und kleine Grundbesitzer, die, wie Captain Cooper, wenn sich Viehzucht besser bezahlt macht als Verpachten, die Pächter verjagen und auf den Straßen betteln oder verhungern lassen. Ich habe selber Familien gesehen, die sich an den Hängen zusammenkauerten, wo sie sich Löcher gegraben hatten, ganze Familien, die Kleinen hockten neben der verhärmten Gestalt der Frau.
Ein genialer ausgedachtes System, zuerst zur Erniedrigung und dann zur Beibehaltung der Erniedrigung eines ganzen Volkes, ist nur schwer vorstellbar. In dieser Hinsicht fehlen mir Beredsamkeit und Klarsicht von George Moore von Moore Hall, einem höchst erstaunlichen Mann für diese Gegend, der ein recht bedeutender Historiker ist, aufgeklärt und human in seinen Ansichten, ein Freund von Burke, Fox, Sheridan und anderen wichtigen Persönlichkeiten. Wer seiner herben, sardonischen Stimme lauscht, wenn er sich über die Leiden Irlands verbreitet, wird in seiner Verzweiflung bestärkt, denn er kann niemals ein Heilmittel vorschlagen. Und doch gilt Verzweiflung zu Recht als unverzeihliche Sünde, und ich habe immer wieder energisch dagegen angekämpft.
Ich habe auch darum gekämpft, mit dem Volk vertraut zu werden, aber mit geringem Erfolg. Ich nehme hier Mr. Moore und auch Thomas Treacy von Bridge-end House aus, denn diese beiden sind angesehene Gentlemen, und ich habe ihren Papismus immer für ritterliche Anhänglichkeit an eine verfolgte Sekte gehalten. Und ich nehme ebenso Mr. Hussey aus, so seltsam das erscheinen mag, den Priester von Killala, denn er, der Sohn eines wohlhabenden Viehzüchters aus Mittelirland, ist selber fast ein Gentleman. Oft, hatte ich den Eindruck, war er entsetzter als ich über das barbarische Leben und Treiben derer, deren Seelsorge ihm anvertraut ist. Während des ersten Jahres habe ich versucht, die Bekanntschaft der wenigen papistischen »Halb-Sirs« zu machen, Männer wie Cornelius O’Dowd oder Randall MacDonnell, aber gerade diese beiden erschienen mir als, ehrlich gesagt, unreligiöse Männer, falls wir Treue zu Whiskey, Pferden und leichtlebigen Frauenzimmern nicht als eine Form von Gottesdienst betrachten; und diese bedauerliche Einschätzung ihrer Charaktere wurde durch ihr gewaltsames Handeln in den Ereignissen, die ich berichten werde, mehr als bestätigt. Unter ihrer Ebene gab es natürlich Bauern und Bedienstete, die Englisch verstanden und sprachen, einige hatten sogar die Kunst gemeistert, es zu schreiben. Aber ich konnte immer unter der Oberfläche unserer höflichen Begegnungen das Beben des tiefen Abgrundes spüren, der uns trennte, so als ob wir unsere Unterhaltung auf der zitternden Oberfläche eines Moores führten.
Weiterhin werde ich in meinem Bericht niederschreiben, was ich von diesem einzigartigen und höchst unseligen Mann Owen Ruagh MacCarthy gehört habe. Ich hatte ihn einmal zu mir bestellt, weil ich einige Bücher abzugeben hatte und annahm, er könnte sie in seiner »klassischen Akademie« verwenden, einer Art Heckenschule, in der Kinder die Anfangsgründe einer Erziehung erhielten, während ältere Jungen aufs Seminar vorbereitet wurden. Ich gebe zu, daß ich meine Zweifel hatte, denn ich hatte ihn oft im Dorf gesehen, eine große Kreatur mit wilden roten Haaren und einem schnellen Schritt, überall bekannt wegen seiner Vorliebe für Alkohol und schlechte Gesellschaft. Sein früherer Leumund war genauso abschreckend, denn angeblich war er aus seinem Geburtscounty Kerry nach Cork gewandert, oder besser getrieben worden, dann nordwärts durch Clare und Galway nach Mayo, auf der Flucht vor seinen Zusammenstößen mit dem Gesetz, behaupten die einen, den anderen zufolge jedoch gejagt von Heerscharen erboster Väter und Ehemänner und Brüder, denn er konnte weder Augen noch Hände von irgendeiner Frau passenden Alters lassen, und in dieser Hinsicht war sein Geschmack katholisch in der nicht-konfessionellen Bedeutung dieses Wortes. Und doch war er ein Mann, der fließend Latein sprach und sich mit Vergil, Horaz und Ovid sehr gut auskannte. Noch überraschender war, wie mir Treacy von Bridgeend House, ein Fanatiker für die eingebildeten Leistungen seiner Rasse, erzählt hat, daß MacCarthy ein Dichter von beträchtlichem Ruhm war, dessen Verse von Donegal bis Kerry auswendig gelernt wurden und als Manuskripte zirkulierten. Ich bat Treacy, einige dieser Gedichte ins Englische zu übersetzen, aber er antwortete, Rhythmus und Metrik, wenn das die korrekten Bezeichnungen sind, ließen sich nicht ins Englische übertragen, denn dann würden Wörter und Klang sich streiten wie Mann und Frau, ein aufschlußreicher Einblick in die irische Einstellung zur Ehe.
Auf jeden Fall, und um diese Abschweifung zu beenden, so mag MacCarthy durchaus ein zweiter Ovid gewesen sein, aber seine Worte sind für immer in einer barbarischen Sprache verschlossen, die die Geschichte zum Schweigen und zum Pflug verurteilt hat. Bei jener Gelegenheit versicherte ich ihm, daß mir das unglückliche Schicksal seiner Landsleute sehr am Herzen läge, und ich regte an, es ließe sich vielleicht verbessern, wenn sie die Sicherheiten des englischen Gesetzes besser ausschöpfen könnten. Er antwortete mit den Versen eines anderen Poeten, die er dann, egal, was Treacy davon halten mag, für mich ins Englische übersetzte: »Troja und Rom sind verschwunden, Caesar ist tot wie Alexander. Vielleicht wird eines Tages auch der Tag Englands kommen.«
Ich forderte ihn auf, die Bedeutung dieser dunklen Aussage zu erklären, und er antwortete, sie bedeute lediglich, daß Griechenland und Rom einst mächtige Reiche gewesen seien, und nun sei eben England an die Reihe gekommen. Ich sagte ihm, daß ich nicht eine Minute glaubte, es könnte so gemeint sein. Statt dessen brachte es die dumpfe Rachsucht zum Ausdruck, die die irischen Bauern bekanntlich hegen, und die, wie ihr Aberglaube, sie davon abhält, angemessene und vernünftige Lösungen für ihre Probleme zu finden. Dann überlegte ich mir: Was für Lösungen? Wohlmeinende protestantische Pastoren schreiben Bücher und Traktate für sie, raten ihnen, sich ordentlich zu kleiden, während sie halbnackt sind, die Wahrheit zu sagen, wenn nur eine Lüge sie vor ihrem raffgierigen Grundbesitzer schützen kann, nüchtern zu bleiben, wenn der einzige Trost in einer Flasche liegt.
Daraufhin lächelte er mich an, als ob er meine Gedanken gelesen hätte, und das Lächeln veränderte seine groben, schweren Züge und deutete eine lebhafte, wenn auch sardonische Intelligenz an. Im offensichtlichen Bestreben, das Thema zu wechseln, nahm er ein schmales Buch von dem Stapel, den ich vor ihm aufgebaut hatte, eine Übersetzung von Le Sages Romanze Gil Blas. »Das hier kenne ich gut, Euer Ehrwürden. Ich hatte es in der Hintertasche meines Mantels, als ich vor Jahren auf Wanderschaft war. Dafür gibt es gar kein besseres Buch.« Ich entdeckte, daß er einigermaßen Französisch konnte, was offenbar bei den Schulmeistern seiner Heimat Kerry nicht außergewöhnlich war, weil es dort früher sehr viel Verkehr mit Frankreich gegeben hatte. Aus Kerry und Cork waren bis vor zehn Jahren die jungen Männer in die Seminare von Douai und St. Omer oder als Rekruten zu den irischen Brigaden