Reise durch Nordwestamerika. Alexander Mackenzie
man, seit Langem schon ein britisches Anliegen, durch das Landesinnere die westliche Küste Nordamerikas erreichen, um auch dort koloniale Gebietsansprüche geltend machen zu können. Seit dem 15. Jahrhundert hatten sich englische Seefahrer auf die Suche nach einer Nordwestpassage durch den nordamerikanischen Kontinent begeben und versucht, an den Küsten einen schiffbaren Fluss landeinwärts zu finden: 1497/98 John Cabot, 1508/09 Sebastian Cabot, 1576 Martin Frobisher, 1610/11 Henry Hudson, 1612 Thomas Button, 1616 William Baffin, 1631 Luke Fox und 1633 Fox und Thomas James. Neben dem entdeckerischen Reiz würde eine solche Passage auch und vor allem einen kürzeren und direkteren Verbindungsweg in den Südwesten Amerikas bedeuten und damit eine billigere Absatzmöglichkeit für den Pelzhandel mit Asien, vor allem China. Denn der kostenaufwendige Handelsverkehr lief bisher über Quebec, London, Petersburg, Jakutsk und Ochotsk; die kanadischen Pelze machten somit eine Reise fast um die ganze Erde. Zur Zeit Alexander MacKenzies hatte vor allem die 1778/79 von Captain James Cook unternommene Reise Aufsehen erregt. Cook war die pazifische Küste hinaufgesegelt und in jede Bucht eingedrungen, um einen schiffbaren Fluss nach Osten zu finden – doch ohne Resultat. Er hatte im nach ihm benannten »Cooks Inlet« an der Südwestküste Alaskas wegen starken Packeises umkehren müssen. Allerdings berichtete er von großen Pelzvorkommen an dieser Küste.
Der bis dahin wagemutigste Mann der Northwest Company war ein gewisser Peter Pond, der für seine Gesellschaft einen Außenposten am Athabaska-See gegründet hatte und bis an den Peace River und den Großen Sklavensee gekommen war. Auch Cuthbert Grant und Laurent Le Roux, Angestellte der Montreal Company, hatten sich so weit ins Landesinnere vorgewagt. Nach einem längeren Erfahrungsaustausch mit diesen drei Männern fasste Alexander MacKenzie Anfang des Jahres 1789 den Plan, die Suche nach einer Nordwestpassage fortzusetzen. Er hoffte, in der Verlängerung des Peace River einen Fluss zu finden, der in nordwestlicher Richtung verliefe und in Cooks Inlet mündete, und hatte die Absicht, zu Ehren Captain Cooks diesen Fluss »Cook River« zu taufen. Da in diesem wasserreichen Land mit seinen zahllosen reißenden Strömen der Erfolg einer Expedition hauptsächlich davon abhing, ob man den Gefahren der Wildgewässer gewachsen war, bildete MacKenzie seine Mannschaft aus fünf erfahrenen und für ihre Geschicklichkeit berühmten Kanuführern: Charles Ducette, Joseph Landry, François Barrieau, Pierre de Lorme und Johann Steinbrück. Außer dem Preußen Steinbrück hatten alle französische und teilweise indianische Vorfahren. Laurent Le Roux, Clerk der Company, schloss sich ebenfalls der Expedition an. Er wollte bis zum Großen Sklavensee mitkommen und dort eine neue Niederlassung aufbauen. MacKenzie hatte außerdem drei Indianer vom Stamme der Chipewyan angeheuert, die zur Besatzung des Athabaska-Forts gehörten und seit Jahren als Pfadfinder und Dolmetscher in Diensten der Company standen. Der Bedeutendste unter ihnen war zweifellos »English Chief«. Weiße wie Indianer kannten ihn nur unter diesem Namen. Er war im Fort Princeton-of-Wales, einem Posten der Hudson Bay Company, aufgewachsen und sprach fließend Englisch. Ebenfalls zur Equipe gehörten seine beiden Frauen.
Am 3. Juni 1789 brach die Expedition MacKenzie vom Athabaska-See aus auf. Ihre Kanus waren aus Birkenrinde gefertigt, und in diesen leichten, zerbrechlichen Booten sollte sie während der nächsten 100 Tage mehr als 3000 Kilometer zurücklegen. Die Männer und Frauen mussten auf dieser Reise bitterste Kälte ertragen, reißende Stromschnellen und Wasserfälle bezwingen, steile Felsküsten emporklettern und konnten dem Tod oft nur knapp entrinnen. Mit allen Mitteln versuchte das Land, sich den Eindringlingen zu widersetzen. Dazu kamen die Angst vor den Eingeborenen, die noch nie einen Weißen zu Gesicht bekommen hatten und ihnen womöglich feindlich begegneten, und das Unglück, mehrere Male von eingeborenen Führern im Stich gelassen zu werden. Trotz aller Strapazen und Gefahren, die die Mannschaft auf sich genommen hatte, blieb diese Expedition ohne das Ergebnis, das man sich von ihr erhofft hatte. Alexander MacKenzie war aufgrund der ungenauen geografischen Angaben, die ihn die Richtung bestimmen ließen, statt nach Westen (auf dem später nach ihm benannten Fluss) über den nördlichen Polarkreis hinausgekommen. Die Expedition war am 13. Juli 1789 bei 69°14' nördl. Breite an der Küste des Arktischen Ozeans, in der heute so benannten Beaufort-See, gelandet und musste unverrichteter Dinge umkehren.
Nach seiner Rückkehr an den Athabaska-See reiste Alexander MacKenzie im Winter 1791/92 nach London, um dort seine Kenntnisse über astronomische Berechnungen und die Geografie des Westens Nordamerikas zu vertiefen. Er hatte vor, eine zweite Expedition zu wagen.
Am 10. Juli 1792 brach er erneut von Fort Chipewyan, der Niederlassung am Athabaska-See, auf; diesmal waren seine Begleiter Joseph Landry und Charles Ducette (beide zum zweiten Mal dabei), François Courtois, Jacques Beauchamp, François Beaulieux, Baptiste Bisson, zwei indianische Jäger und Dolmetscher, von denen der eine den Namen Cancre trug, und MacKenzies Hund. Zunächst einmal fuhren sie den Peace River hinauf und errichteten dort einen neuen Außenposten, Fort Fork, in dem sie überwinterten. Im Frühjahr 1793 stieß Alexander MacKay zu ihnen, ein Junior Clerk der Company, der sich auf dieser Expedition seine ersten Sporen verdienen wollte. Die eigentliche Entdeckungsreise begann am 3. Mai 1793 und führte den Peace River Cañon hinauf bis an dessen Quelle in den Rocky Mountains. Um über das riesige Felsengebirge zu kommen, mussten die Männer weite Strecken Gepäck und Kanu auf ihren Schultern tragen. Schließlich stießen sie auf den Fraser, über dessen Verlauf MacKenzie damals noch keinerlei Kenntnisse besaß. Er konnte nur hoffen, auf ihm bis an den Pazifischen Ozean zu gelangen. Doch die Berichte dort lebender Indianer überzeugten ihn davon, dass die Reise auf diesem Fluss zu lange und zu beschwerlich würde. Nur mit Mühe gelang es ihm, seine der Expedition schon müden Männer dazu zu bringen, den Fraser wieder ein Stück zurückzufahren und an einer von den Indianern angegebenen Stelle auf dem Landweg nach Westen zu marschieren. Ihr Kanu und einen Großteil des Gepäcks ließen sie zurück und erreichten nach mehreren Tagen den kleinen Fluss Bella Coola. In einem indianischen Kanu, das ihnen dort ansässige Eingeborene zur Verfügung gestellt hatten, gelangten sie zur Mündung des Flüsschens im Queen-Charlotte-Sund. Am 22. Juli 1793 hatten sie, nördlich der Vancouver-Insel, die Küste des Pazifischen Ozeans erreicht. Die Freude über das Gelingen der Expedition war allerdings getrübt, da sie von Küstenbewohnern umringt wurden, die ihnen alles andere als freundlich gesinnt waren; außerdem hatten sie noch einen äußerst mühevollen Rückweg zu bewältigen. – Am 24. August kehrten die Männer unversehrt nach Fort Fork zurück; 107 Tage waren sie unterwegs gewesen und hatten 4500 Kilometer zurückgelegt. Sie hatten zwar die Westküste erreicht, doch die Hoffnung, eine schiffbare Passage von Osten nach Westen zu finden, vom Peace River aus in den Columbia River, dessen Mündung in den Pazifik einst Captain Cook schon entdeckt hatte, zu gelangen, hatte sich nicht erfüllt. Der von MacKenzie begangene Weg war für die Northwest Company nicht effektiv genug, er barg zu viele Schwierigkeiten.
Erst Jahre später entdeckten Simon Fraser (1806/1808), David Thompson (verschiedene Expeditionen zwischen 1792 und 1812) und James Finlay, alle drei in Diensten der Northwest Company, bessere Wege über die Rocky Mountains; es sollte noch über 20 Jahre dauern, bis der Handel in Richtung Pazifikküste organisiert war und jenseits der Felsengebirge neue Außenposten entstanden. Die Besiedelung der Westküste mit weißen Kolonisten begann erst Mitte des vorigen Jahrhunderts, besonders mit der Fertigstellung der transkontinentalen Eisenbahnlinie im Jahre 1886.
Jene Gebiete, die Alexander MacKenzie als erster Weißer betrat, sind auch heute noch zum größten Teil unerschlossen und hauptsächlich von Indianern bewohnt.
Nach seiner Rückkehr ins Fort Chipewyan im Winter 1792 verbrachte Alexander MacKenzie einige Monate mit Pelzgeschäften in der Gegend um den Athabaska-See. Im Jahr darauf fuhr er nach Montreal, um dem Generalgouverneur von Kanada Bericht zu erstatten. Er wurde mit großen Ehren empfangen und seine Expedition als großartige Leistung gewürdigt. Anschließend reiste er nach London, um die Veröffentlichung seiner Tagebücher über die »Voyages« in die Wege zu leiten. Dort empfing ihn Georg III., der ihn in Anerkennung seiner Verdienste um das britische Weltreich am 10. Februar 1802 zum Ritter schlug.
Sir Alexander – wie er sich nun nennen durfte – gewann in den folgenden Jahren immer größere Bedeutung im kanadischen Pelzgeschäft. Sein großes Ziel war die Vereinigung der Hudson Bay Company mit der Northwest Company. Im Jahre 1804 versuchte er zusammen mit einem Londoner Geschäftsmann, die Hudson Bay Company aufzukaufen, was allerdings misslang. 1805 bot er im Namen seiner Gesellschaft der Hudson Bay Company jährlich 2000 Pfund, wenn sie Anteile ihrer Privilegien abtreten würde – was abgelehnt