Ein Traum von Freiheit. Thomas Flanagan

Ein Traum von Freiheit - Thomas Flanagan


Скачать книгу
Unternehmungen waren gesetzlich verboten, aber das schien MacCarthy überhaupt nichts auszumachen. Darin kann eine weitere bedauerliche Folge der abscheulichen Penal Laws gesehen werden, die ein Jahrhundert lang die Papisten mehr oder weniger zu Vogelfreien gemacht hatten.

      Diese Verbindung von Gil Blas und der französischen Sprache mit dem grobschlächtigen Kuhhirten, der da in seinem langschößigen Rock aus regenfarbigem Fries vor mir stand, erschien mir als höchst merkwürdig.

      Bei dieser Gelegenheit, wie bei meinen anderen Unterhaltungen mit MacCarthy, war ich von seiner offenkundigen Liebe zu Wörtern und Büchern positiv beeindruckt, obwohl er selbige zweifellos auf grobe, provinzielle Manier auffaßte, und von seinem Auftreten, das unbefangen, aber niemals beleidigend vertraulich war. Und doch hatte er auch etwas an sich, was mich verärgerte, einen schlauen, leichten Spott, als wüßte er genausogut wie ich, daß wir dieselben Wörter auf ganz unterschiedliche Weise verwendeten. Wie wenig werden wir je über diese Leute wissen, solange wir in unsere getrennten Zimmer eingeschlossen sind! Und oft habe ich ihn in einer ganz anderen Stimmung gesehen, wenn er betrunken heimwärts stolperte, eher Vieh denn Mann, zu dem Bett, das er mit irgendeiner jungen Dirne von einer Witwe teilte. Der Weg, den er später einschlug, stimmte mich traurig, überraschte mich jedoch nicht. Er lebte tief in der Welt seines Volkes, und diese Welt ist unvorhersagbar und gewalttätig.

      Was mich in meinen ersten Jahren in Mayo vor allem bedrückte, war, daß alle, reich und arm, darin übereinzustimmen schienen, daß die schrecklichen Umstände, die ich hier erwähnt habe, unveränderlich seien, gewirkt aus einer Geschichte von so festem Gewebe, daß es niemals in eine akzeptablere menschliche Form gezogen oder gerissen werden könnte. Ich bin durchaus kein Radikaler. Ich weiß, daß die Gesetze der menschlichen Ökonomie, wie die der Astronomie, unbeweglich und streng sind. Dennoch kann ich das Gefühl nicht aufgeben, daß diese Gesetze verzerrt worden sind, so wie Kometen und Meteore auf die Erde hinuntergezogen werden. Die Armen werden immer bei uns sein, aber muß es sie wirklich in solchen Mengen geben, daß sie die Mehrheit der Bevölkerung ausmachen?

      Aber die wenigen Lösungen, die vorgeschlagen worden sind, sind entsetzlicher als das Übel, das sie heilen wollen. Ich habe zum Beispiel Männer, die nicht unmenschlicher sind als die meisten, vorschlagen hören, daß die immer wieder auftretenden Hungersnöte von der Natur so beschlossen worden sind und im Laufe der Zeit die Bevölkerung auf eine passende Anzahl reduzieren werden, aber dieses erscheint mir als Gotteslästerung. Oder nehmen wir die Whiteboys, die in meinem Bericht eine Rolle spielen. Etwa dreißig Jahre lang waren diese Banden eine Geißel für das Land, verheerten die Landschaft, ermordeten Verwalter, verstümmelten oder töteten Vieh, rissen die Zäune nieder, die die Weiden umgaben, unterwarfen Gegner und Denunzianten brutalen und grausamen Bestrafungen. An einigen wenigen Orten konnten sie ihren Ehrgeiz befriedigen; die Pacht wurde gesenkt, Felder wurden nicht weiter in Weideland umgewandelt. Zumeist aber wurden die Whiteboys gejagt wie Hirsche und Wölfe und schließlich vernichtet. Sie mußten vernichtet werden, denn die Zivilisation kann solches Barbarentum nicht hinnehmen. Hungersnot oder Terror: Welch entsetzliche Auswahl sich anbietender Heilmittel!

      Und welche Hilfe bringt die Religion selber? Ich werde wenig über die Kirche dieses Volkes sagen. Zweifellos ist sie von dem Jahrhundert (oder mehr) der Verfolgung, die sie erleiden mußte, deformiert und brutalisiert worden, und zweifellos übt sie eine besänftigende Wirkung auf ihre Kinder aus, aber dennoch kann ich keine große Sympathie für sie bekennen. Mr. Hussey, wie gesagt, ist ein Mann von Bildung und guten Manieren. Kaum ein Anblick war so lächerlich wie der von Mr. Hussey in seinen Schuhen mit den Silberschnallen, unterwegs in eine Hütte, wo seine Anwesenheit vonnöten war, der sich bei dem Gestank am liebsten die Nase zugehalten hätte. In seiner Kapelle, die mit Hilfe von Mr. Falkiner und anderen eher liberalen Mitgliedern des protestantischen Landadels errichtet worden ist, hat er wohl immer wieder gegen Whiteboys und gegen die abergläubischen Praktiken seiner Pfarrkinder angepredigt. Und doch war sein Kaplan, der ungeheuerliche Murphy, Bauernsohn und selber Bauer, ein grober, ignoranter Mann, rotgesichtig, jung, fett und mit der Stimme eines jungen Bullen, viel typischer für das römische Priestertum. Und als die Krise über uns hereinbrach, bewies er, daß er ihre finstersten Leidenschaften bis ins letzte teilte. Auch gehörte Reinlichkeit nicht zu seinen Tugenden, und für seine Liebe zur Flasche gibt es hinreichend Beweise.

      Aber über meine eigene Kirche, was kann ich da sagen, außer, daß sie die Kirche einer beherrschenden Garnison ist? Ich kann vielleicht meine Predigten rühmen, die keine leeren Ausschweifungen über obskure Stellen der Schrift sind, sondern sich auf das tägliche Leben richten. Und doch, wenn ich die kahlen weißen Wände betrachte, die schmalen Fenster und die beiden Schlachtflaggen, die Mr. Falkiners Ururgroßvater aus Marlboroughs Kriegen mitgebracht hat, und die Gedenktafeln für die, die im Dienste unserer Krone auf den Schlachtfeldern von Frankreich und Flandern gefallen sind, wenn ich meine Pfarrkinder ansehe, steif und gerade wie Truthähne oder Conquistadoren, dann kommt mir der beunruhigende Gedanke, daß ich weniger ein Seelsorger für Christi Volk bin als Priester eines kriegerischen Kults, so wie Mithras von den römischen Legionen gehuldigt wurde. Hier, denke ich in solchen müßigen Momenten, ist ein Vorposten, der durch die ewiggültigen Edikte von Elisabeth und James und Cromwell und William in diesem Land stationiert worden ist und es für unseren Herrn, den König, halten soll.

      Warum sonst schickt der protestantische Landadel Irlands seine jungen Männer in die Britische Armee und in die Armee der Ostindischen Kompanie, wenn nicht aus einem Instinkt, der ihnen in den Knochen sitzt, eingepflanzt vielleicht durch die vielen Sonntage ihrer Kindheit, an denen sie die Schlachtflaggen angestarrt haben? Und noch eins steht fest: Wenn England ein Land mit dem Schwerte erobert, folgen darauf alsbald die Künste und die Segnungen der Zivilisation, ein geordnetes Dasein, Sicherheit für Person und Eigentum, Erziehung, gerechte Gesetze, die wahre Religion und hoffnungsvolle Aussichten für das Leben der Menschen auf Erden. Nur hier haben wir versagt, im allerersten Land, das wir betreten haben, aus Gründen, die zum Teil unsere und zum Teil die Schuld der Einheimischen waren. Aber ich halte es für verderblich, über die Vergangenheit nachzugrübeln, Unrecht aufzuzählen und Schuld zuzuweisen.

      Vielleicht kann ich das alles so klar sehen, weil ich in England geboren und aufgewachsen und deshalb nicht in die alten Feindseligkeiten und den alten Stolz dieses Landes verstrickt bin. Denn im letzten Viertel des Jahrhunderts erklärten, wie alle wissen, sich die irischen Protestanten für eine unabhängige Nation, die dem König von England nur in seiner Eigenschaft als König von Irland Gefolgschaft schuldete. Schlimmer noch, sie hielten sich für ein eigenständiges Volk, weder englisch noch irisch, schworen aber dennoch der britischen Krone den absoluten Gehorsam, da ihre Rechte, Privilegien, Besitztümer zuerst von der Krone gekommen waren. Ein erstaunliches und lächerliches Geschöpf war sie, diese »irische Nation«, aus der die große Masse der Iren mit der offenen Begründung ihrer Religion und mit der heimlichen Begründung ihrer Rasse ausgeschlossen war. Die Hauptstadt Dublin war eine so schöne Stadt, wie diese Inseln überhaupt aufweisen können, eine Stadt aus warmen, weinfarbenen Ziegeln und kühlen grauen Steinen, überragt von den strengen, schönen Umrissen des Parlamentes, in dem die rein protestantischen Vertreter einer rein protestantischen Wählerschaft saßen. Und doch war diese gepriesene Unabhängigkeit ein Trugbild, denn die Gouverneure und Verwalter dieser Insel wurden weiterhin in London ernannt, und das Parlament selber stank vor Korruption, die viele der gekauften Mitglieder kaum zu verhehlen geruhten. Meine Bewunderung für Mr. Grattan und die anderen »Patrioten«, die sich abmühten, um Irland eine wahre und ehrliche Regierung zu geben, um das Parlament zu reformieren und vor allem, um ihre papistischen Landsleute von ihren Ketten zu befreien. Und doch waren ihre Bemühungen so vergeblich, wie ihre Rede glänzend und blumig war.

      Wir in Mayo wußten wenig von diesen Angelegenheiten und hatten nicht das geringste Interesse daran. Die Interessen der Grundbesitzer wurden im Parlament bestens vertreten von Dennis Browne, Lord Sligos Bruder und High Sheriff des County, einem klugen und geistreichen Mann, rauh, aber herzlich, wenn die Situation das erforderte, doch mit einem Charakter so schmeichelnd und tückisch wie Bergnebel. Wenn ich auf diesen Seiten etliche harte Urteile über Mr. Browne abgeben muß, so glaube ich doch, daß seine Liebe zu Mayo höchst ehrlich ist, auch wenn sie eine schreckliche Form annehmen sollte. Ich gebe zu, daß mein geringes Verständnis für diese Menschen vollends versiegt, wenn es mit Familien wie den Brownes konfrontiert wird. Papisten bis


Скачать книгу